Nie Wieder!

Neue RU-Studie

Dass das Gedächtnis der Shoah und die Verpflichtung auf ein „Nie wieder!“ das Selbstverständnis der Nachfolgestaaten des „Dritten Reiches“ prägt, ist oft gesagt worden. Wie dieser Anspruch sich konkret umsetzt, erfordert jedoch Klärungsprozesse auf verschiedenen Ebenen – umso mehr, da sich die Generation der unmittelbaren Opfer, Täter und Zeugen des NS-Völkermordes altersbedingt verabschiedet und bereits die Kindergeneration der aktiven Lebensphase entwächst. Zudem fordern gesellschaftliche Pluralisierung und Migration ihren Tribut, einerseits, weil ein nennenswerter Teil der jungen Menschen von den in Europa begangenen Menschheitsverbrechen familiengeschichtlich unberührt ist, ebenso aber judenfeindlicher Einstellungen wegen, die nicht wenige Migranten aus ihren Herkunftskulturen mitbringen.

Eine empirische Studie zum Holocaust im Religionsunterricht deutschsprachiger Länder muss ihre Relevanz folglich nicht erst erweisen. Zeichnen die Kirchen inhaltlich für den RU verantwortlich, so stehen ihre Bekenntnisse zur bleibenden Erwählung des jüdischen Volkes hier auf dem Prüfstand. Probe aufs Exempel ist, ob primär das Judentum als Phänomen der Vergangenheit vermittelt und „Betroffenheit“ über geschehenes Unrecht habituell kultiviert oder aber eine zum Handeln bereite Solidarität mit den ersterwählten Gotteszeugen vorgelebt und herangebildet wird. Die interkonfessionelle Forschungsgruppe „Remember“ aus Angehörigen der Universitäten Tübingen, Mainz, Wien und Zürich sowie der Evangelischen Hochschule Freiburg hat empirisch gründlich gearbeitet, viele Daten zur didaktischen Praxis ausgewertet und ist doch hinsichtlich der Zukunftsaufgabe des Themas etwas zu kurz gesprungen.

Erfreulich ist das Resultat, dass Lehrkräfte das Anliegen des Erinnerns persönlich wichtig nehmen und sich über Lehrplanvorgaben hinaus zu eigen machen. Noch wichtiger nimmt sich die erhobene Resonanz in der Schülerschaft aus; die junge Generation verharrt keineswegs in Gänze „weit weg“ von der zivilisatorischen Herausforderung, die die Naziverbrechen markieren. Besorgnis erregt hingegen, wenn für viele Lehrkräfte die Behandlung der Shoah zu umfassenden Lehr- und Bildungsplänen nicht in Bezug steht, die Deutekraft der Holocaustpädagogik für gesellschaftliche Gestaltungsaufgaben perspektivisch also gering veranschlagt wird. Erodierende Geschichtskenntnisse verschärfen die Rahmenumstände.

Ein Defizit der Studie liegt darin, dass sie in Deutschland nur frühere Westländer betrachtet und die von der Weltanschauungspolitik der DDR gezeichneten Landesteile außen vor bleiben. Befohlener „Antifaschismus“ zum Schaden einer seriösen Aufarbeitung der Nazidiktatur, verbunden mit Drangsalierung jüdischer Gemeinden und systematischer Delegitimierung des jüdischen Staates im Nahen Osten, hat ein Erbe hinterlassen, das spezifische pädagogische Aufgaben stellt.

Diffus bleibt das ethische Ziel des Gedenkens. Soll Antisemitismus-Prävention dazu dienen, jüdisches Leben künftig vor Verfolgung zu bewahren, dann müsste die Aufgabe, nicht nur den Antisemitismus der Vergangenheit zu erinnern, sondern nachhaltig streitbares Engagement zu wecken, energischer herausgearbeitet werden, auch hinsichtlich der Schlagseiten und doppelter Standards in aktuellen politischen Debatten. Der Antizionismus, Teile der muslimischen Community mit Teilen der linken Bewegung – manche Akteure kirchlicher Friedensgruppen eingeschlossen – wie mit rechten Verschwörungstheoretikern vereinend, verlangt kritisches Interesse und die Courage, auch eigene Haltungen der Lehrkräfte zu problematisieren. Die Aporie einer überbehütenden Attitüde gegenüber migrantischen Jugendlichen verdeutlicht sich in dem Band selbst.

Die Studie ist nützlich und gut zu lesen. Ehrlicher Weise verspricht sie nicht mehr als Einblicke und Impulse, die sie sehr wohl auch liefert. Was pädagogisch-konzeptionell gefordert bleibt – das „Nie wieder!“ soll mehr als Lippenbekenntnis sein –, steht hingegen noch ganz in den Anfängen.

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