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Zur theologischen Mitverantwortung in Zeiten der „schwelenden Ökotheologie“
Sonnenaufgang über dem Vulkan Haleakala, Insel Maui, Hawaii (November 2019).
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Sonnenaufgang über dem Vulkan Haleakala, Insel Maui, Hawaii (November 2019).

Die Diskussion um den theologisch rechten Umgang mit den ökologischen Herausforderungen der Zeit geht weiter. In seinem Beitrag verwahrt sich der geschäftsführende Direktor der Evangelischen Akademie Bad Boll, Jörg Hübner, dagegen, dass den „Weggefährten des Konziliaren Prozesses“ eine „moralische Häresie“ angehängt wird. Wer so redet, habe die wahre Herausforderung nicht verstanden!

Endlich haben wir wieder einmal eine theologische Diskussion, in der es um Wesentliches für unser Leben geht! Endlich wird wieder theologisch gestritten, und das Thema ist nicht belanglos und nebensächlich, sondern spricht die Mitte unserer Existenz an: Die Verantwortung des Menschen im Gegenüber und mit der Schöpfung nämlich. Darüber sollte man sich eigentlich nun wirklich freuen dürfen.

Eigentlich.

Denn: Was sind das denn für Argumente, die von Günter Thomas und zuletzt von seinem Mit-Streiter Ralf Frisch vorgetragen werden? Die Soteriologie wird zur „Gretchenfrage“ erklärt, wenn es um den Umgang mit der Schöpfung geht. Das rettende Eingreifen Gottes wird der menschlichen Verantwortung als Alternative gegenübergestellt. Den Streitern für mehr Nachhaltigkeit auch innerhalb unserer Kirchen wird nicht nur unterstellt, von Selbsterlösungsphantasien beherrscht zu werden. Mehr noch: Den Weggefährten des Konziliaren Prozesses für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung wird bescheinigt, eine andere Trinität zu verteidigen und einer moralischen Häresie anzuhängen.

Da stellt sich doch schnell der Eindruck ein: Diejenigen, die sich in christlicher Perspektive und mit theologisch fundierten Argumenten mit Engagement, gegen viele Widerstände und in Kooperation mit vielen Expert:innen für eine ökosoziale Transformation unserer Lebensweise einsetzen, müssen sich demütig und tief gebeugt dafür entschuldigen, dass sie das Christentum, den Gottesglauben und das Werk Christi zu Grabe getragen haben. Eine theologisch verkehrte Welt, so scheint mir. Denn mit solchen Schein-Debatten wird die überzeugende Wirksamkeit des christlichen Glaubens inmitten der Gesellschaft beerdigt.

Moralfreie Welt versus Heil bringendes Wirken Gottes?

Ein zentrales von Ralf Frisch vorgetragenes Argument beruft sich dabei auf die lutherische Lehre von Gesetz und Evangelium. Er fragt: Berufen wir uns auf Jürgen Moltmann mit seiner Rede von der Erde als unserer göttlichen Mutter und auf Michael Welker mit seinem Verweis auf die therapeutische Selbstwirksamkeit schöpfungsimmanenter Geisteskräfte? „Oder leuchten uns Martin Luthers theologische Anthropologie und seine Lehre von den zwei Regimenten ein, der zufolge der Mensch kraft vernünftiger, pragmatischer und innovativer moralismusfreier technischer Weltgestaltung und rechtserhaltender Gewalt das Schlimmste zu verhindern vermag und auch um Gottes willen auch verhindern soll, während Gott allein das Letztentscheidende für uns und für das Heil der Welt tut?“ Die technologische Weltgestaltung sowie die rechtserhaltende Gewalt sind nach Ralf Frisch das eine Regiment, Gottes Werk ist das andere Regiment. Auf der einen Seite steht die moralfreie Welt, auf der anderen Seite steht das Heil bringende Wirken Gottes.

Aber ist das wirklich Martin Luther, was Ralf Frisch da vorträgt? Die Wirtschaftsethik Luthers, die sich in den Schriften zum Zins findet und mit der er die Verantwortlichkeit der Handeltreibenden seiner Zeit einfordert – vergessen. Und das betrifft auch die Schöpfungstheologie Luthers, in der er die Verantwortlichkeit des Menschen entschieden anspricht.

