Spiegel der Psyche

Gespräch mit dem Gießener Professor und Klinikdirektor Uwe Gieler über die Verbindung von Haut und Hirn
Der größte Feind der Haut: die Sonne.
Foto: dpa
Der größte Feind der Haut: die Sonne.

zeitzeichen: Herr Professor Gieler, wenn jemand ein dickes Fell hat, dann meinen wir jemanden, der viel einstecken kann. Andersherum heißt es, jemand sei dünnhäutig. Das meint, er sei sehr empfindlich. Wie kommt es, dass schon unsere Sprache auf eine enge Verbindung mit unserem größten Organ, der Haut, und unserer Psyche hinweist?

UWE GIELER: Die Volksweisheit hat seit dem Mittelalter gute Begriffe entwickelt. Wir kennen auch, wenn einem etwas auf den Magen schlägt oder an die Nieren geht. Aber bei der Haut gibt es wirklich viele Begriffe, da die Volksweisheit immer schon von den  engen  Zusammenhängen wusste zwischen dem, was sich auf der Haut zeigt und dem, was im Inneren vorgeht. Man spricht ja auch von der  Haut als Spiegel der Seele. Wobei ich persönlich Spiegel der Psyche besser finde, denn die Seele ist etwas anderes. Darauf haben mich Theologen aufmerksam gemacht. Wenn jemand dünnhäutig ist, heißt das, er/sie ist sensibel, reagiert auf Umweltreize viel schneller als andere Menschen. In der Dermatologie sprechen wir von einer sensitiven Haut und meinen damit, dass vieles nicht gut vertragen wird.

Wie eng ist die Verbindung zwischen Haut, Hirn und Nerven denn nun wirklich?

UWE GIELER: Sehr eng. Wir haben heute völlig eindeutige Forschungsbefunde, die zeigen, dass das Gehirn und die Haut in einem direkten nervlichen Zusammenhang stehen. Zunächst einmal kommen das Gehirn und die Haut aus demselben Keimblatt, dem sogenannten Ektoderm. Wir Menschen entwickeln uns aus drei Keimblättern, die inneren Organe kommen zum Beispiel aus dem Mesoderm, das Ektoderm entwickelt das Gehirn und die Haut. In der Embryonal­entwicklung zeigt sich schon diese enge Verbindung. Und konkret heißt das, dass die Reaktionen im Gehirn, zum Beispiel die Emotionen, die wir heute gut im Gehirn verorten können, über das Rückenmark mit den bis in die Haut gehenden Endnerven verbunden sind.

Dabei handelt es sich um neue Forschungsergebnisse?

UWE GIELER: Seit etwa zehn Jahren wissen wir, dass diese Endnerven in der Haut tatsächlich auch bis in die obersten Hautschichten gehen, in die sogenannte Lederhaut. Hautärzte sprechen von der Epidermis. Und dort sind sie sogar in Kontakt mit den vorhandenen  Abwehr­zellen, also den immunkompetenten Zellen. Dass sich diese berühren, kann man elektronenmikroskopisch nach­weisen, sie schütten Nervenbotenstoffe aus, die über diese Nerven freigesetzt werden, sogenannte Neuropeptide. Diese wiederum greifen genau an der Stelle, an der die Haut reagiert, in das Entzündungsgeschehen ein. Deswegen kommt es eher selten vor, dass eine Haut­reaktion  beispielsweise durch Stress ausgelöst wird. Viel häufiger geschieht es, dass eine erblich bedingte Hauterkrankung durch solche  psychischen Mechanismen verstärkt wird und diese den Krankheitsverlauf beeinflussen.

Das heißt, in erster Linie ist die genetische Disposition für eine Hauterkrankung verantwortlich?

UWE GIELER: Grundsätzlich ja. Bei allen chronisch entzündlichen Hauterkrankungen, wie der Schuppenflechte, der Neurodermitis, der Weißfleckenkrankheit (Vitiligo) oder der Rosacea, liegt eine erbliche Belastung vor. Wir wissen auf der anderen Seite aber aus der sogenannten Life-Event-Forschung, also der über Lebensereignisse, die Krankheiten bedingen oder Auswirkungen auf Krankheiten haben, dass zum Beispiel der kreisrunde Haarausfall tatsächlich zu Hautreaktionen führt, wenn diese Bereitschaft vorhanden ist. Das heißt, es geht immer um ein Wechselspiel aus einer genetischen Bereitschaft und aus Umweltfaktoren, zu denen die psychischen Belastungen gehören.

