Dem Rechtsruck nicht nachgeben

Die CDU auf der Suche nach einer neuen Erzählung
Foto: privat

Mitte der Woche wurde die neue Ampel-Regierung vereidigt. Die mediale und politische Öffentlichkeit beobachtet interessiert, gelegentlich auch hyperventilierend, die ersten Schritte der neuen MinisterInnen. Reden wir also über die CDU!

So wird das jedenfalls nichts! Ausgelaugt und desorientiert sucht die Stabilitätspartei der Bundesrepublik nach einer neuen Strategie. Oder wie man heutzutage gerne sagt und schreibt: nach einer neuen großen Erzählung. Wird die Union nachgeben und in Richtung des Rechtspopulismus abdriften oder sich als christlich-konservative Partei der Mitte berappeln?

Das schwache Kandidatenfeld für den CDU-Parteivorsitz dokumentiert, wie ausgezehrt die CDU nach 16 Jahren Kanzlerinnenschaft ist. Wo sind die Jungen, die sich doch in der zweiten und dritten Reihe hätten warm laufen können? Wo ist ein Personaltableau, das die Vielfalt unserer pluralen Gesellschaft abbildet? Stattdessen droht unter den Restkandidaten ausgerechnet Friedrich Merz das Rennen zu machen. Die Populisten in der Christdemokratie dürfen sich dadurch gestärkt wissen.

Die CDU als „Alte-Männer-Partei“

Im sächsischen Freiberg demonstriert ein christdemokratischer Baubürgermeister mit Rechtsradikalen gegen die Corona-Maßnahmen. Von solchen Irrläufern gibt es zurzeit einige. Vor allem gebietet ihnen kaum jemand von Rang Einhalt. Schon dem Kanzlerkandidaten Laschet war es schwergefallen, seinen rechtsradikalen Parteifreund Hans-Georg Maaßen in die Schranken zu verweisen. Der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes kandidierte in Südthüringen für den Bundestag. Und wurde vom SPD-Kandidaten Frank Ullrich am Ende deutlich geschlagen. Wohlgemerkt in einer konservativen und ländlichen Region!

Ein Blick in die Kreistagsfraktion des Freiberger CDU-Renegaten offenbart ein tieferliegendes Problem, das gar nichts mit der aktuellen Corona-Politik zu tun hat: Der achtköpfige Fraktionsvorstand besteht ausschließlich aus Männern. Unter den weiteren 22 Mitgliedern der Fraktion befindet sich genau eine Frau. Es überwiegen die grauen Häupter der Generation, die zur Wendezeit begann, Politik zu machen. Nur mit viel gutem Willen kann man fünf der Kreisräte als irgendwie jünger bezeichnen. Der Kontrast zu Grünen und Sozialdemokraten, die insbesondere im neuen Bundestag mit zahlreichen wirklich jungen Abgeordneten der Generationen Y und Z aufschlagen, könnte nicht größer sein.

Denn die CDU droht nicht allein im ländlichen Raum oder nur in Ostdeutschland zur „Alte-Männer-Partei“ zu werden. Die weibliche Wählerinnenschaft hat sich mit dem Abgang von Angela Merkel zu einem größeren Teil bereits verabschiedet. Das wird zwar auch am schwachen Kanzlerkandidaten gelegen haben, sollte aber als Warnung verstanden werden: „Gefühlspolitiker“ und Machotypen wie Merz kommen vielleicht bei den eigenen Funktionären gut an, aber nicht im Rest der vielfältiger gewordenen Bevölkerung.

Streicht die FDP das Erbe der Union ein?

Die Jungen wählen mit Vorliebe FDP, wenn sie eine konservative Fiskalpolitik und Eigenverantwortung gestärkt sehen wollen. Einige FDP-PolitikerInnen positionieren sich dieser Tage bewusst als Christen in der Politik. „Als Christ weiß ich, dass wir alle fehlbar sind“, begründete zum Beispiel der FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke, warum er lieber „nur“ Parlamentarier bleiben wollte, anstatt Staatssekretär zu werden. Auch die eigene Regierungsbank bedürfe der Kontrolle durch ein waches Parlament, schließlich würden eben im Bundestag die Entscheidungen getroffen. Solche Solidität und Seriosität kommen an.

