Knapp

Das Eisenacher Forschungsinstitut

Für nahezu ein halbes Jahrhundert war das maßgeblich von der Thüringischen Kirche betriebene antisemitische Forschungsinstitut in Eisenach nach dem Krieg in Vergessenheit geraten. Vor allem der US-amerikanischen Judaistin Susannah Heschel sowie dem Detmolder Religionspädagogen und Historiker Oliver Arnhold verdanken wir die kritische historische Erforschung dieses kirchlichen Unternehmens, dem ein Alleinstellungsmerkmal in Kirche und Theologie des „Dritten Reiches“ zukommt.

Im Jahr 2010 publizierte Oliver Arnhold seine grundlegende zweibändige und über neunhundert Seiten umfassende Untersuchung über die Thüringer Deutsche-Christen-Bewegung und das aus ihr hervorgegangene kirchliche „Entjudungsinstitut“, das 1939 mit einer Festveranstaltung auf der Wartburg gegründet wurde.

Im vorliegenden Band unternimmt Arnhold den Versuch, seine große Studie von 2010 auf gut zweihundert Textseiten zu komprimieren, faktisch eine radikale Verschlankung unter Verzicht auf den üblichen wissenschaftlichen Apparat. Das ist durchaus gelungen.

Herausgekommen ist eine gut lesbare, knappe Darstellung thüringischer Kirchengeschichte von den Anfängen der regionalen Deutschen Christen um Siegfried Leffler und Julius Leutheuser, die als ursprünglich bayerische Pfarrer im Jahr 1928 nach Thüringen wechselten, hier mit ihrer völkischen Synthese von Christentum und Nationalsozialismus begannen und im Laufe der Jahre über Thüringen hinaus durchaus Breitenwirkung erzielten. Seit 1933 wandelte sich unter ihrer Führung die Kirche Thüringens zu einer der am vollständigsten nazifizierten Landeskirchen im „Dritten Reich“. Es war letztlich dieser geistige Nährboden, aus dem auch das Unternehmen des kirchlichen „Entjudungsinstituts“ hervorwuchs.

Walter Grundmann, ein Schüler des Tübinger Neutestamentlers Gerhard Kittel und Spiritus Rector des Instituts, führte in seinem Vortrag „Die Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe deutscher Theologie und Kirche“ anlässlich des Festakts zur Eröffnung am 6. Mai 1939 aus: Volk sei eine aus der Rasse entstehende, an den Boden gebundene und durch geschichtliches Schicksal bestimmte „organische Größe“. Die Entdeckung dieser „völkischen Wahrheit“ sei „dem Führer“ zu verdanken und stelle eine Fortsetzung von Luthers Reformation dar.

Der Gegensatz zum Judentum sei die Voraussetzung für die Erkenntnis und Verwirklichung des völkischen Gedankens. Dem deutschen Volk sei jetzt der „Kampf gegen das Judentum“ unwiderrufbar aufgegeben. Für die Kirche heiße das Gebot der Stunde: Ausschaltung des jüdischen Geistes in Bräuchen und christlichen Überzeugungen sowie in Dogma und Kultus.

Als praktische Aufgaben des Instituts nannte Grundmann: Reinigung der Evangelien von ältesten (jüdischen) Traditionen; Beseitigung der „Zionismen“ in Kult, Liturgie und Liedgut; Aufklärung gegen die in der Öffentlichkeit vorherrschende These, das Christentum sei Fortsetzung und Vollendung des Judentums.

Das antijüdische Institut war keine rein thüringische Angelegenheit: An seiner Finanzierung waren eine Reihe weiterer Landeskirchen beteiligt, vor allem auch die große preußische Landeskirche. Das Mitarbeiternetz war weit gespannt, wie sich einer Auflistung der „Arbeitskreise“ und „Forschungsaufträge“ im Anhang entnehmen lässt. Darunter befanden sich 24 Universitätstheologen.

Zu den wichtigsten Publikationen des Instituts zählten ein „entjudetes“ Neues Testament („Die Botschaft Gottes“), ein von jüdischen Namen und Begriffen bereinigtes Gesangbuch „Großer Gott wir loben dich“ und ein neuer Katechismus für eine „artgerechte“ religiöse Praxis. Mit einigem Erstaunen liest man, wie die Verfasser dieser und weiterer antisemitischer Produktionen zu erheblichen Teilen nach Kriegsende in den Kirchen und an theologischen Fakultäten weiterwirken konnten, wenn sich auch ihr Vokabular gewandelt hatte: Grundmann in der Ausbildung des Pfarrernachwuchses in der DDR, Martin Redeker als Hochschultheologe in Kiel, Siegfried Leffler als Pfarrer in der bayerischen Landeskirche.

In seinem Resümee kommt der Autor Oliver Arnhold zu einer angemessenen Bewertung dieses kirchlichen Unternehmens aus heutiger historischer Sicht, im deutlichen Widerspruch zu den exkulpierenden Selbstrechtfertigungsversuchen der Akteure: „Im Falle des Eisenacher ‚Entjudungsinstituts’ diente eine vorgeschobene Verteidigung christlicher Werte dazu, einen barbarischen Unrechtsstaat zu legitimieren und zu stützen, dessen Unmenschlichkeit für alle, die es sehen wollten, auch sichtbar war.

Den Mitarbeitern und den Unterstützern des kirchlichen ‚Entjudungsinstituts’ und der Thüringer DC kommt damit eine geistige Mitverantwortung an den Verbrechen zu, die während der Zeit des Nationalsozialismus an jüdischen Menschen begangen wurden, ohne dass die damaligen Täter zur Verantwortung gezogen worden wären.“ Wer einen Einblick in die fatalen völkisch-antisemitischen Abirrungen des deutschen Protestantismus während der Hitlerzeit gewinnen möchte, dem sei dieses Buch zur Lektüre empfohlen.

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