Im Zentrum der lutherischen Schöpfungstheologie steht ja bekanntermaßen seine Aussage: Gott ist immer noch und beständig in seiner Schöpfung am Werk. „Nun ist es vor unseren Augen, dass er immerdar schafft. Darum, gleich als wenn ein Mensch ein Bild macht, ist es nicht vollendet, weil er immer noch daran arbeitet. Genauso ist auch Gottes Werk nicht vollkommen, wenn es denn gemacht ist“ (WA 24,20). Gott ist nach Martin Luther keine „stillruhende Macht“, sondern „ruhet nicht, wirkt ohne Unterlass“ (WA 7,574). Zum kontinuierlichen göttlichen Werk der Erhaltung der Schöpfung gehört nun der Mensch als sein „Mitarbeiter“ hinzu. Eigentlich. Aber in nicht vielen Fällen verhält sich der konkrete Mensch anders – auch die Christin oder der Christ. Es sind, so Martin Luther, nur wenige Fromme unter den Menschen, die die Werke des Herrn achten; die meisten sind die Gaben Gottes „gewohnt wie ein altes Haus den Rauch, gebrauchen sie und wühlen darin wie eine Sau im Hafersack. […] Ist´s nicht ein verdrießlich Ding um die verfluchte Undankbarkeit und Blindheit der Menschen, die Gott mit so reichen großen Wundertaten überschüttet?“

Tag für Tag immer wieder „eingenordet“

Aber auch mit diesem grenzenlosen und selbst-zerstörerischen Verhalten des Menschen gegenüber allem Kreatürlichen rechnet der die Schöpfung erhaltende Gott: Zum Schutz des Menschen hat er die drei Stände erschaffen, wobei er insbesondere dem Hausstand, der „oeconomia“ größte Bedeutung zuschreibt. In diesem Hausstand wird der Mensch Tag für Tag immer wieder „eingenordet“. Im Verdienen des täglichen Brotes, in der Ernährung der im Haus Lebenden, in der Auseinandersetzung mit seinen alltäglichen Aufgaben wird er auf der Gegebenheit des geschöpflichen Lebens ansichtig. Im Hausstand der „oeconomia“ wird er Tag für Tag daran erinnert, dass er in seinem Sein von Gott erhalten wird und dass er zu diesem Erhaltungswerk Gottes durch seinen sehr begrenzten Beitrag am der immer noch im Bau befindlichen Schöpfung mitwirkt.

Aber eben eingehegt. Begrenzt. Und vor allem achtsam. Denn dabei ist doch für Martin Luther klar und einsichtig: Die Schöpfung ist keine romantische Wiese mit schönen Blumen, sondern durch die Mitarbeit des Menschen eine Kulturleistung, die dem Menschen und seinem Leben dient: „Die Kühe sind lauter Wolken, die da Käs Schuhe Pelze Kleider regnen. Die Pferde bauen Schlösser Städte und lassen sich dazu brauchen, um die Erde zu bebauen und Kriege zu führen. So ist es auch mit den übrigen Tieren, dem Gewürm und den Vögeln, allem, was auf Erden kreucht und fleucht.“ Das Ineinander-Greifen von Gottes umfassendem Werk und des Menschen Mitarbeit an der immer noch im Gang befindlichen Schöpfung, darauf kommt es Martin Luther also an.

Die schematischen Gegenüberstellungen, die Ralf Frisch aufbaut – sie fallen in solch einer Theologie in sich zusammen. Die Schöpfung wird gestaltbar, aber sie ist auch achtsam zu behandeln, und der Mensch überschreitet seine Macht, wenn er sich wie eine herumwühlende „Sau im Hafersack“ verhält. Darin ist er zur Ordnung zu rufen, auch durch den Hausstand, der „oeconomia“, in der er steht.

Damit wird die Ökonomie nicht zum „moralismusfreien“ Technikgestaltung, wie Ralf Frisch Martin Luther fälschlicherweise unterstellt. Sondern sie ist der Ort, an dem sich entscheidet, ob der Bau an der Schöpfung vorankommt oder aber ins Stocken gerät, um es mit dem Bild Martin Luthers zu sagen.

