Reinigend und rituell

Wie aus Wasser in allen drei monotheistischen Weltreligionen Lebendiges entsteht
Taufbecken in Martin Luthers Taufkirche St. Petri-Pauli in Eisleben.
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Taufbecken in Martin Luthers Taufkirche St. Petri-Pauli in Eisleben.

Judentum, Christentum und Islam sind wüstennah entstanden. Kein Wunder also, dass dem Wasser von Anfang an eine lebensrettende Rolle zugekommen ist. Die essenzielle Bedeutung in den Religionen beschreibt die Marburger Religionswissenschaftlerin Adelheid Herrmann-Pfandt.

Bei einem Sonntagsspaziergang im hessischen Bergland bot sich mir vor kurzem ein Bild, das ich so bald nicht vergessen werde. Wo ich vor einigen Jahren noch durch einen dichten Mischwald gelaufen war, sah ich jetzt, dass über die Hälfte der Bäume verdurstet und infolgedessen gefällt worden war. Stapel auf Stapel zurechtgesägter Stämme türmten sich neben dem Weg auf. Zwischen den wenigen noch stehenden Bäumen konnte ich unter Grasbüscheln und trockenen Zweigen den kahlen, rissigen Erdboden erkennen. Der Anblick zeigte deutlich, was passiert, wenn der lebensspendende Regen knapp wird, so knapp, wie er bei uns in den ganzen vergangenen Jahren gewesen ist.

Vom Beginn der Welt an ist Wasser die wichtigste Grundbedingung für das Leben. Nicht nur in dieser Erkenntnis stimmt die biblische Schöpfungsgeschichte mit der Evolutionsforschung überein. Alles ist da, bevor es losgeht mit der Schöpfung: Himmel, Erde und Wasser. Jedoch ist es das Wasser, auf dem der Geist Gottes schwebt (Genesis 1,2) und es zu dem „lebendigen Wasser“ macht, von dem in der Bibel noch so oft die Rede sein wird. „Wir machen aus dem Wasser alles Lebendige“, sagt Gott im Koran (Sure 21,30). Vielleicht werden wir bald endgültig wissen, dass die Erde nicht der einzige Ort ist, wo Gott „aus dem Wasser Lebendiges macht“. Große Mengen unvereisten, flüssigen Wassers, in denen Salze und sogar organische Substanzen nachgewiesen wurden, befinden sich zum Beispiel auf dem Saturnmond Enceladus. Damit kommt er als möglicher Standort einfacher Lebensformen in Frage, wie sie ganz zu Anfang auch auf der Erde vorhanden waren. Müssen wir uns die Schöpfung von Leben aus dem Wasser vielleicht gar nicht als einmaligen, auf die Erde begrenzten Vorgang vorstellen, sondern als immer wieder neu beginnenden Prozess im Universum? Manch einer kann es kaum erwarten, diese erregende Zukunftsvision von der Weltraumforschung bestätigt zu bekommen.

Judentum, Christentum und Islam sind in oder nahe der Wüste entstanden. Alle drei beziehen sich auf einen Gott, der Menschen in großer Trockenheit durch die Gabe von Wasser das Leben rettet, ob es jetzt das Volk Israel ist, für das Mose, seinen Stab an einen Felsen schlagend, eine Quelle zum Fließen bringt (Exodus 16,1–6, Numeri 20,2–11) oder der verdurstende Abrahamssohn Ismael mit seiner Mutter Hagar, denen Gottes Engel in letzter Minute eine Quelle offenbart (Genesis 21,17–19; muslimisch: al-Buchari). Nach muslimischem Glauben kommt das Wasser dieser Quelle, Zamzam genannt, direkt aus dem Paradies.

Eine andere wichtige Funktion des Wassers ist die Reinigung, die sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn stattfindet, also beim Händewaschen ebenso wie bei der rituellen Reinigung von Sünden. Als eine von Gott selbst vollzogene Sühnereinigung können wir die Sintflut ansehen, in der Gott die sündigen Menschen hinwegspült und von Menschen und Tieren je nur eine einzige Familie in der Arche überleben lässt. Obwohl nicht einmal die Flut Gottes die von Grund auf böse menschliche Natur reinigen konnte, werden Menschen auch in Zukunft Wasser benutzen, um rituelle Reinigung durchzuführen oder zu symbolisieren.