Mit den negativen Folgen dieser engen Verbindung zwischen Haut, Hirn und Nerven beschäftigen Sie sich in der Psychodermatologie. Sie sind zugleich Facharzt für Dermatologie und für Psychosomatik und Psychotherapie, in beiden Fächern habilitiert. Was hat Sie  gereizt, beide Fächer miteinander zu kombinieren?

UWE GIELER: Die Patienten. Zunächst bin ich Hautarzt geworden, sehr naturwissenschaftlich ausgerichtet. Doch mir wurde schnell  klar, dass zum Beispiel an Neurodermitis erkrankte Menschen immer ähnliche Geschichten erzählten. Sie berichteten von  Stressbelastungen, Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, von Partnerproblemen und von auftretenden Schüben. Deshalb habe ich eine Ausbildung für Psychosomatik angeschlossen.

Und es gab herausragende Erlebnisse. So erzählte mir eine Patientin ihre Lebensgeschichte mit einer Belastungssituation, in dem Fall einer Auseinandersetzung mit ihrem Partner. Plötzlich entwickelte sie vor meinen Augen ein sogenanntes Quincke-Ödem. Das Gesicht schwoll an, wie bei der Allergie gegen Haselnüsse oder Aspirin, was in diesem Fall definitiv ausgeschlossen war. Das sind Einzel­erlebnisse, die sehr selten sind, aber die zeigen, dass dieser Mechanismus, den ich eben dargestellt habe, recht gut funktioniert. Das Forschungsgebiet nennt man Psychodermatologie, die Forschungsrichtung Psychoimmunologie.

Warum ist es für alle Menschen, aber auch für Ihre Patienten so wichtig, „die Sprache der Haut“, wie Sie es in dem von Ihnen  herausgegebenen Buch „Die Haut und die Sprache der Seele“ nennen, zu verstehen?

UWE GIELER: Das ist wie eine Fremdsprache. Wenn Sie mongolisch lernen wollen, sind die Laute und die Grammatik völlig anders.  Sie müssen lernen, die Sprache oder das, was ausgedrückt wird, zu verstehen. Das kann einfach sein, wenn jemand beispielsweise ein Handekzem hat, und man überlegen kann, warum dieser Mensch nichts anfassen will. Das trifft gelegentlich zu, aber auch nicht auf jedes Handekzem. Andererseits gibt es sehr klare Reaktionen, wenn jemand zum Beispiel die Neigung hat, seine Haut aufzukratzen, sich die Haare auszuziehen oder die Fingernägel zu kauen, spricht es immer für eine psychische Anspannung. In diesem Fall versteht man relativ leicht die Sprache der Haut. Hauterkrankungen haben sogenannte Prädilektionsstellen, das heißt, sie treten immer an bestimmten Stellen des Körpers zutage. Die Neurodermitis beispielsweise in den Ellbeugen, die Schuppenflechte an den Ellbogen. Wenn eine solche Erkrankung plötzlich im Genital auftaucht, hat das in der Regel eine psychische Bedeutung, die man erfassen kann. Zum Beispiel Schamgefühle, weil man fremdgegangen ist.

Inwieweit prägt unsere Haut das Selbstwertgefühl? Wir sprechen ja davon, dass jemand, der sich in seiner Haut wohlfühlt, das auch auf andere ausstrahlt.

UWE GIELER: Das hat ganz klar eine enge Verbindung. Malen Sie sich einen roten Punkt auf die Wange und gehen auf die Straße. Sie werden schnell merken, wie viele Leute Sie anstarren. Und Sie werden sich nicht wohlfühlen, weil Sie sich, wie wir Fachleute sagen, stigmatisiert fühlen. Über diese Stigmatisierung schlägt sich das sofort auf das Selbstwertgefühl nieder. Deswegen versuchen wir derzeit im Berufsverband der Hautärzte Deutschlands Kam­pagnen durchzuführen, um auf diese Stigmatisierung hinzuweisen. Und auch um zu verhindern, dass Menschen zum Beispiel der Zutritt ins Schwimmbad verwehrt wird, weil sie eine Haut­erkrankung haben. Auch wenn diese nicht ansteckend ist, passiert das regelmäßig bei Schuppenflechte. In der Psychodermatologie kennen wir auch die sogenannte antizipierende Stigmatisierung, das heißt, jemand geht von einer Stigmatisierung aus und vermeidet schon deshalb die Situation. Ein anderes Beispiel sind angeborene Hautveränderungen wie ein sogenanntes Feuermal. Das wird interessanterweise in aller Regel in die eigene Persönlichkeit und das Selbstwertgefühl gut eingebaut, weil wir ja in den ersten beiden Lebensjahren unseren Selbstwert entwickeln. Hat jemand aber einen Verkehrsunfall oder eine Akne in der Pubertät entwickelt, wo das Persönlichkeitsbild zwar schon vorhanden, aber etwas wackelig ist, kann das sehr deutliche Auswirkungen haben.

