Der Ostseeurlaub war lang ersehnt, zwischen Peenemünde und Swinemünde locken die kaiserlichen Promenier-Kilometer zum Auswandern inmitten von weißem Sand und noch weißeren Villen. Als überall in Berlin noch die Schlote rauchten, für die meisten die Luft nicht zum Atmen war und die Behausung nicht zum Leben, da entstand hier diese Parallelwelt zum Entzücken und Entrücken der verrußten Industriestädter. Noch heute künden die Jugendstilfassaden vom floralen Protest gegen das heranwalzende Maschinenzeitalter.
Was hat sich verändert in gut hundert Jahren nach zwei Weltkriegen und vor der nächsten pandemischen Welle?
Zur Erkenntnis soll ein unfreiwilliger Fernsehnachmittag verhelfen, verursacht von einem stürmischen April-Vorboten. Urlaubsbedingt ist Realitätsentlastung verordnet, also werden aktuelle Nachrichten und vermeintliche Fakenews weiträumig umzappt. Vielmehr soll das Wunschprogramm irgendwo entfernt liegen zwischen Blauer Planet und terra-X.
Meine investigativen Gene werden von zwei Initialen mobilisiert: „VR und AR“ nennt sich das Thema. Der Virtuellen Realität kann ich noch bedingt folgen. Da handelt es sich um mit Schnorchelbrillen bestückte, native Erdbewohner, die sich dank eingebauter 360-Grad-Optik in virtuelle Paradiese beamen und dort mit Leib und Seele interagieren. Immersion nennt sich das betreffende Bewusstsein. Absolutes Neuland betrete ich danach mit AR, wieder mit Brille, aber in der Augmented Reality. Hier tauche ich nicht ganz aus der Wirklichkeit ab, sondern mutiere analog mit virtuellem Werkzeug. Kann es mir wohl auf der Suche nach Bernstein helfen?
Da macht sich wieder der April bemerkbar, trommelt mit Graupeln an mein Urlaubsfenster, über der See am Horizont ein Sonnenschein mit Regenbogen. Ich bleibe wohl zunächst mal hier.
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Kathrin Jütte
Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.