Seit dem Abitur 2020 arbeitete in unserer Gemeinde ein junger Mann im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), nennen wir ihn hier Stefan. Man sah ihn bei Gottesdienstvorbereitungen, er verteilte das Programm an der Kirchenpforte und filmte den Vocalkreis, sonst hielt er sich im Hintergrund. Digitale Gottesdienste schlossen sich an, und Stefan prägte sich bei mir mit seiner ersten Andacht ein. Während einer Video-Konferenz hatten wir den ersten persönlichen Kontakt. Gemeinsam mit dem Stadtpfarrer schaltete Stefan einen Innenstadt-Zoom, Menschen aus Bildung, Stadt, Kultur und Kirche tauschten sich in Corona-Zeiten aus zur Frage „Wie geht es Ihnen?“.

Schließlich, für den 8. Sonntag nach Trinitatis, war in der Vorschau für den Gottesdienst zu lesen: „Verabschiedung von Stefan ...“, und ich kam an diesem Sonntag zum Gottesdienst gespannt dazu.

Ich sehe es noch wie heute vor mir: Stefan hat die erste Sitzreihe für sich, alle Stühle hinter ihm sind bis auf den letzten Corona-Platz besetzt. Am Ende seiner Predigt widmet sich der Pfarrer ganz diesem jungen Mann. In Sportschuhen, Jeans, mit bedrucktem T-Shirt, die Handgelenke kunstvoll umwickelt mit Lederbändern, die schwarzen Locken fallen frei, der Bart noch jung. So kennt man Stefan, und es ist auch sein Sonntagsanzug. Der Pfarrer erzählt jetzt von den Aufgaben, die das Freiwillige Soziale Jahr in seiner Gemeinde mit Leben gefüllt haben. Die Andachten in Seniorenheimen, Treffen der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft, Inter­religiöse Foren, Konfirmandenarbeit, lange Gespräche über theologische Themen, nicht zu vergessen die erzieherische Arbeit in der Kita.

Am Ende tritt Stefan vor, kniet nieder, sein dankbarer Pfarrer legt ihm die Hand ins wilde Haar und spricht seinen Segen. Jetzt kommt ein anderer junger Mann zu ihm ans Rednerpult und liest aus bunt bemalten Kita-Briefen vor. „War ganz toll“, „Hat viel mit uns gespielt“, „In Zukunft soll er viel frische Luft bekommen“, „Dass er machen kann, was ihm gefällt“.

Danach wird der Brief einer Frau aus dem betreuten Wohnen verlesen, um die sich Stefan während des Lockdowns gekümmert hat. Die Frau bedankt sich bei ihrem jungen Freund für seine Gespräche, für seine Reife und endet mit „Deine alte Freundin“.

Mit dem Lied Jubilate 65 „Geh unter der Gnade“ wird Stefan der Refrain gewidmet: „Gute Wünsche, gute Worte, wollen Dir Begleiter sein.“ Bis zum Ausgang erhält er noch persönliche Glückwünsche, Sonnenblumen und Geschenke. Die gibt Stefan weiter, um beide Hände frei zu haben. Denn vor der Kirche wartet schon Frau X in ihrem Rollstuhl. Die wird er wie so oft am Sonntag auch heute quer durch die Stadt nach Hause fahren.

Auf dem Heimweg spricht mich ein Bekannter aus dem Gemeindekirchenrat an: „So einen Guten kriegen wir nie wieder.“ 

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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