Akne, Altersflechten oder Feuermale bereiten meist keine, andere Hautveränderungen wie Neurodermitis oder Schuppenflechte große Beschwerden. Beides wirkt jedoch nach außen, das eine wie das andere. Warum reagiert die Umwelt so abwertend?

UWE GIELER: Weil es als unhygienisch und damit möglicherweise infektionsgefährdend angesehen wird. Das ist eine biologische Eigenschaft, die sich über Jahrtausende transferiert hat. Jeder kann zum Beispiel mit Schuppenflechte ins Schwimmbad oder zum Friseur gehen, da sie nicht ansteckend ist. Aber in Indien leben Menschen mit Schuppenflechte immer noch in Leprosorien. Das war auch im Mittelalter in Deutschland so. Von daher gibt es noch immer diese sehr biologisch determinierte Wahr­nehmung, wie Evolutionsbiologen berichten. Dass Ansteckungen ganz anders laufen, wissen wir spätestens seit der Corona-Pandemie. Mit wissenschaftlicher Information kann man aufklären und Veränderungen herbeiführen.

Sie haben die Schuppenflechte und die Neurodermitis angesprochen. Haben in den vierzig Jahren Ihrer Beschäftigung mit der  Dermatologie Hauterkrankungen zugenommen?

UWE GIELER: Sie sind sicherlich mehr ins Bewusstsein getreten. Und natürlich gibt es Verschiebungen innerhalb der Krankheiten. Die Anzahl der an Neurodermitis Erkrankten ist beispielsweise angestiegen, was offensichtlich mit Umweltfaktoren zu tun hat. Die immunologische Reaktionsbereitschaft zu einer Entzündung hat durchaus zugenommen. Studienergebnisse belegen, dass beispielsweise die Neurodermitis in Städten vermehrter auftritt als auf dem Land. Und es herrscht ein Nord-Süd-Gefälle, also in Skandinavien öfters als in Italien oder Griechenland. Verantwortlich dafür sind sehr deutliche Umwelteinflüsse, aus psychodermatologischer Sicht Stressbelastungen. Von daher hat die Neurodermitis zugenommen, während die Schuppenflechte ebenso wie die Akne gleich geblieben sind in den Prävalenzzahlen der epidemologischen Studien. Auch die Rosacea, die Gesichtsröte, gab es in dieser Form schon immer. Aber die Tatsache, dass wir heute sehr viel Wert auf Schönheit, auf Attraktivität und Fitness legen, hat dazu geführt, dass der Leidensdruck angestiegen ist. Erkrankungen, die rein psychologisch sind, wie zum Beispiel die Entstellungsangst, die sogenanntekörperdysmorphe Störung, haben definitiv zugenommen.

Welches sind derzeit die häufigsten Krankheitsbilder der Haut?

UWE GIELER: Die Schuppenflechte, die Neurodermitis und die Akne. Sie betreffen jeweils etwa drei Millionen Menschen in  Deutschland, also insgesamt zehn Millionen Menschen. Man geht heute davon aus, dass ein/e Allgemeinarzt/-ärztin heutzutage bei  jedem fünften oder sechsten Patienten eine Hauterkrankung zumindest mitbehandelt. Dabei muss sich der Hinweis auf sogenannten Neurodermitis-Schulungen noch stärker verbreiten. Denn je besser die Patienten über ihre Erkrankung informiert sind, desto  erfolgversprechender ist die Behandlung.

Bislang haben wir über das Innere gesprochen. Wer ist der schlimmste Feind unserer Haut von außen?

UWE GIELER: Die schlimmsten Feinde der Haut sind Sonne und Nikotin. Und dann kommt lange nichts, es folgen chemische  Irritationen, einschließlich Nickel oder Metalle, und vielleicht irritative Stoffe wie Seife beispielsweise.

Auch in diesem Sommer setzen viele Menschen ihre Haut an der See oder im Gebirge der Sonne aus. Wie kommt es zu dieser  Bräunungsleidenschaft, obwohl die meisten Menschen wissen, dass sie schädlich ist?

