Der Klang der Kora
Das Benediktinerkloster Keur Moussa, 50 Kilometer von der senegalesischen Hauptstadt Dakar in Richtung Thiès gelegen, hat ihre Musik weltberühmt gemacht: Die gregorianischen Gesänge der Mönche erklingen auf Wolof und Französisch, begleitet von Trommeln, Balafon und der Kora, der westafrikanischen Stegharfe. Ein Besuch in der Kora-Werkstatt des Klosters.
Die Glocken läuten. Ein paar Handgriffe noch. Dann legt Bruder Lazare das Instrument, an dem er gerade gearbeitet hat, behutsam zur Seite. Drei mal acht sind 24. Diese Rechnung gibt im Kloster Keur Moussa den Rhythmus vor: acht Stunden Gebet, acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf. Und nun rufen die Glocken zum Gebet.
Bruder Lazare und die anderen 34 Benediktinermönche, die derzeit in der Abtei leben, finden sich in der Kirche zusammen. Mit dabei ist das Instrument, das in der Werkstatt von Bruder Lazare gefertigt wird und welches das Kloster weltberühmt gemacht hat: die Kora.
Im Gottesdienst erklingt die Harfe gemeinsam mit dem Gesang der Mönche – eine einzigartige Kombination.
Dann beginnen die Mönche zu singen, begleitet von Trommeln, Balafon und den Klängen der Kora, der in Westafrika traditionellen Stegharfe. Auf Französisch und Wolof entfalten sich die gregorianischen Gesänge in einzigartiger Schönheit. In den Kirchenbänken sitzen an diesem späten Nachmittag vereinzelt Besucher. Zu jedem Gottesdienst finden sich Menschen ein, die meisten kommen schon in den frühen Morgenstunden.
„Gott ist hier“, hat ein einheimischer Besucher einmal auf Wolof gesagt, als er nach dem morgendlichen Gottesdienst die Kirche verließ. Der Besucher stammte aus der Nachbarschaft des Klosters, er war Muslim.„Dieser Satz, den der Mann damals sagte, begleitet mich bis heute“, erzählt Bruder Marie-André Faye. „Denn es ist genau der Grund dafür, dass wir hier sind: Das Gebet ist unsere wichtigste Aufgabe. Wir sind Gottsucher. Wir versuchen, unsere Verbindung zu ihm immer stärker werden zu lassen, ihn immer deutlicher zu erkennen. Das nennt man Kontemplation. Aber wir tun das nicht für uns selbst, sondern für alle. Wir wollen das, was wir empfangen, mit der Welt teilen.“
In der Werkstatt von Bruder Lazare entsteht das Instrument, das traditionell von musizierenden Geschichtenerzählern gespielt wird.
Bruder Marie-André ist verantwortlich für das Gästehaus der Abtei. Vor der Corona-Pandemie war dort viel los, denn das Kloster Keur Moussa ist im Senegal und über die Landesgrenzen hinaus bekannt als ein Ort der Ruhe und der Spiritualität, an dem sich Kraft schöpfen lässt. Nun finden sich erst nach und nach wieder Besucher ein. Bruder Marie-André, der sie gerade empfängt, ist selbst nur pandemiebedingt hier. Eigentlich wollte er in Frankreich sein, um seine Promotion abzuschließen.
Gefragte Heilpflanzen
Die Aufgaben in der Abtei sind unter den Mönchen genauestens verteilt, damit alles funktioniert. Bruder Jean-Marie Rouzeaud etwa kümmert sich um den Ziegenkäse.
Er gehört zu den Mönchen, die schon wenige Jahre nach der Gründung des Klosters im Jahr 1963 aus Frankreich hierherkamen – neun Benediktiner aus der Abtei Solesmes im Nordwesten Frankreichs. „Wir kaufen die Ziegenmilch den Bauern in der Umgebung ab, damit sie ein Einkommen haben“, sagt Bruder Jean-Marie. Den Ziegenkäse verkaufen die Mönche in Dakar, um Geld für das Kloster zu erwirtschaften.
Aber nicht nur die Ziegen bescheren dem Kloster Einnahmen. Rund um das Bauwerk grünt und blüht es. In biologischer Landwirtschaft wachsen auf den Feldern und im Klostergarten Früchte, Nüsse und Heilkräuter. Zitronen, Orangen, Pampelmusen, Mangos, Kumquat und Aki-Nüsse verkaufen die Mönche an umliegende Hotels, einzelne Händler und verarbeiten sie selbst. Die Heilpflanzen von Keur Moussa sind gefragt, etwa die getrocknete Artemisia, die gute Erfolge bei Malaria erzielen soll. Im Zweifel lässt sich aber auch ein Öl gegen „tous maux“, gegen alle Übel, aus klostereigener Produktion erwerben.
Die Mönche produzieren Ziegenkäse und bauen in ökologischer Landwirtschaft Früchte, Nüsse und Kräuter an. Daraus stellen sie ein Öl gegen „alle Übel“ her.
