Das Gute

Ganz im Sinne Goethes

"Memoiren einer Idealistin“ nannte sie ihre Lebenserinnerungen – einer der großen Bucherfolge des 19. Jahrhunderts. Der Titel richtete sich gegen den Zeitgeist ihrer Jugend, der eher auf Wissenschaft und Materialismus schwor, der spätere, am Ende des Jahrhunderts, hielt es, wo er sich idealistisch gab, mit besoffener Vaterlandsbegeisterung. Sie aber bekannte sich zu Idealismus und Humanität im Sinne Goethes, wie sie ihn verstand – zum Guten schlechthin, das sich eines Tages allem dunklen Naturerbe der Menschheit entringen würde. Wohlgemerkt: Die Natur, das war für sie das Gute, nur leider eben nicht durchweg.

Diese einst so berühmte Frau verfügte über ein überragendes Talent: nämlich das zur Freundschaft. Ihre Freunde und Freundinnen priesen sie ihrer Lebtag in höchsten Tönen, im gegebenen Fall lange über ihren Tod hinaus.

Malwida von Meysenbug (1816 – 1903) stammte aus einer Hugenottenfamilie, also aus privilegiertem Milieu, erst der Vater wurde geadelt. Die Tochter aber empfand ihre Verhältnisse als eng – zumindest geistig. Als das Jahr 1848 herankam, sehen wir sie als eine Revolutionärin, zumindest eine der Gesinnung. Der revolutionäre Impuls brach bei ihr immer mal wieder durch, allem humanen Pazifismus zum Trotz: Mal begeisterte sie sich für anarchistische Attentäter, dann war sie Feuer und Flamme für den und natürlich innig befreundet mit dem italienischen Freiheitskämpfer Mazzini.

Joachim Radkau, emeritierter Geschichtsprofessor, folgt den Spuren ihres langen Lebens. Er tut es nicht in chronologischer Abfolge, sondern geht den einzelnen Pfaden ihres Weges je für sich nach – das wahrt den Überblick. Und man spürt, er ist von dieser Frau fasziniert; sie war ja von allem nicht nur etwas: Frauenrechtlerin, Revolutionärin, Netzwerkerin. Aber dennoch: Abgesehen von ihren Freundschaften, ihren ständigen Ortswechseln, ihrer Korrespondenz (die Tausende von Briefen umfasste), zählte sie doch eher zu den Stillen im Lande. Verheiratet war sie nie, auch von Liebschaften im landläufigen Sinne ist nichts bekannt, wohl aber von einer vierzehn Jahre, bis zu ihrem Tode, dauernden „geistigen Liebschaft“ – so nennt es Radkau – mit dem ein halbes Jahrhundert jüngeren französischen Schriftsteller Romain Rolland. Rolland wurde nach langer Durststrecke durch seinen monumentalen Roman Jean-Christophe bekannt, in dem er, wahrhaftig noch zur Unzeit, die deutsch-französische Freundschaft beschwor.

Eine von Meysenbugs Freundschaften hat sich in das Gedächtnis zumindest der Geistesgeschichte besonders eingeschrieben: die mit dem Philosophen Friedrich Nietzsche. Der war 28 Jahre jünger als sie, lange erfolgloses Genie, immer krank, mit 45 wahnsinnig geworden, mit 56 gestorben. Kennengelernt hatte sie ihn bei der Eröffnung des Bayreuther Festspielhauses, denn beide waren leidenschaftliche Wagnerfans und Wagners persönliche Freunde, Meysenbug bezeichnete zeitweise Nietzsches frühe Schrift Wagner in Bayreuth als „ihre Bibel“. Von Nietzsches schroffer Abkehr vom „Meister“ war da noch nicht die Rede. 1876/77 verbrachte der Philosoph ein halbes Jahr zusammen mit zweien seiner Freunde mit ihr in Sorrent.

Ein Buch über ein fast vergessenes Kapitel der Geistesgeschichte. Mag der arg hoch gespannte idealistische Ton der reichlich zu Wort kommenden Protagonistin auch auf Dauer anstrengend sein: „Man bleibt dran“ – Radtkaus Verdienst.

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