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Schöpfungstheologie: Einige kritische Anfragen an Jürgen Moltmann und andere
Maiwanderung in Oberfranken
Foto: Oliver Mohr/pixelio.de
Maiwanderung in Oberfranken

Endlich kommt Bewegung in die Theologie.  Das Ringen um eine neue Schöpfungstheologie, wie sie sich nicht nur in den Debatten der letzten Monate auf www.zeitzeichen.net niedergeschlagen hat, nimmt an Dringlichkeit und Intensität zu.  "Wir haben ein schrumpfendes Zeitfenster", warnte bei der Präsentation des neuesten Klimaberichts des Weltklimarates der Vereinten Nationen (IPCC) der Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Professor Hans-Otto Pörtner. Dass die Zeit drängt, wissen wir zwar seit 50 Jahren, spätestens seit dem ersten Bericht "Die Grenzen des Wachstums" des Club of Rome. Seitdem klimatische Veränderungen jedoch auch in bisher gemäßigten Zonen auftreten, wird vielen deutlich, wie sehr sich das Zeitfenster zum Handeln schließt. Wenn Überschwemmungen das eigene Haus gefährden oder das Rodeln im Winter nicht mehr möglich ist, dämmert dem einen oder der anderen, dass wir vor großen Veränderungen stehen. 

Die anstehende „große Transformation“, vor der wir global stehen, macht auch vor den Kirchentüren nicht halt. „Glaube Liebe Wandel. Kirche in der sozial-ökologischen Transformation“ hieß zum Beispiel ein Online Kongress der evangelischen Akademie im Rheinland in Kooperation mit der Melanchton Akademie in Köln im Frühling dieses Jahres. In den Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Politikerinnen und Politikern Kirchenverantwortlichen, Theologinnen und Theologen, darunter auch Jürgen Moltmann, wurde schnell deutlich, dass die anstehende Transformation mit Fahrradfahren und weniger Fleisch essen, also individuellem Handeln, allein nicht zu bewältigen ist. Vielmehr brauchen wir auf politischer, individueller und spiritueller Ebene ineinandergreifende neue Paradigmen des Agierens.

Vor kurzem hat Jürgen Moltmann in seinem Beitrag für die Juni-Ausgabe der zeitzeichen nochmals sehr eindrucksvoll bekräftigt, wie er sich ein neue spirituell-theologische Antwort auf die ökologische Krise vorstellt. Scharfsinnig hat er dabei die vor uns liegende Aufgabe umrissen: „Wir brauchen auch ein neues Naturverständnis, das die Natur der Erde aus der modernen, entfremdenden Objektstellung herausbringt. Wir brauchen ein neues Menschenbild, das die Menschen in der Schöpfungsgemeinschaft ansiedelt. Wir brauchen endlich eine neue kosmische Spiritualität, die das gelebte Leben heiligt und Ehrfurcht vor dem Leben in allem Lebendigen erweckt.“  Um die „Verdinglichung der Natur“ zu überwinden, schlägt er sodann vor, „diese Objektstellung (der Natur) aufzuheben und die ursprüngliche Subjektivität wieder herzustellen“. Die Natur wird damit zu einem eigenständigen „Subjekt“ aufgewertet, dem unveräußerliche Rechte zugestanden werden.

Zerstörerische Logik

An dieser Stelle kommen mir Zweifel, ob wir die zerstörerische Subjekt-Objekt-Logik wirklich durchbrechen, wenn wir lediglich die Positionen innerhalb dieser Logik verschieben. Es liegt, so denke ich, auf der Hand, dass für eine wirkliche Transformation und einen theologischen Paradigmenwechsel eine bloße Positionsverschiebung innerhalb bestehender Schemata nicht ausreichend ist. Was wir brauchen, ist ein wirklicher Neuansatz der Theologie und damit auch der Schöpfungstheologie, in dem handlungsrelevante, erfahrungsgebundene und spirituelle Aspekte vor jeder Subjekt-Objekt-Spaltung beieinander liegen.

Wenn wir zu einem neuen Verständnis und vor allem zu einem andersartigen Umgang mit der Natur kommen wollen, braucht es, das hat Moltmann richtig gesehen, auch ein neues Selbstverständnis des Menschen. Wir müssen dann aber einen Ausgangspunkt finden, an dem der Mensch der Natur nicht schon als isolierte „res cogitans“ gegenüber steht, sondern sich leiblich-affektiv mit der Natur verbunden vorfindet. Denn vor allem Denken und Unterscheiden ist der Mensch Leibwesen, das mit seiner Umwelt immer schon in Kontakt steht. Wenn wir ein neues Natur- und Selbstverständnis entwickeln wollen, müssen wir bei bedeutsamen Erfahrungen ansetzen, in denen der Mensch sich bereits in Austauschbeziehungen mit der Natur erlebt, ohne diese bereits sprachlich fassen zu können.  