Ein wichtiger Ritualort einer jüdischen Gemeinde ist traditionell die Mikwe, das Ritualbad. Allein in Deutschland sind um die vierhundert oft aus dem Mittelalter stammende Mikwen nachgewiesen, von denen einige fast vollständig erhalten sind. Häufig wurden sie so gebaut, dass das über sieben hinabführende Stufen erreichbare Wasserbecken mit Grundwasser gefüllt war; an anderen Stellen verwendete man Regenwasser, denn nur „lebendiges Wasser“ sollte es sein. Die Mikwe ist nicht für körperliche Reinigung bestimmt, die vielmehr vorher stattfinden soll, sondern man will damit, wie es in einem Text über die Erfurter Mikwe heißt, „geistigen Schmutz aus der Seele spülen“. Die rituelle Reinigung erfolgt durch Untertauchen mit dem ganzen Körper, nachdem man Kleidung, Schmuck und sogar Schminke und Nagellack entfernt und sich gewaschen hat.

Männer und Frauen, die zum Judentum übertreten, müssen in einer Mikwe untertauchen, ebenso jemand, der einen Toten berührt hat, oder ein Schreiber, der religiöse Texte schreiben will, vor allem dann, wenn diese den Gottesnamen enthalten. Koscheres Essen kann nur in Kochgeschirr gekocht werden, das zuvor in die Mikwe eingetaucht wurde. Ferner dient das Ritualbad zur Reinigung verheirateter Frauen nach der Menstruation. Verpflichtend ist das Bad in der Mikwe heute nur noch im orthodoxen Judentum, obwohl es Bemühungen gibt, Mikwen in Synagogenneubauten zu integrieren.

Parzielle rituelle Waschungen sind im Judentum bei vielen Gelegenheiten notwendig, wobei in einigen Fällen hygienisches und rituelles Waschen ineinander übergehen, zum Beispiel beim Händewaschen vor dem Essen. Als es den Tempel in Jerusalem noch gab, mussten die Priester Hände und Füße waschen, bevor sie den Tempel betreten durften.

Das wichtigste Wasserritual im Christentum ist die Taufe. Auch sie hat als Grundbedeutung die Reinigung von Sünden. Obwohl die Sündenvergebung als solche im Leben eines Christen häufig benötigt und erbeten wird, ist die Taufe ein nur einmaliges Ritual zur Aufnahme des Täuflings in die christliche Gemeinde. In der evangelischen und katholischen Kirche wird die Taufe durch dreimaliges Übergießen des Kopfes mit dem Taufwasser vollzogen, während in den Ostkirchen und den meisten Freikirchen ein Untertauchen des ganzen Körpers stattfindet. In den beiden Großkirchen herrscht die Säuglingstaufe vor, die mit dem Versprechen der Eltern und Paten verbunden ist, für die christliche Erziehung des Kindes zu sorgen. Eine zunehmende Zahl von Eltern bevorzugt es heutzutage allerdings, ihren Kindern selbst die Entscheidung für die Taufe zu überlassen, die dann zum Beispiel erst kurz vor der Konfirmation abgehalten wird. Andere Gemeinden, etwa die Mennoniten, praktizieren von vornherein die Erwachsenen- oder Gläubigentaufe, die ein eigenes christliches Bekenntnis des Täuflings voraussetzt.

Eine reinigende und zugleich heiligende Funktion wird in der katholischen Kirche dem Weihwasser zugeschrieben, also dem von einem Priester gesegneten Wasser, das nicht nur zur Taufe dient, sondern auch an Kirchentüren in kleinen Becken auf eintretende Gläubige wartet. Sie benetzen die Hand damit und bekreuzigen sich zum Gedächtnis an ihre Taufe. Weihwasser wird auch zum Besprengen von Gläubigen, Tieren, Gegenständen, Orten, Gebäuden verwendet, die in Gottesdiensten gesegnet werden. All dies sind symbolische Reinigungsrituale.

Das am Ostermorgen von jungen Frauen geschöpfte Quellwasser oder „Osterwasser“ spielt in der Volksfrömmigkeit eine große Rolle. Es heilt beispielsweise Menschen und Tiere von allerlei Krankheiten und soll auch schon bei der Suche nach guten Ehepartnern von Nutzen gewesen sein. Voraussetzung ist allerdings, dass auf dem Weg zur Quelle und zurück kein Wörtchen geredet wird, sonst wird das Osterwasser zu „Plapperwasser“ und verliert seine heiligende Wirkung. In der Generation unserer Eltern und Großeltern gibt es noch Frauen, die in ihrer Jugend Osterwasser geholt haben. In einer Zeit, in der uns solche schönen alten Volksbräuche zunehmend aus dem Blick geraten, freuen wir uns über Texte wie den religiös-mythologischen Jugendroman Krabat (1971), in dem Otfried Preußler dem Osterwasser als Symbol spiritueller Reinheit ein dichterisches Denkmal gesetzt hat.

