In Gottes Hand

Was die andauernde Pandemie lehrt

Während ich diese Zeilen schreibe, spitzt sich die Corona-Pandemie immer weiter zu. Da dachte man im vergangenen Winter noch, wenn man diesen überstanden hat und die große Mehrheit der Bevölkerung geimpft ist, dann verliert die Pandemie endlich an Kraft und kehrt das normale Leben zurück. Und nun dies. Schlimmere Zahlen als vor einem Jahr. Auch in diesem Jahr 2022 wird uns die Pandemie begleiten.

Zu Beginn der Pandemie hat man den Kirchen vorgeworfen, zu defensiv, zu ängstlich und spirituell hilflos auf die Krise zu reagieren. Was auch immer an dieser Kritik berechtigt gewesen sein mag – wir haben inzwischen gelernt. Wir wissen, wie wichtig es ist, dass die Kirche Anwältin der Sterbenden und ihrer Angehörigen ist, dass sie die Toten würdig bestattet und den Überlebenden hilft, mit ihrem Schmerz und Verlust umzugehen, dass sie die Kranken begleitet und Kontakt zu den Einsamen hält. Auch theologisch gibt es inzwischen viele nachdenkliche Stimmen, die nicht mehr gewillt sind, die Pandemie von der Gottesfrage zu distanzieren, um Gott nicht mit der Abgründigkeit der Welt zu belasten. Dass die Pandemie nicht als Strafe Gottes zu deuten ist, bedeutet nicht, dass Gott überhaupt nichts mit ihr zu tun hätte – sonst hätte Gott mit unserem Leben nichts zu tun. Es ist elementar, dass wir auch in der Pandemie über Gott reden, einen Gott, der nicht eingreift in die Naturabläufe, der die Schöpfung nicht steuert, aber zugleich einen Gott, der die Welt nicht sich selbst überlässt, sondern in Liebe um sie ringt, der mit ihr mitleidet, der durch seinen Geist in dieser Welt wirkt, der tröstet und aufrichtet, in dessen guten Mächten wir geborgen sind.

Damit wird zugleich nochmals deutlicher, was die Funktion der Religion ist: Der Glaube ist für die prinzipiell unlösbaren Fragen, für alles, was nicht durch Handlungen und Entscheidungen zu klären ist, zuständig. Wo die ärztliche Kunst am Ende ist, kann die Geistliche immer noch da sein und mit aushalten, was sich nicht ändern lässt. Der Glaube kann darüber hinaus eine eigene Nachdenklichkeit entwickeln. Er lehrt uns, uns als Teil der Schöpfung Gottes zu verstehen, und deutet das Leben mit Hilfe von biblischen Erzählungen und religiösen Ritualen, die zu trösten vermögen und eine eigene Würde vermitteln.

Die medial geäußerte Enttäuschung über die Kirche in der Pandemie zeigt, dass man von der Kirche immer noch etwas erwartet. Das ist die gute Nachricht. Die Menschen sind heute weniger kirchlich, aber offen für existentielle religiöse Fragen, für die Frage, wie wir mit Endlichkeit und Sterblichkeit umgehen und nicht zuletzt auch für die Frage nach Gott. Sie suchen nach Trost und Ermutigung, nach Worten, in denen sie ihre Erfahrungen zum Ausdruck bringen können und sich spirituell geborgen fühlen. Die Kirche sollte den Menschen deshalb helfen, von Gott zu sprechen und auf einen Gott zu vertrauen, der ihnen beisteht in ihren Ängsten und in der Perspektivlosigkeit, die sie manchmal überfällt. So werden Menschen getröstet und wissen sich in Gottes Hand – auch im neuen Jahr. 

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