Feinsinnig

Über den Trost

Der Bedarf nach Trost ist in den vergangenen beiden Jahren rapide gewachsen. Für den Theologen Hans-Jürgen Benedict ist Corona mehr als nur Auslöser neuer Ängste und Nachdenklichkeit oder der Verlust elementarer Lebensgewohnheiten.

Das Buch beginnt mit der trostlosesten Zeit der Menschheitsgeschichte, den sechs Millionen jüdischen Opfern der Shoah und den sechzig Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges.

Ausgehend von eigenen Erfahrungen frühkindlicher Trostlosigkeit während und nach dem Zweiten Weltkrieg, wirft der Autor prüfende und erklärende Blicke auf literarische, politische und kirchliche Versuche einer Trostvermittlung.

Feinsinnig beschreibt er die seelsorgerlich tröstliche Rolle Arthur Goldschmidts im KZ Theresienstadt. 1933 wurde der Richter am Hamburger Oberlandesgericht aus dem Amt gedrängt. Seine Andachten als evangelischer Christ jüdischer Herkunft auf einem Dachboden im KZ waren eine „Diesseitsermutigung“ für die ausgemergelten Häftlinge, deren Abtransport in die Vernichtungslager absehbar war.

Ebenso würdigt Benedict die Lebensleistung von Elisabeth Schmitz als einsame Widerstandskämpferin und „christlich-fromme Studienrätin“. Sie half verfolgten Juden und ermutigte in regem Briefverkehr potenzielle Partner in der Bekennenden Kirche, sich für den Schutz der jüdischen Bevölkerung einzusetzen. Goldschmidt und Schmitz und andere Zeugen des Widerstands sind für Benedict in der Retrospektive tröstliche und ermutigende Beispiele dafür, dass es keine totale Trostlosigkeit gegeben hat und gibt.

Wie steht es um Trost in Gesellschaft und Kirche inmitten von Krisen und Corona-Zeiten? Welche Quellen, Vorbilder, Situationen gibt es, in denen Trost sich bewährt hat? Trost vollzieht sich für den Autor in der Gegenwart mindestens als Ermutigung zur Geduld und Hoffnung. Während Vertröstung Aufschub beinhaltet und Trost zum Spekulationsobjekt der Zukunft macht.

In Corona-Zeiten heißt dies für den Menschen, vor allem so zu handeln, als ob es Gott nicht gäbe (Bonhoeffer 1944). Zugleich müssen wir eingestehen, trotz technischer und wissenschaftlicher Möglichkeiten die Zukunft nicht im Griff zu haben. Der eingreifende Gott ist lange tot. Aber es „gibt“ Gott als Beziehungskraft. Als Christen sollten wir – so Benedict – den Glauben an den Gott, der sagt: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig (2. Korinther 12,9), nicht aufgeben. „Die Pandemie ist eine Erinnerung an das Unverfügbare vor allem in dem Sinn, dass dieser Glaube den Menschen trotz aller Schwierigkeiten in seinem Kampf um Rettung stärken kann.“ Damit gibt er der Pandemie eine neoreligiöse Funktion, der die Religionsgemeinschaften mit seelsorgerlichen Initiativen und Antworten entsprechen sollten. Die Entdeckung des Unverfügbaren wird zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe.

Der Autor fragt zurecht, ob die gängige und damit „verfügbare“, auf den auferstandenen Christus ausgerichtete Auslegung der Emmausgeschichte bei der ökumenischen Gedenkfeier in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin am 18. April 2021 die passende Botschaft für Angehörige und Trauerndes der Covid-19-Opfer gewesen ist.

Benedicts Ausschau nach Trost macht deutlich, dass wir uns auf eine breit angelegte Suche begeben müssen. Tröstliche Ereignisse und Verhaltensweisen fallen oft in die schmalen Ritzen zwischen dicken Bohlen, auf denen sich Geschichte formiert. Dies liegt wohl daran, dass Trost sich eher als ein individueller Vorgang vollzieht und nicht als kollektiver, öffentlicher Prozess. So fiel es den Kirchen nach 1945 schwer, sich explizit zur Mitschuld an der Vernichtung der europäischen Juden zu bekennen.

Dieses Schweigen hat in den Nachkriegsjahren viele Deutsche zu der Auffassung gebracht, sie hätten wegen Ausschwitz ihr „Recht“ auf Trauer und damit auch ihr „Recht“ auf Trost verwirkt. Dieses Buch sichtet vornehmlich verschüttete und glaubwürdige Trostquellen. Es zeigt, wo Trost gelingt oder an Grenzen stößt. Tröster in Kirche und Gesellschaft sind lebensrelevant. Sie sollten zusammenhalten und populistischen Vertröstungen kritisch begegnen. Wer nach Trost sucht, ist mit dieser Lektüre gut versorgt.

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