Zu eigen gemacht

Atemberaubende Transkriptionen

Hören – begreifen – zu eigen machen … im musikalischen Kontext heißt der Dreisprung bearbeitender Verwandlung Transkription, Parodie, Kontrafaktur … und leuchtet selten, aber immer wieder auf zwischen den unzähligen Neueinspielungen, die vielfach das Original bannen. Der Hornist Felix Kieser hat unlängst mit seiner CD Be­yond Words ein berührend schönes Beispiel dafür gegeben, welche Kraft barocke Arien ganz ohne Worte entwickeln. Ausgesuchte Vokalensembles brechen dem gegenüber der Kontrafaktur eine Lanze, um dem Text und dem damit verbundenen Bekenntnis zum Wort als Primat der Vokalmusik zu neuer Be(tr)achtung zu verhelfen.

Zlata Chochieva zeigt einen dritten Weg auf, vorhandenen Werken ein neues Gedächtnis zu stiften und sie mit einer neuen Bedeutung zu versehen: Sie lässt Orchesterwerke wie Felix Mendelssohn Bartholdys Sommernachtstraum, Lieder, wie von Franz Schubert aus der Schönen Müllerin, oder Instrumentalwerke, wie Johann Sebastian Bachs Partita für Solo-Violine, auf dem Flügel klingen – in Bearbeitungen berühmter Komponisten und Pianisten, nämlich von Franz Liszt (1811 – 1886), Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow (1873 – 1943) und Ignaz Friedman (1882 – 1948).

Gemeinsam ist allen diesen an die Wurzel großer Musik Vordringenden ein neuer schöpferischer Gedanke, der über die erwiesene Fertigkeit künstlerisch reifer Interpretation und Virtuosität hinausgeht, alt Bekanntem und Vertrautem einen mitunter irritierenden, aber immer belebenden neuen Zugang verschafft und sich die Werke im besten Sinne des Wortes anverwandelt. So ändert sich das Verhältnis zwischen Werk und Interpret in subtiler Form: Das Original wird als Bausatz be- und ergriffen, thematisch zugespitzt und seiner Poesie ein neuer Deklinationsmodus entlockt – der Wurzel des Urtextes wächst ein neuer Trieb. Manchem fällt es schwer, diese Freiheit auszuhalten. Aber Größe und Unabhängigkeit der Werke selbst geben Regen und Segen dazu, und so können wir uns neu an Altem freuen und es kopfschüttelnd bestaunen – insbesondere, wenn es mit dem kraftvollen Gestus der Zlata Chochieva daherkommt, die uns gleich doppelte Freude lehrt: an ihrem gleichermaßen virtuos präzisen wie perlend leichten Spiel, dessen inneres Metrum den Gezeiten gleicht, und an diesem beglückenden (re)creations-Repertoire, das uns einen pianistischen Sternenhimmel zaubert – neben den Werken von Bach, Schubert und Mendelssohn Bartholdy schmeicheln vor allem Liszts Bearbeitungen der „Sechs Gesänge“ von Mendelssohn, Rachmaninows Bearbeitung der L’Arlésienne Suite Nummer 1 von Georges Bizet und Friedmans Bearbeitung der Sinfonie Nummer 3 von Gustav Mahler dem Ohr. Hier kommen die Wandlungsfähigkeit und das pianistische Verständnis Zlata Chochievas besonders zum Vorschein, die auch in größter romantischer Emphase und überbordender thematischer Fülle aus einer klaren inneren Mitte heraus musiziert. Ein Geschenk.

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