UWE GIELER: Das Massenphänomen des Bräunens herrschte im Wesentlichen in den 1950er- und 1960er-Jahren vor, weswegen wir derzeit eine massive Zunahme von Hautkrebs feststellen müssen. Die Menschen haben sich in dieser Zeit an der Adria und an der Costa del Sol gebräunt, haben Stunden in der Sonne verbracht, sind jetzt 80 oder 90 Jahre alt und entwickeln Hautkrebs. Wir erleben derzeit einen gewissen Gipfel.  Natürlich verbringen die Leute heutzutage noch immer zu viel Zeit in der Sonne. Trotz der von den Hautärzten gestarteten Präventionskampagnen. Auch der Besuch von Solarien hat dazu geführt, dass der Hautkrebs in allen Varianten zunimmt.  Die berühmte Diskussion um das Vitamin D ist aus meiner Sicht nicht sehr relevant, weil eine Sonneneinwirkung, selbst mit Wolken,  von etwa zehn bis 15 Minuten pro Tag ausreicht, um genügend Vitamin D zu produzieren. Ich hoffe, dass es in zwanzig oder dreißig Jahren von heute ausgesehen weniger Hautkrebsfälle geben wird.

Sie sprachen das Bemühen um Schönheit und Fitness in unserer Gesellschaft an. Gibt es denn steigende Zahlen von  Schönheitsoperationen?

UWE GIELER: Die Zunahme der Schönheitsoperationen ist ein Fakt, und zwar um 15 bis zwanzig Prozent. Übrigens während der  Corona-Pandemie noch einmal mehr. Denn Nasen- und Gesichtsoperationen lassen sich unter der Maske leichter verbergen. Insgesamt  liegt Deutschland an fünfter oder sechster Stelle mit den weltweiten Schönheitsoperationen, führend ist Brasilien vor den USA. Auch die Anzahl der Fachärzte für plastische Chirurgie und für kosmetische Dermatologie hat zahlenmäßig zugenommen. Ich sehe das als Psychodermatologe immer sehr  kritisch, weil zwei Phänomene zusammenkommen. Die subjektive Einstellung, dass derjenige etwas an seinem Äußeren verändern  möchte, weil er meint, zum Beispiel bei einem Bewerbungsgespräch nicht gut anzukommen. Auf der anderen Seite gibt es jemanden, der diese Operationen durchführt und ein ökonomisches Interesse daran hat. Es handelt sich ja in aller Regel nicht um Kassenleistungen, so dass diese Operationen privat finanziert werden. Regelungen über die Notwendigkeit des Eingriffes gibt es keine. Ich hingegen muss als Psychotherapeut bei der Krankenkasse einen Antrag stellen, damit ich eine Therapie durchführen kann, ein sachverständiger Gutachter  urteilt darüber. Im Bereich der Schönheitsoperationen kommt es zu einer Win-win-Situation, der eine möchte unbedingt, der andere verdient daran.

Würden Sie sich für eine Regelung aussprechen? Zum Beispiel, dass ein zweiter Arzt den Patienten begutachtet?

UWE GIELER: Ja. Es gibt sehr viele Ärzte, die Operationen sehr vernünftig und überlegt durchführen und einige Menschen auch nicht operieren. Aus ethischen Gründen oder zum Beispiel, wenn sie wissen, dass eine psychische Belastung vorliegt, wie die sogenannte  körperdysmorphe Störung. In der plastischen Chirurgie und der kosmetischen Dermatologie sind ungefähr zehn Prozent der Patienten betroffen. Bei diesen Patienten muss man  davon ausgehen, dass die Eingriffe nicht zu einer Besserung führen. Umgekehrt heißt es, bei neunzig Prozent sind sie in der Regel in Ordnung.

Phänomene wie Fingernägelknibbeln oder Hautpulen kennt wahrscheinlich jeder Mensch. Wie oft kommt es in Ihrer Praxis vor, dass Menschen sich selbst verletzen und warum tun sie das?

