Was würde Jesus dazu sagen?

Palmarum 2022: Über Gewalt, Gewaltlosigkeit und Kreuze, die zu tragen sind
Friedensdemo in Rom, 8.4. 2022
Foto: picture-alliance
Mädchen auf einer Friedensdemonstration in Rom am 8. April 2022.

Wäre konsequente Gewaltlosigkeit in die Nachfolge Jesu besser gewesen als das alles zerstörende Elend, das nun die Ukraine überzieht? Dieser Frage gehen der Mathematiker Matthias Kreck und der Theologe und ehemalige Generalsuperintendent Rolf Wischnath in ihrem Beitrag nach.

Die alte Frage stellt sich auch in dieser Karwoche und zu Ostern 2022. Gedacht wird an den gekreuzigten und auferstandenen Christus. Und die Frage „Was würde Jesus dazu sagen?“ wird angesichts des Krieges in der Ukraine einmal mehr unausweichlich.

Als die Häscher Jesus gefangen nehmen und einer seiner Wegbegleiter ihn mit dem Schwert verteidigt, entgegnet er ihm: „Stecke dein Schwert an seinen Ort. Denn wer das Schwert nimmt, der soll durch das Schwert umkommen.“ Ein Mensch, der wie kein anderer unschuldig war, wird zum Opfer von Gewalt und verbietet die Gegenwehr.

Er folgt damit der Leitlinie, die sich wie ein roter Faden durch sein Dasein zieht: „Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden“. Und er sagt: „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin.“ Und darüber hinaus heißt es: „Liebt eure Feinde und tut denen Gutes, die euch hassen.“ „Segnet, die euch verfluchen.“

Eindeutiger kann man sich zur Frage, was Jesus dem sagt, der seine Ziele mit Waffengewalt durchsetzen oder sich mit Waffengewalt wehren will, nicht äußern:

Der Mann aus Nazareth verbietet Gewalt. Aber bezieht sich das auch auf Gegengewalt? Ja. Wer das fordert, muss sich fragen lassen, ob er es zu Ende gedacht hat, ob er die Abschaffung des Widerstandsrechtes fordert und ob ihm die Konsequenzen klar sind. Jesus sind die Konsequenzen klar. Es sind die Konsequenzen, die er für sich selber erwartet und am Kreuz erfährt. Darum kann er von sich und seinen Nachfolgern fordern: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Hier wird nichts abgemildert:

Wenn Jesus Christus vom Kreuz redet, dann ist es das Kreuz, das er selber tragen musste und an dem er getötet wurde. Es ist das Äußerste, was ein Mensch zu ertragen bereit sein soll.

Kreuz und Verheißung

Aber das ist nicht das Einzige, was Jesus zu den Konsequenzen sagt. Er verbindet es mit einer Verheißung. In den Seligpreisungen sagt er denen, die Frieden stiften, „dass sie Gottes Kinder heißen werden“. Und denen, „die da Leid tragen“ - und Leid wird denen, die sich nicht mit Gewalt wehren, drohen -, sagt er: „Denn sie sollen getröstet werden“. Zusammengefasst ist das der wahre Frieden.

Wie könnte im Ukraine Krieg wahrer Friede aussehen, wenn die Menschen hüben und drüben diesen Maximen gefolgt wären und dem Gekreuzigten auch jetzt noch folgten? Die Antwort hat zwei Seiten, eine überprüfbare und eine, die auf Hoffnung baut. Die überprüfbare wäre: Es wäre unendliches Leid vermieden worden. Denn was ist die Bilanz des nun bereits über viele Wochen andauernden Krieges?

- Der Waffengang in der Ukraine hat schon jetzt tausende Menschenopfer gekostet.

- Gefangennahmen und Versklavungen und Vergewaltigungen finden statt.

- Zerstörungen unvorstellbaren Ausmaßes geschehen.

- Flüchtlingsströme strömen von Ost nach West.

- Ein Einsatz von Atomwaffen droht. Er ist sogar in der Logik des Abschreckungssystem wahrscheinlich, wenn der Unterlegene im Krieg seine letzte Karte ausspielt.

- Unbeschreibliche Hungersnöte entstehen besonders in den Ländern des Südens, die bislang aus der Kornkammer Ukraine ernährt worden sind. Sie sind schon eingetreten – zusätzlich zu den unzähligen Hungersnöten, die aus unserem Gesichtskreis entschwunden sind.

Auch die Sanktionen gegen Russland sind Kriegsmittel. Sie werden eine unvorstellbare Armut zur Folge haben - nicht für Putin, seine politischen Speichellecker oder die sog. „Oligarchen“,             sondern für die sog. „kleinen Leuten“ in der Weite Russlands, die schon jetzt nicht Brot und Wasser genug zum Leben haben. Und: Aufrüstung, Aufrüstung, Aufrüstung. Und: Hass, Hass, Hass.

Geste der Feindesliebe

Der Krieg in der Ukraine ist schon jetzt grenzenlos geworden. Und die Kämpfe können noch Jahre dauern – vor allem in den Seelen der Menschen.

Aber was wäre bei der Alternative geworden? Wir wissen es nicht. Aber wenn Jesus Frieden verheißt, dann hat dieser Frieden zwei Seiten: nämlich die des Friedens Gottes, der höher ist als alle Vernunft und der sich einmal ganz auf Erden wie im Himmel durchsetzen wird. Und die andere Seite ist ein Hier und Jetzt zu achtendes Postulat, das keinen Menschen aufgibt, die Opfer nicht und noch nicht einmal den Gewaltherrscher im Kreml und erst recht nicht die mit einem Panzer ausgerüsteten und missbrauchten russischen Soldaten. Einige von ihnen waren nicht bereit, die sich Ihnen entgegenstellenden Wehrlosen zu überfahren. Dies mag nur eine Geste gewesen sein. Aber möglicherweise war sie auch die Folge einer Feindesliebe, die diese Soldaten zumindest hat dazu bewegen können, nicht zu schießen.

Viel „Menschenvernunft“ spricht gegen das Gebot der Feindesliebe. Was alles wäre auf die Menschen in der Ukraine zugekommen, wenn das Land sich mit den Mitteln der Gewaltlosigkeit verteidigt hätte? Und welch ein Aufschrei wäre erfolgt, wenn die christlichen Kirchen das in der Nachfolge Jesu Notwendige gesagt hätten.

Aber wäre denn die Nachfolge Jesu ein höherer Preis gewesen als das alles zerstörende Elend, das nun das Land überzieht? Und sollten Christen nicht auf die höhere Vernunft, auf die Gottes vertrauen und auf die Kraft, die Paulus verheißt: „Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist’s eine Gotteskraft.“ (1. Korinther 1,18)

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Matthias Kreck

Matthias Kreck (* 1947) ist Mathematiker an den Universitäten Bonn und Frankfurt. Nach seiner Promotion in Mathematik hat er (ohne Abschluss) vier Jahre evangelische Theologie studiert.


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