Grübelnde Gelassenheit

Nachdenklicher Auftakt der VELKD-Generalsynode ohne besondere Vorkommnisse
So war es leider nicht auf der 2. Tagung der Generalsynode im November 2021: Der Leitende Bischof der VELKD und seine Stellvertreterin Kristina Kühnbaum-Schmidt, dicht an dicht, gelöst in Präsenz.
Foto:Nordkirche
So war es leider nicht auf der 2. Tagung der Generalsynode im November 2021: Der Leitende Bischof der VELKD und seine Stellvertreterin Kristina Kühnbaum-Schmidt, dicht an dicht, gelöst in Präsenz.

Mit dem Auftakt der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) begannen am Samstagabend die Jahresversammlungen der evangelischen Kirche in Bremen. Technisch klappte alles, und der Leitende Bischof Ralf Meister wurde erwartungsgemäß wiedergewählt. 

„Das waren herausfordernde 24 Stunden“, so eröffnete Präsident Matthias Kannengießer die Generalsynode der VELKD. Er musste auffangen, dass viele seiner Generalsynodalen in ganz Deutschland enttäuscht vor ihren Zoomkacheln saßen. Zu gerne hätte man sich „in echt“ gesehen. Aber wat mutt dat mutt, wie man im Norden sagt, denn aufgrund der kurzfristigen Absage der Präsenztagung musste man zum dritten Mal in Folge auch in der Generalsynode digital tagen.

Lediglich ein vierköpfiges Rumpf-Präsidium um Kannengießer saß auf dem Podium des Bremer Congress Centrums vor einem riesigen, leeren Saal. Eine bizarre Szenerie, die durchaus etwas von einer modernen Theateraufführung hatte – besonders, als beim Namensaufruf unsichtbar und gefühlt aus allen Ecken des riesigen Saales die Jas und Hiers hallten. So konnte es  jedenfalls denjenigen erscheinen, die zu den wenigen Menschen gehörten, die in etwa 40 Metern Entfernung von der Tribüne dem Geschehen in Präsenz beiwohnten.

Hauptpunkt des ersten der auf drei Zeitslots verteilten Generalsynode war die Wiederwahl des Leitenden Bischofs, Ralf Meister und zuvor sein Bericht. In diesem Bericht schlug Meister, der seit März 2011 Landesbischof der größten Gliedkirche der EKD, der hannoverschen Landeskirche ist, und der 2018 die Nachfolge von Gerhard Ulrich im Amt des Leitenden Bischofs antrat, einen Ton an, der sich am besten mit dem scheinbaren Gegensatzpaar „grübelnd“ und „gelassen“ beschreiben lässt.

„Unermüdlich am Wesen herumschrauben“

Beide Gemütszustände durchzogen sein Sinnieren über die evangelische Kirche und ihren Reformeifer. „Ich bin sehr zurückhaltend im Ausrollen von neuen Konzepten, die in Begrifflichkeiten von Innovationsagenturen daherkommen“, sagte Meister, und dann zählte er auf, dass er seinen verschiedenen kirchlichen Leitungsämtern in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder mit Reformprozessen beschäftigt gewesen sei. Seine Bilanz: „Unter dem bewährten Motto: „ecclesia semper reformanda‘ meinen wir die Begründung zu haben, unermüdlich am Wesen der Kirche herumzuschrauben. Kein Wunder, dass dann irgendwann die Ermüdung über die Begeisterung siegt.“

Als Kronzeugen für diese Entwicklung führte er ausgerechnet den aus anderen Zusammenhängen äußerst umstrittenen Theologen Emanuel Hirsch (1888-1972) an, das dieser seiner „Geschichte der neuern evangelischen Theologie“ niedergelegt hatte:

„Der Geschichte der evangelischen Theologie und Kirche im 19. Jahrhundert haftet die Eigentümlichkeit an, dass in einem Maße, welches keinem früheren Zeitalter, auch nicht dem der Reformation, bekannt ist, die Kirche selber, ihr Wesen, ihre Aufgabe, ihre Gestalt und Ordnung, ihr Verhältnis zum Staat und zum allgemeinen Leben überhaupt, der Gegenstand, wo nicht gar Mittelpunkt theologischen und kirchlichen Urteilens und Handelns wird. Langsam läuft die Bewegung in dieser Richtung an, um sich dann mehr und mehr zu steigern und im 20. Jahrhundert vielfach zu der merkwürdigen Erscheinung einer Kirche zu führen, die dadurch Gott und Christus am besten zu dienen meint, dass sie von sich selber, ihrer Hoheit, ihrer Vollmacht lehrt und sich selber – in jedem Sinne des Worts – erbaut und Gott für sich selber dankt und preist.“

Als Kommentar dieses längeren Zitates formulierte der Leitende Bischof dann so: „Viele der Debatten, die wir im vergangenen Jahrzehnt mit Leidenschaft führten, zeigen eine Rotation im Wendehammer dieser Sackgasse.“ Was Hirsch Mitte des 20. Jahrhunderts noch vornehm als „merkwürdige Erscheinung einer Kirche“ bezeichnete, wird bei Meister im 21. Jahrhundert zum „Rotieren in der Sackgasse“ angeschärft.  „(M)anches in diesem Bemühen um ,Selbsterhalt‘, so Meister, sei zwar kein „überflüssiger Trend oder eine Anpassung an den Zeitgeistes“ sondern durchaus der Versuch, „in einer immer komplexeren Wirklichkeit eine Organisationsform zu schaffen, die gerade neue Gestaltungsräume für das Evangelium ermöglicht.“ Der Leitende Bischof weiß: „Ohne eine Organisation wird eine Gemeinschaft ihrem Auftrag nicht gerecht.“ Aber die ständigen Reformbemühungen müssten genau betrachtet werden, denn es mehre sich die Kritik „innerhalb unserer Kirche“ über den „enormen Aufwand an Selbstorganisation“.

„Faszinierender theologischer Think Tank“

Aus der nachdenklich-reflexiven Rede des Leitenden Bischofs konnte man außer der Aufforderung zu einer gesunden Mischung aus Aktivität und Gelassenheit vielleicht auch jene Haltung durchschimmern sehen, die bereits vor einem Jahr deutlich wurde: „Das Ringen um Strukturen ist zur Ruhe gekommen.“ Für die VELKD, so ist die Rede zu deuten, steht jetzt die Konzentration auf Ihre geistliche Arbeit an, denn, so lobte Ralf Meister seine Kirche, die VELKD sei in erster Linie ein „faszinierender theologischer Think Tank“ mit fruchtbaren, weltweiten ökumenischen Beziehungsarbeit.

Dann konnte zur Wahl geschritten werden. Mit 39 zu 6 Stimmen wurde es für Meister eine klare Sache, es stand auch niemand anderes zur Wahl. Einstimmig wurde von den Mitgliedern der Bischofskonferenz der VELKD Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt von der Nordkirche in Ihrem Amt als stellvertretende Leitende Bischöfin bestätigt. Was bleibt von diesem Auftakt: Bis 2024 herrscht Führungsklarheit in der VELKD, und eine Revolution scheint nicht so bald auszubrechen.

PS: Die neue Kirchenleitung der VELKD, hier die amtierende, wird am Montagvormittag gewählt; vorher folgen heute Abend ab 20:30 Uhr in einem gemeinsamen Plenum von EKD und VELKD noch die Catholica-Berichte der EKD und der GEKE.

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