Besondere Passion

Das Projekt „Ebenbild“

Erkennen Sie die Melodie? Klar werden Sie sie erkennen, wenn Sie diese außergewöhnliche CD hören. Es handelt sich um die Weise, die viele sofort mit Paul Gerhardts berühmtem Passionschoral „O Haupt voll Blut und Wunden“ verbinden. Aber ihre Ursprünge liegen woanders. Der Komponist Hans Leo Hassler (1564  1612) veröffentlichte sie als Melodie des weltlichen Lieb- und Schmerzliedes „Mein Gmüth ist mir verwirret“ im Jahre 1601. Die erste geistliche Adaption geschah anno 1613 für den Choral „Herzlich tut mich verlangen“, bevor sie dann Johann Crüger in seinem Gesangbuch von 1656 dem Text Paul Gerhardts zuordnete. Dass diese Weise weltbekannt ist, liegt natürlich zum einen auch daran, dass allein glatt die Hälfte der zehn Strophen als Choräle in J. S. Bachs Matthäuspassion aufgenommen wurde, und zum anderen daran, dass sie von edel tieftrauriger Schönheit ist. So edel tieftraurig wie jenes lyrische Ich, das aus Hasslers Madrigal spricht.

Aus all dem haben der Oboist Juri Vallentin und das (Streich-)Trio D’Iroise eine Aufnahme produziert, die vom ersten bis zum letzten Klang fesseln kann. Sie trägt den Titel: EBENBILD. Die fünf Strophen von „Mein Gmüth“ werden, verteilt über die CD, von der Schauspielerin Caroline Junghanns gelesen, und zu jeder Strophe haben die Künstler gleichsam musikalische Ebenbilder gesucht, die jeweils die Feinstimmung der jeweiligen Strophe aufnehmen. Klingt kompliziert, ist aber letztlich nur schön und bereichernd, denn es gibt so viel Neues zu entdecken. Zum Beispiel das wunderbare Quadro des ansonsten eher unbekannten Barockkomponisten Johann Gottlieb Janitsch, das sich aber genau dieser Melodie verschrieben hat. Oder, ganz anders, die „Romance“ des australischen Komponisten Frederick Septimus Kelly, der 1916 im Ersten Weltkrieg fiel, oder – als Weltersteinspielung – das muntere Quatuor in d-Moll des französischen Romantikers Robert Nicolas-Charles Bochsa (1789 – 1856) und – wieder aus einer ganz anderen Klangwelt – die „4 Preludes to Infinity“ des zeitgenössischen Komponisten Teo Verbey (*1959). Verbunden, neben der Lesung, ist dies alles auch durch vier Bachchoralsätze der gemütsverwirrenden Melodie – und am Ende dann die berühmte Schlussfuge aus Bachs Kunst der Fuge.

Alles in allem ein abwechslungsreiches, klangvolles Pasticcio, das Geist und Gemüt beschäftigt, stärkt und ja, vielleicht zuweilen auch verwirrt. Aber man sollte dieses Gesamtkunstwerk passend zur Passionszeit nicht versäumen, auch nicht das überaus geistvolle Textensemble, das in der (plastikfreien!) CD-Hülle darauf wartet, gelesen zu werden.

Ein großer Wurf, der nur eins verlangt: Zuhören. Aber das fällt nicht schwer. Eher, damit wieder aufzuhören.

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