Digitale Option

Gemeindemitglieder wünschen sich weiterhin Gottesdienste über das Internet
Online Gottesdienst in Hannover
Foto: epd

Auch wenn Präsenzgottesdienste wieder überall möglich sind: Digitale Gottesdienste werden von der Mehrheit der Kirchgänger weiterhin gewünscht. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie, die Ralf Peter Reimann, Internetbeauftragter der Evangelischen Kirche im Rheinland, vorstellt.

Erntedanksonntag 2021, es ist herbstlich fieses Wetter und es regnet. Ich frage mich, ob ich nicht online den Erntedankgottesdienst feiern kann. Damit geht es mir wie rund achtzig Prozent der Teilnehmenden an einer Studie, die sich wünschen, dass digitale Gottesdienste weiterhin stattfinden, und zwar am liebsten von der eigenen Ortsgemeinde veranstaltet. Leider bietet meine Gemeinde dies nicht an. Deshalb schwinge ich mich aufs Rad und komme durchnässt in der Kirche zum Gottesdienst an.

Der Wunsch nach Beibehaltung digitaler Gottesdienste ist ein wichtiges Ergebnis der von fünf Landeskirchen initiierten „Studie zu Online-Gottesdiensten 2021. Update der Befragungsstudie Rezipiententypologie evangelischer Online-Gottesdienstbesucher*innen während und nach der Corona-Krise“ (ReTeOG 2), an der sich im Juni dieses Jahres knapp 4500 Befragte beteiligt haben und die Ende September veröffentlicht wurde.

Diese Studie blickt auf digitale Gottesdienste aus Sicht der Kirchgänger*innen, erhebt ihr Verhalten und fragt ihre Wünsche und Bedürfnisse ab. Ob Gemeinden das tatsächlich leisten können, was sich ihre Mitglieder wünschen, ist die große Frage.

Aus der eigenen Gemeinde

Digitale Gottesdienste sind kein Phänomen, das mit dem Rückgang der Corona-Infektionen verschwinden wird. 55 Prozent der Befragten haben weiterhin den digitalen Kirchgang praktiziert, auch wenn sie wieder vor Ort am Gottesdienstleben ihrer Gemeinden teilnehmen konnten. Wer in Pandemie-Zeiten begonnen hat, beim Bäcker für Brötchen bargeldlos zu bezahlen, wird nach Corona nicht zur ausschließlichen Verwendung von Bargeld zurückkehren. Ähnliches gilt auch für den Kirchgang: Auch wenn Präsenzgottesdienste (wieder) möglich sind, besteht der Wunsch nach digitalen Gottesdiensten weiter. Gemeindeglieder wollen die Option haben, auch digital Gottesdienst feiern zu können. Zwei Drittel wollen, dass dieses Angebot aus ihrer eigenen Gemeinde stammt.

Dabei sind digitale Gottesdienste keine große missionarische Gelegenheit, zeigt die Studie. Nur ein bis zwei Prozent haben den Online-Kirchgang für sich entdeckt, die vorher nicht zur Kirche gegangen sind. Der Online-Gottesdienst ist ein Normalfall geworden, quer durch die Gemeinde. Die größte Gruppe derjenigen, die vor Corona oft zur Kirche gingen, tat dies während und nach dem Lockdown auch häufig. Das Besuchsverhalten online und offline vor Ort gleicht sich an. Eine detailliertere (noch nicht veröffentlichte) Analyse zeigt: es gibt eine Gruppe, für die digitale Gottesdienste eine Notlösung ist, eine andere ist begeistert über die neue Form, das weitaus größte Cluster unter den Befragten möchte aber beides: sowohl online am Gottesdienst teilnehmen können als auch in die Gemeinde vor Ort zum Gottesdienst gehen zu können.

Aber es gibt nicht nur hinsichtlich des Besuchsverhaltens Konvergenzen. Wurde bei der Vorgängerstudie 2020 als optimale Länge eines Online-Gottesdienstes eine Viertel- bis halbe Stunde angegeben, so wird nun am meisten ein Gottesdienst von 30 bis 45 Minuten gewünscht. Da unter Corona-Bedingungen auch Präsenzgottesdienste in der Regel nun kürzer als eine Stunde sind, konvergiert die Gottesdienstlänge.

Live oder On-Demand?

Auch die Atmosphäre in Präsenz- und digitalen Gottesdiensten wird sehr ähnlich wahrgenommen: „freundlich“ führt mit jeweils 73 Prozent, „einladend“ liegt bei 51 bzw. 49 Prozent, der Wert für „ermutigend“ ist bei 45 bzw. 46 Prozent. Auf der Skala unten liegen die Werte für „traurig“ und „kühl“ bei vier und sieben Prozent für Präsenzgottesdienste, bei digitalen sind sie bei vier und sechs. Digitale Gottesdienste sind also im gemeindlichen Leben als ein Normalfall angekommen und werden ähnlich wie traditionelle Gottesdienste wahrgenommen.

Im Corona-Jahr hat es auch Veränderungen gegeben. War beim ersten Lockdown wichtig, dass es überhaupt Gottesdienste gab – ob aufgezeichnet oder live – sind nun weniger Befragte mit einer reinen Übertragung bzw. Aufzeichnung des Gottesdienstes zufrieden. Da hybride Formate auch live stattfinden, gilt, dass eine große Mehrheit zeitgleich stattfindende Online-Gottesdienste solchen „on demand“ vorzieht. Ferner ist gegenüber dem Vorjahr der Wunsch nach gottesdienstlicher Interaktion gestiegen. Hier können digitale Gottesdienste gut partizipative Möglichkeiten aufgrund der Technik nutzen. Besonders das Format der Videokonferenz hat sich etabliert. Mehr als die Hälfte wünscht sich, so interaktiv am Gottesdienst beteiligt zu sein.

Keine Randgruppe

Blickt man auf das Sample der Studie, so wird überdeutlich: Die Teilnehmer*innen an der Umfrage stammen aus der Mitte der Gemeinde. 54 Prozent sind ehrenamtlich in der Kirche engagiert. Rund drei Fünftel sind Frauen, zwei Fünftel Männer. Die größten Alterskohorten sind die 51- bis 60-Jährigen und die 61- bis 70-Jährigen, gemeinsam bilden sie rund die Hälfte der Studienteilnehmer*innen. Digitale Gottesdienste sind daher kein Phänomen für Randgruppen. Die „Kerngemeinde“ wünscht sich, auch digital Gottesdienst in ihrer Gemeinde feiern zu können. 65 Prozent wünschen sich dabei, dass auch der digitale Gottesdienst aus der eigenen Gemeinde stammt.

Was wird mittel- und langfristig passieren, wenn digitale Gottesdienstbedürfnisse nicht (mehr) von der Ortsgemeinde erfüllt werden können?

Wenn es kein Zurück in die Vor-Corona-Zeit gibt, müssen Gemeinde und Kirche Wege finden, dass Gemeinden auf die digitalen Bedürfnisse ihrer Mitglieder eingehen. Es gibt dabei keinen Gegensatz zwischen Digitalem und Analogem.  Gemeinden müssen sowohl vor Ort als auch digital für ihre Mitglieder da sein.

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