UWE GIELER: Als Chefarzt einer psychosomatischen Klinik mit dem Schwerpunkt Haut ist die Hälfte meiner stationären Patienten wegen Haut­problemen in Behandlung, das heißt, ich begegne diesem Krankheitsbild sehr häufig. In einer Repräsentativerhebung haben wir jedoch herausgefunden, dass das Phänomen des Knibbelns der Haut grundsätzlich auch in zehn bis elf Prozent der Bevölkerung anzutreffen ist. Nicht schwerwiegend, also nicht behandlungsbedürftig. Allerdings zeigt diese Erhebung auch, dass bei 1,7 Prozent der Bevölkerung das Ausmaß dieses Phänomens, wir nennen es skin picking, behandlungsbedürftig ist, also einer Zwangshandlung entpricht.

Wie behandeln Sie dieses skin picking?

UWE GIELER: Wie eine Zwangserkrankung, weil gutes Zureden nicht hilft. Es gehört entweder ein Selbsthilfeprogramm dazu, wenn massive  psychische Belastungen des Lebens vorliegen, eine Psychotherapie oder die stationäre Behandlung. Und zwar immer dann, wenn man merkt, dass es  nicht selber beherrschbar ist. Eine kleinere Gruppe, also etwa ein Fünftel der Befragten, folgte eher einer sogenannten impulsiven Handlung. Das heißt, skin picking findet in sehr angespannten Situationen statt. Dem liegen verschiedene Ursachen zugrunde, wie zum Beispiel eine Borderline-Störung, ein Trauma oder eine hohe Anspannungssituation. Dazu gehören das Nasebohren, die Trichotillomanie, also das Haare ausreißen, das Fingernägel und in den Wangen kauen.

Wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es also verschiedene Typen von Betroffenen. Die einen leiden unter einer chronischen Hauterkrankung und  sind dadurch psychisch belastet und die anderen haben eine psychische Erkrankung, die zu Hautproblemen führt.

UWE GIELER: Ganz genau. Damit ist die Einteilung sehr klar klassifiziert. Das heißt, wir gehen heute von drei Faktoren aus. Es besteht eine chronische Hauterkrankung, die  sich durch Stresseinflüsse verschlechtert oder länger besteht. Das gilt zum Beispiel auch für Wunden. Wenn ich eine  Wunde habe und gleichzeitig eine massive Stresssituation, heilt die Wunde schlechter. Auch das ist gut bewiesen. Als Zweites haben wir eine   Erkrankung, bei der die psychische Problematik im Vordergrund steht und die Haut  nur das Austragungsorgan ist. Das heißt, der Patient könnte genauso gut  Kopfschmerzen entwickeln. Aber die Haut ist ein leicht zugängliches Organ. Gerade Menschen, die sich selbst verletzen, setzen das quasi wie ein Medikament ein. Sie können sich durch Selbstverletzung aus dieser Spannungssituation  herauskatapultieren. In die dritte Kategorie Patienten fallen die­jenigen, bei denen die Probleme nebeneinander liegen. Das heißt, sie haben zum Beispiel eine Depression und eine Hauterkrankung, die  nichts miteinander zu tun haben. Das gibt es auch.

Wenn jemand sehr unter seinem Hautproblem leidet, was raten Sie dem?

UWE GIELER: Zunächst einmal muss der Patient sich fragen, ob er mit dem Problem alleine fertig werden kann, indem er sich Vorgänge kognitiv klar macht. Die zweite  Stufe stellt die Frage nach vertrauten Personen, mit denen man sich austauschen kann und so Erleichterung findet. Und die nächste Stufe wäre das Erlernen von    Entspannungsverfahren, Meditation, Achtsamkeit oder eben auch der Besuch von  Selbsthilfegruppen. Im nächsten Schritt muss in einem Gespräch mit der Hautärztin, dem Hautarzt die Möglichkeit einer ambulanten Psychotherapie oder einer stationären bzw. teilstationären Reha ausgelotet werden.

Was wünschen Sie sich in der Therapie von Hauterkrankungen für die kommenden Jahre?

UWE GIELER: Wir müssen in der Forschung genauer herausfinden, wie wir positive Einflüsse auch dann umsetzen können, wenn sich Stressbelastung auf der Haut zeigt.  Wie wir Resilienz, Selbstwertgefühl, Selbstakzeptanz fördern können. Da fehlt die  Forschung. Als Zweites wünsche ich mir, dass die Hautärzte mehr Zeit für die   Patienten haben, um die Wahrnehmung für diese zu schärfen, und dieses entsprechend bezahlt wird. Heute haben Hautärzte durchschnittlich vier bis fünf Minuten pro  Patient, sonst trägt sich eine Praxis ökonomisch nicht.

 

Das Gespräch führte Kathrin Jütte am 7. Juni per Videokonferenz.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Gesellschaft"