Kurz gesagt: Es geht um eine The(i)o - Logie, in der die Dimension des Göttlichen möglichst weit gefasst wird (theion: das Göttliche), die noch vor dem unterscheidenden Logos liegt und somit eine Pro-The(i)ologie wäre. Der Kieler Philosoph Hermann Schmitz und in Anknüpfung an ihn Gernot Böhme haben mit dem Begriff der Atmosphäre und des affektiv-leiblichen Betroffenseins eine neue sprachliche Basis geschaffen, um den Menschen nicht länger als autonomes und isoliertes Wesen wahrzunehmen, sondern ihn als immer schon von Atmosphären Betroffenen und Eingebundenen zu verstehen. Die Natur wird dann zum (intermediären) Zwischenraum, in dem der Mensch noch vor jeder sprachlich fassbaren Subjekt-Objekt-Spaltung ein leiblich-affektives Eingebundensein in ein großes Ganzes erfährt.

Ein Durchbrechen des Herrschaftsgedankens der Natur gegenüber wird nur gelingen, wenn wir die Natur als etwas erleben (und später dann auch verstehen lernen), das mit uns immer schon verbunden ist und das wir nicht zerstören und beherrschen können, ohne uns selbst zu schaden. Was wir neu entdecken müssen, ist „die Natur, die wir selber sind“ (Gernot Böhme).

Schritte Gottes im Garten Eden

Auch in theologischer Hinsicht wird es Zeit, die Natur als Ort der Gottesgegenwart neu zu verstehen, die Schritte Gottes im Garten Eden erneut zu hören. Die Sprachfixierung der Theologie hat dazu beigetragen, die Gegenwart Gottes an das Wort zu binden. Dabei bildet gerade die Natur als intermediärer Zwischenraum (D. Winnicott) die Chance, das Göttliche als das zu erleben, dass mich unbedingt (leiblich und affektiv) ergreift. Gerade die Natur kann zum Ort werden, an dem das Göttliche wie eine Atmosphäre co-präsent mit mir anwesend ist. Was sich zwischen mir und dem Göttlichen dann ereignet, entzieht sich jeder subjekt-objekt-verhafteten Logik. Der Psychoanalytiker Donald Winnicott beschreibt diesen intermediären Zwischenraum als den Raum, in dem die Frage „Hast du das erfunden oder hast du es vorgefunden“ keine Gültigkeit hat. Der intermediäre Raum ist der Ort, an dem Religion und Kultur entspringen.

Wenn wir also über eine neue (Schöpfungs-) Theologie nachdenken, die den Herausforderungen und Krisen der Gegenwart gewachsen sein soll, dann werden wir nicht umhin kommen, einem naturwissenschaftlich-instrumentellen Zugang zur Natur seine Begrenztheit aufzuzeigen, wie der Philosoph Thomas Nagel es getan hat, und zugleich die Natur als Ort der Selbstwahrnehmung des Menschen als Teil der Natur und der Erfahrung des Göttlichen in der Natur neues Gewicht zu geben. Denn die Religion hat ein ureigenstes Interesse daran, Wüsten und Wälder, Wiesen und Meere als Orte der möglichen Gottes Gegenwart zu bewahren.

Von einer solchen Spiritualität werden dann auch handlungsleitende und politische Impulse zum Erhalt der Natur als Resonanzraum des Göttlichen ausgehen. Der Arzt und Psychiater Luc Ciompi hat gezeigt, wie sehr Denken, Fühlen und Verhalten miteinander durch Affekte verbunden sind. Eine solche Einheit wiederherzustellen und neu zu codieren wird Aufgabe einer Spiritualität oder - wie ich es nenne - einer Freestyle Religion für das 21. Jahrhundert sein.

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Foto. privat

Uwe Habenicht

Uwe Habenicht, reformierter Pfarrer in St. Gallen Straubenzell (Schweiz) und Autor.  Zuletzt erschien von ihm „Draussen abtauchen“. Freestyle Religion in der Natur, Echter 2022.


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