Der berühmteste Balsam für die Seele ist aber wohl der Gesang der Mönche von Keur Moussa, was auf Deutsch „Haus des Moses“ bedeutet. Gregorianische Gesänge sind die ureigenen liturgischen Gesänge der römisch-katholischen Kirche. Ihre Ursprünge liegen weitgehend im Dunkeln, doch gehen Wissenschaftler davon aus, dass sowohl jüdische als auch griechische Traditionen die Modulierungen der gesungenen Bibelverse beeinflusst haben. Die ersten Gesänge christlicher Gemeinschaften datieren auf das 3. und 4. Jahrhundert zurück. Bis ins 7. Jahrhundert ließen die Päpste den Liedbestand sammeln. Pippin der Jüngere übernahm im 8. Jahrhundert die römische Liturgie für das Frankenreich. Aber nur die Texte, nicht die Noten, überquerten die Alpen, wodurch unter gallischem Einfluss Neues entstand. Karl der Große und die Klöster Europas sammelten und verbreiteten die Gesänge. Dann wurde es jahrhundertelang still, der gregorianische Choral erlebte seinen Niedergang. Erst im 19. Jahrhundert gelang es, den fast vergessenen Klängen neues Leben einzuhauchen. Unter Papst Leo XII. erwachte der gregorianische Choral zu neuem Leben.
Fans weltweit
Dass die gregorianischen Gesänge im Benediktinerkloster Keur Moussa unter anderem von der westafrikanischen Stegharfe, der Kora, begleitet werden, ist eine wirkliche Besonderheit. Die Kora wird historisch dem Mandinka-Königreich zugeordnet, das bis zum 19. Jahrhundert auf dem Gebiet Gambias, Senegals und Guinea-Bissaus Bestand hatte. Die erste Kora wurde vermutlich im 13. Jahrhundert dort gespielt – wie heute, mit Daumen und Zeigefinger. Heute haben das Ins-trument und die Musiker, die es spielen, weltweit Fans. Künstler wie Toumani Diabaté oder Ballaké Sissoko haben es zu Weltruhm gebracht.
In der Werkstatt von Bruder Lazare entsteht das Instrument, das traditionell von den Griots gespielt wird, den musizierenden Geschichtenerzählern, die die Traditionen der Gemeinschaft weitertragen. In eine Griot-Familie wird man hineingeboren. Die Kora zu spielen, lernen Söhne von ihren Vätern. Immer noch gibt es im Herzland der Kora, also in Mali, Gambia, Guinea und im Senegal, nur wenige Frauen, die das Instrument beherrschen. Noch weniger sind es Ausländer und schon gar nicht katholische Mönche wie Abt Dominique Catta, der 1964 den Klang der Kora im Radio hörte und ihn so schön fand, dass er dem Instrument den Weg ins Kloster bahnte.
Jeder hier kennt die Geschichte der Kora und Keur Moussa, die so eng miteinander verknüpft sind. Natürlich auch Bruder Lazare. „Kurze Zeit, nachdem Abt Dominique die Kora im Radio zum ersten Mal gehört hatte, kam ein Griot, der eine traditionelle Kora hatte, zu ihm“, erzählt er. „Als der Griot zu spielen begann, fing der Abt an zu singen. Das war der Anfang.“
Die erste Kora wurde dem Kloster geschenkt. „Es war die richtige Zeit dafür, dass die Kora zu uns finden konnte“, sagt Bruder Lazare. Das Zweite Vatikanische Konzil hatte die Liturgie für die lokalen Kulturen geöffnet, auf einmal war vieles möglich. Kora, Balafon und Trommeln fanden ihren Weg in die Kirchen Westafrikas, und aus Latein wurden Wolof und Französisch.
Während Bruder Lazare erzählt, sitzt er gemeinsam mit einem Mitbruder in der Kora-Werkstatt. Die Luft steht, die beiden Mönche haben Schweißperlen auf der Stirn. Gerade hat Bruder Firmin die Tierhaut über eine halbe Kalabasse gezogen, mit Nägeln befestigt und den Hals der im Entstehen begriffenen Kora immer wieder in die Öffnung zum Hohlraum eingepasst. Millimeterarbeit. Nun werden die Saiten, früher aus Tierdarm, mittlerweile aus Nylon, angebracht. Die Kora von Keur Moussa wurde in Zusammenarbeit mit der polytechnischen Fakultät der Universität von Thiès weiterentwickelt und ist ein modernes Instrument geworden. „Ich denke, wir sind auf der Höhe unseres Könnens“, sagt Bruder Lazare. Dann rufen die Glocken zum Gebet, und der Mönch legt die Kora beiseite.
Barbara Brustlein
Barbara Brustlein ist Leiterin der Abteilung Kommunikation und Presse bei missio in München.
Jörg Böthling
Jörg Böthling begann 1985 als Seemann auf Fahrten nach Afrika und Asien zu fotografieren. Er studierte Fotografie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und arbeitet als Freelancer.