Am Geld entscheidet sich‘s

Und in der Tat ist es auch heute so, dass sich mittels der finanziellen Stellschrauben klären lässt, wie die menschliche Mitverantwortung in der uns umgebende Mitwelt wahrgenommen wird. Am Geld entscheidet sich eben immer noch am leichtesten, wohin die Reise der menschlichen „Mit-Arbeit“ geht. Oberflächlich moralismusfrei, aber in der Ausgestaltung der Instrumente durchaus auf Ethik angewiesen. Und so ist es gut im „Hausstand“, also der Ökonomie, dass der steigende CO2-Preis darüber entscheidet, welche Wege wir im Umgang mit den uns gegebenen Ressourcen einschlagen. Und Ralf Frisch soll dabei nicht denken, dass der CO2-Preis, der im EU-Programm „Fit for 55“ zur Erreichung der EU-Klimaziele in den nächsten Jahren massiv steigen wird, nur ein technisches Mittel sei, dass der „rechtserhaltenden Gewalt“ in die Hände spielt.

Wehe dem, wenn nicht eine ethische Überzeugungskraft im Diskurs erzeugt wird und diesen finanziellen Druck auf unseren Geldbeutel erhöht! Dann nämlich wird der Druck in sich so schnelle zusammenfallen wie die Luft in einem Ballon, der es mit einer Nadel zu tun bekommt. Und die stechfreudigen „Nadeln“ der Beharrungskräfte, die keinen Veränderungsbedarf sehen, gibt es immer noch. Und woher soll denn diese ethische Überzeugungskraft herkommen, wenn nicht auch aus religiösen Quellen, zu denen – Gott sei Dank! – auch noch unser christliches Fundament gehört.

Mitwirken an Gottes im Bau befindlichen Werk

Gerade weil Gott im gekreuzigten Auferweckten diese Erde gewürdigt hat, kann und darf sie uns allen nicht gleichgültig sein. Von Ostern her fällt gerade ein Licht auf die Neuschöpfung, die wir zu erwarten haben und in der Gott Alles in Allem sein wird. Er wird diese Erde verwandeln und an ihr anknüpfen. Auf dieser Erde stand das Kreuz Jesu Christi, aus Baumstämmen wurde das Holzkreuz gezimmert und auf dieser Erde wurde am Ostermorgen die Macht des Todes überwunden und der Erstgeborene der Neuschöpfung sichtbar. Bis es zur Vollendung dieses Werkes kommt, sind wir dazu aufgerufen, an Gottes im Bau befindlichem Werk mitzuwirken.

Von der Zukunft, von der eschatologischen Verheißung her fällt so ein anderes Licht auf Gottes Schöpfung – und auf unsere menschliche Aufgabe. Wer hier davon redet, eine christliche Ethik, die sich für eine ökosoziale Transformationslogik einsetzt, schaffe eine „nichtchristliche Weltanschauung, die im Herzen des Christentums so unmerklich an die Stelle des Christentums getreten“ ist, der hat – mit Verlaub – die entscheidende Wende, die mit der Auferweckung des Gekreuzigten begonnen hat, (noch) nicht verstanden.

Bisher erschienen folgende Artikel in dieser Kontroverse in dieser Reihenfolge:

- Günter Thomas: Jenseits von Eden und Blühwiesenromantik (ursprünglich in drei Teilen am 13./15. und 20. Dezember 2021)

- Jan Peter Grevel: Über die Lesbarkeit der Welt (27. Dezember 2021)

- Ralf Frisch: Der rettende Eigensinn Gottes (29. Dezember 2021)

- Ulrich H.J. Körtner: Vor Tische las man’s anders (5. Januar 2022)

- Wolfgang Schürger: Ein neuer Himmel und eine neue Erde (12. Januar 2022)

- Jörg Herrmann: Blühwiesenromantik oder Karl Barth? (17. Januar 2022)

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Jörg Hübner

Jörg Hübner, apl. Prof. Dr., ist Direktor der Evangelischen Akademie Bad Boll, Veröffentlichungen u.a. zum Sozialen Protestantismus, zur Globalisierung, zu einer Ethik der Freiheit und jüngst zu Christoph Blumhardt.


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