Die FDP jedenfalls lauert darauf, dass die CDU den Platz in der Mitte räumt. Sie wird Wähler:innen einsammeln, wenn sich die Merz-CDU auf Krawall und rechtspopulistische Forderungen einschwört. Die FDP kann während der ersten Ampel-Jahre davon profitieren, dass die nicht gerade wenigen populistischen Irrläufer in ihren Reihen, Wolfgang Kubicki und einige fleißige Twitter-Julis, aus Loyalität gegenüber Partei und Regierung einhalten müssen. Trotzdem kann sie durch gelegentliche Auseinandersetzungen mit den Koalitionspartnern in der Sache ihr Profil als wirtschaftsliberale und wert-konservative Alternative zu Rot-Grün schärfen.

Liberale und „Herz-Jesu-Sozialisten“ dürfen sich nicht verstecken

Will die CDU nach dem Machtverlust wieder auf die Beine kommen, dann braucht sie keine neuen Thinktanks oder Propaganda-Schmieden und auch die hämische Kommentierung insbesondere von grünen Frauen muss aufhören. Sich auf Flugreisen der neuen Ministerin des Auswärtigen Annalena Baerbock zu kaprizieren, verrät höchstens etwas über den Entwicklungsstand der in den Sozialen Medien aktiven konservativen Männer, der sich irgendwo zwischen Kleinkindalter und Pubertät verorten lässt.

Die Unionsparteien und vor allem die CDU brauchen eine Rückbesinnung auf ihre ureigensten Stärken, von denen ausgehend man auch in die plurale Wähler:innenschaft des Landes vordringen kann. Denn ohne konfessionelle, wertkonservative Wähler:innen wird die CDU nicht existieren können, ohne die Mitte-Wähler:innen der Städte jedoch keine Bundestagswahl mehr gewinnen.

Die CDU muss sich ihrer Verwurzelung in der Lokal- und Landespolitik bewusst werden, dort forciert Talente entwickeln und erproben. Wie das funktionieren kann, haben ihnen die Grünen mit der neuen Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Anne Spiegel gerade vorgemacht: Vom Jugendverband der Partei gelangte sie in die Landespolitik, zur Spitzenkandidatur im Landtagswahlkampf, zu Regierungserfahrung. Dann folgte der Sprung in die neue Bundesregierung. Immer wurden ihr verantwortliche Spitzenämter zugetraut und eingeräumt.

Es gibt auch jetzt diejenigen, die gegen einen Rechtsruck der Union opponieren, wenn auch das Merkel-Lager merklich stiller geworden ist. Die liberalen und christ-sozialen Kräfte dürfen jedenfalls nicht hinter dem Berg halten. Die sich herzlich kümmernden Lokalpolitiker, die sich mit Charme und Witz für den eigenen Sprengel einsetzen. Die katholische Landfrau, die selbstverständlich in der Flüchtlinghilfe hilft. Und auch der Unternehmer, der seine Leute anständig bezahlt und nichts auf seine Azubis kommen lässt, stammen deren Eltern auch aus der Türkei oder vom Balkan.

Die "Herz-Jesu-Sozialisten" der Union eben, die die Süddeutsche Zeitung schon 2003 zu vermissen begann, jene die für "gemäßigte Umverteilung, den friedlichen Ausgleich" sind. "Sie waren der Kontakt der Honoratiorenpartei zu den kleinen Leuten, parlamentarischer Arm der katholischen Verbände. Kurz: eine der Garanten, dass CDU zur erfolgreichsten Partei der deutschen Nachkriegsgeschichte wurde." Auf ihnen gründet bis heute der Erfolg der Unionsparteien als Staats- und Regierungsparteien, nicht auf rechten Parolen. Wo sind die "Herz-Jesu-Sozialisten" jetzt? Und, werden sie noch rechtzeitig aus der Deckung kommen?

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