Bismarcks Unterhemd

Wie sich Hass verbreitet, zeigt das Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Rund zweihundert Hass-Objekte aus rund zweihundert Jahren erzählen von Resignation und Hoffnung.
Foto: Daniel Stauch Photography
Rund zweihundert Hass-Objekte aus rund zweihundert Jahren erzählen von Resignation und Hoffnung.

Peng! Der Schütze freute sich, hatte er 1792 doch genau ins Zentrum der Schützenscheibe getroffen. Der Zielpunkt: eine rote französische Freiheitsmütze der Revolution. Der Schütze aus Schwäbisch Hall hatte getroffen und damit auch das Symbol der Demokratie erledigt. Das war gewollt, genauso wie 1897 die Deutsche Reformpar­tei einen Stadtplan Heidelbergs in ihrer Zeitung Deutscher Volksbote verbreitete: Auf dem Bild waren die Hauptstraßen abgebildet, auf ihnen war „die Verjudung Heidelbergs“ dokumentiert. Jüdische Geschäfte waren in Blutrot gekennzeichnet. Das Bürgertum griff die Nachricht begierig auf. Nicht nur Richard Wagner, Karl May und Rudolf Steiner waren Antisemiten.

Zu sehen sind Schützenscheibe und Stadtplan, neben 198 weiteren Beispielen, in der Ausstellung „Hass!“ im Stuttgarter Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Die Ausstellung ist Teil einer Trilogie: „Gier, Hass, Liebe – was uns bewegt“. Jedem Thema ist eine eigene Ausstellung gewidmet. Die Ausstellung „Gier“ ist bereits gelaufen, „Liebe“ folgt im Dezember 2022.

In neun Bereichen haben die Ausstellungsmacher zweihundert Originalobjekte, mit denen Hass ausgelebt und verbreitet wurde, in einem Geflecht aus dünnen Segelleinen verbunden, so dass in diesem Dickicht klar wird, dass Hassobjekte und Hasswerkzeuge ebenfalls miteinander verbunden sind, wie auch die Menschen, die hassen. Ergänzt wurde das Ganze durch Tanz-, Musik- und Videoperformances, die Hass akustisch und visuell erleben lassen.

Wer hasst, hat einen Schuldigen für irgendetwas scheinbar Übermächtiges, Unverständliches, Neues und daher Bedrohendes gefunden. Wer hasst, lehnt andere Menschen so sehr ab, dass er in ihnen keine Menschen mehr sieht, sondern Objekte, die vernichtet werden müssen – so zu sehen in historischen Schriften der Nazis und der RAF. Die Ausstellung zieht mit ihren Themeninseln einen weiten Bogen von persönlichem, nationalistischem, rassistischem Hass hin zu revolutionärem, religiösem und sexistischem Hass.

„War doch nur ein Obdachloser!“ Am 15. Oktober 2003 schlugen Jugendliche im Alter von zwölf und 19 Jahren in der Nähe von Hockenheim Johann Babies zusammen. Bilder seiner Waldhütte sind zu sehen und eine künstlerische Figurenfolge seines Todes.

Max Schneckenburgers Liedblatt von 1840 ist ausgestellt: „Die Wacht am Rhein“ – bis in heutige Zeiten ein Hetzlied gegen die Franzosen: „Und ob mein Herz im Tode bricht, wirst du doch drum ein Welscher nicht!“ Vor wenigen Jahren noch verkündigte ein Jungpolitiker auf Facebook: „Nach Frankreich fahre ich nur auf Ketten!“

Johanna von Bismarck bewahrte zeitlebens ein Unterhemd des Reichskanzlers auf – mit zwei Schusslöchern, von ihr nur sehr grob gestopft. Bismarck wurde am 7. Mai 1866 von einem Studenten angeschossen, der den kommenden Krieg verhindern wollte. Bismarcks dicke Kleidung bremste die kleinen Kugeln lebensrettend ab. Frau Johanna verpackte das Unterhemd in einen Umschlag mit der Aufschrift: „Erinnerung an Gottes gnädige Errettung!“ Ein französischer Professor kommentierte die Tat in Berlin: „Was habt ihr in Deutschland für schlechte Pistolen!“

Am Schluss der Ausstellung das Positive: Irmela Mensah-Schramm hat in 340 deutschen Städten Hassbotschaften entfernt und archiviert – insgesamt 90 000 Aufkleber, die nicht mehr hetzen können.
 

Die Ausstellung „Hass!“ ist bis zum 24. Juli 2022 im Haus der Geschichte in Stuttgart zu sehen. Öffnungszeiten, Preise und aktuelle Coronabedingungen unter www.hdgbw.de.

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