Postkarte an Putin

Eine Sendung an Russlands Präsidenten, um dem Frieden eine Chance zu geben
Constantin Gröhn schreibt eine Postkarte an Putin
Foto: privat
Unser Autor Constantin Gröhn und seine Postkarte an Putin.

Ich habe am Wochenende Wladimir Putin eine Postkarte geschrieben. Als Karten-Motiv habe ich eines der dänischen Künstlerin Julie Nord (geboren 1970) genommen. Vor Jahren hatte ich mir die Karte im Norddiska Aquarell-Museum auf der Insel Tjörn, 70 Kilometer nördlich von Göteborg, an der schwedischen Westküste gekauft.

Nun war der Anlass gekommen, sie zu versenden. Ein Zebra ist auf der Vorderseite zu sehen mit Rock und Oberteil und einer Schleife am Kopf. Ich vermute, es ist ein Weibchen. Seine Vorderhufe (oder sind es Hände?) sind blätterlose Zweige; die Arme beziehungsweise Beine sind wie die Stämme eines noch jungen Baums. Auf den Zweigen sitzt ein Vogel, auch er hat eine Schleife, doch sein Kopf ist der Totenschädel eines Menschen - vielleicht eines Kindes.

Das passt doch irgendwie, denke ich bitter. Es ist eine Katastrophe, die gerade in der Ukraine geschieht. Aber es ist nicht nur eine Katastrophe für die Ukraine und die ihr ausgelieferten Frauen und Männer und Kinder, sondern auch eine für die gesamte Welt: „Krieg hat eine große Zukunft“ schreibt Harald Welzer im futurzwei-Magazin. Denn nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die ökologischen Folgen der Zerstörungen werden wir und alle Lebewesen, die diesem Krieg nur teilnahmslos zuschauen können, in dieser Zukunft noch zu spüren bekommen.

„Wir wollen Frieden mit allen Menschen“

Sorgsam male ich die kyrillischen Buchstaben von einer Textvorlage ab. Die Worte, die ich dem russischen Präsidenten schreibe, sind wenig originell. Ich habe sie eins zu eins von einem Aufruf des Internationalen Versöhnungsbundes übernommen, der die Aktion „Postkarten an Putin“ ins Leben rief. In der deutschen Übersetzung lautet der Text: „Sehr geehrter Herr Präsident Putin, ich ersuche Sie dringend, die ‚Operation‘ in der Ukraine sofort zu beenden, die russischen Truppen nach Russland zurück zu beordern und an einer friedlichen Lösung mitzuwirken. Wir wollen Frieden mit allen Menschen einschließlich aller Menschen in der Russischen Föderation.“

Die Idee ist, durch eine Vielzahl an Postkarten, die aus der ganzen Welt in Russland eintreffen und die auch von Menschen, die bei der Post arbeiten, gelesen werden könnten, zum Nachdenken anzuregen. Die friedensbewegten Menschen in Russland müssen doch unterstützt werden! Am Ende der Karte frage ich mich, ob nicht noch etwas fehlt und empfehle mich mangels Russischkenntnisse auf Deutsch „mit besten Grüßen“. Unleserlich kritzele ich meinen Namen hinten ran.

Wieso aber hinterlasse ich meinen Namen nicht klar und deutlich? Glaube ich denn, dass Handlanger des Präsidenten mich eines Tages strafen werden, weil ich es gewagt hatte, Herrn Putin eine Postkarte zu schreiben? Ein wenig Sinn zu stiften, in dieser großen Sinnlosigkeit der Zerstörung ist mir wirklich überzeugend bislang nicht gelungen – nicht einmal für mich selbst.

Sollte ich dem Bundeskanzler schreiben?

Auch überlege ich, ob es nicht richtig wäre, unserem Bundeskanzler zu schreiben. Nach dem G7-Gipfel in Elmau beispielsweise hätte ich dies gerne getan. Waren das nicht geradezu russische Verhältnisse, als sich die Regierungschefs der G7 als „Vertreter der freien Welt“ selbst lobhudelten und mit Bussen gerade einmal 50 Menschen in Sicht-, aber nicht in Hörweite des Tagungsgebäudes bringen ließen? Nach den Vereinbarungen, die Beschlüsse der Klimakonferenz in Glasgow aufzuweichen und neue Mittel in die Förderung fossiler Energien zu investieren, etwa in die Erschließung von Gasfeldern in Senegal, hätte auch das Kartenmotiv von Julie Nord wieder gepasst. Für diese nicht-nachhaltigen „Kredite aus der Zukunft“ wären doch ein paar Postkarten mehr fällig. 

Alleine aber macht das Schreiben wenig Freude. Daher gefällt mir auch die Aktion und Selbstbeschreibung des Internationalen Versöhnungsbundes, der sich als eine spirituell begründete Bewegung von Menschen versteht, die sich aus ihrem Glauben an die Macht der Wahrheit und der Liebe um Gerechtigkeit bemühen.Wir tun dies als Gemeinschaft von Menschen, die auf der Suche sind“ heißt es dort. „Wir wissen, wir haben die Wahrheit nicht mit Löffeln gefressen. Wir wissen aber auch, dass es die Wahrheit gibt. Dass es nicht beliebig ist, was wir tun, sondern dass unser Tun Einfluss darauf hat, wie es uns, unseren Mitmenschen und den Generationen nach uns ergeht.“

Nächste Karte an mich selbst

Die nächste Postkarte, um sich auf den Weg zu machen und seinen Teil dazu beizutragen, dass diese Welt ein für alle Menschen bewohnbarer Planet bleibt oder wird, geht aber an mich selbst. Das Postkarten-Motiv habe ich mir noch nicht überlegt. Vielleicht werde ich wieder bei Julie Nord fündig. Ich habe da noch eine Karte mit einer Mauer mit Blumen und einem Schmetterling und einem jungen Mädchen, das einen Kinderwagen voller toter Gebeine fährt. Es ist eine Erinnerung an mich selbst, alles zu geben, damit (meine) Kinder den Teil der Zukunft (und Gegenwart) mit den Gebeinen im Kinderwagen nicht erfahren müssen, sondern den mit Mohnblumen und Lupinen und dem blau gescheckten Schmetterling.

Ich lese den diesjährigen Bericht des Weltklimarates und den des Weltbiodiversitätsrates, und ich lese über die Einschätzung eines langjährigen Stellungskrieges in der Ukraine; und es geht mir wie einst dem Vater im Evangelium des Markus, der in einem kurzen Moment des Glaubens und der Zuversicht zu Jesus sagt: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben“ (Mk 9,24). Daher auch diese Karte.

Dr. Constantin Gröhn ist mit  Dr. Sarah Köhler von der Arbeitsstelle „Anthropozän“ im „Ökumenischen Prozess Umkehr zum Leben“ Autor des Konzeptes „Paradising“. 

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Foto: Asmus Henkel

Constantin Gröhn

Constantin Gröhn (geboren 1976) ist theologischer Referent für Diakonie und Bildung in Hamburg. Er versucht dem Motto Ludwig Feuerbachs „Du bist, was Du isst“, immer mal wieder auf die Spur zu kommen.


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