Auch im Islam, der jüngsten der drei Religionen, ist Wasser von großer ritueller Wichtigkeit. Jede Moschee hat einen Hof mit einem Brunnen oder alternativ eine Waschanlage, wo man vor dem Ritualgebet Gesicht, Hände, Kopf und Füße wäscht. In der Wüste darf man statt des Wassers auch reinen Sand nehmen. Die arabischen Architekten waren Meister des Brunnenbaus und schmückten jeden religiösen und profanen Innenhof mit den dekorativsten Brunnenanlagen. Berühmt ist der Löwenbrunnen in der Alhambra von Granada, der fast überirdisch schön gestalteten Festung der letzten maurischen Herrscher von Spanien. Die zwölf Löwen, die die Brunnenschale tragen, stehen für die zwölf Tierkreiszeichen, die die Gesamtheit des Jahres, die Gesamtheit der Zeit und damit die Ewigkeit symbolisieren.

Zur Pilgerreise nach Mekka gehört ein Ritual, das an die erwähnte, allen drei Religionen gemeinsame Geschichte von Hagar und Ismael anknüpft, aus deren Nachkommen nach muslimischem Glauben die Araber hervorgegangen sind. Muslimische Pilger vollziehen im Verlauf der vorgeschriebenen Rituale in Mekka das Sai-Ritual, indem sie zum Gedenken an die verzweifelt nach Wasser suchende Hagar siebenmal zwischen zwei Hügeln hin- und hergehen und dann die obengenannte Quelle Zamzam im Hof der großen Moschee aufsuchen, wo sie Wasser trinken und auch abgepackte Mengen Wasser mitnehmen dürfen. Dieser Brunnen soll mit der Quelle identisch sein, die Hagar in der Wüste offenbart wurde und um die sich später die Stadt Mekka ansiedelte. Der Handel mit Zamzam-Wasser ist in Saudi-Arabien staatlich verboten, blüht aber im Ausland trotzdem, insbesondere zugunsten derjenigen Muslime, die aus verschiedenen Gründen, etwa Armut oder Krankheit, nicht selbst nach Mekka pilgern können.

Heilige Quellen

In der Bibel sind Brunnen Orte wichtiger Begegnungen. Sowohl Jakob (Genesis 29,4–10) als auch Mose (Exodus 2,16–22) lernen hier ihre künftigen Ehefrauen kennen, und Jesus bietet am Jakobsbrunnen der Frau aus Samaria das lebendige Wasser an, das für Ewiges Leben steht (Johannes 4,4–42).

Heilige Quellen gehen an vielen Orten auf heidnische Zeiten zurück, in denen man Quellnymphen und Wassergeister verehrte und fürchtete. In der europäischen Bronzezeit war es üblich, diesen Gottheiten Waffen, Schmuck, Tiere und manchmal auch Menschen in das Wasser hinein zu opfern. Lebende Opfer wurden getötet, Waffen und andere Gegenstände entsprechend unbrauchbar gemacht und dadurch als Opfergaben gekennzeichnet. In der Zeit der Romantik im frühen 19. Jahrhundert erweckten Dichter die alten Quellgottheiten zu neuem Leben. Manche von ihnen erscheinen als Wassermann (Nöck) oder Nixe, die sich in eine Jungfrau oder einen Jüngling verlieben und diese zu einer Todeshochzeit unter das Wasser ziehen.

Mitunter jedoch nimmt die Begegnung der beiden Welten eine versöhnlichere Form an. In August Kopischs berühmter, von Carl Loewe vertonter Ballade „Der Nöck“ singt ein Wassermann zur Harfe so ergreifend schön, dass Wasserfall, Bäume und Nachtigall innehalten und lauschen. Als einige Kinder spotten, dass sein Singen dem Nöck, der heidnischen Gottheit, nichts helfe, da er ja doch nicht selig werden könne, da verstummt der Nöck voll Trauer, stürzt sich ins Wasser und verschwindet. Er kommt erst wieder, als die Menschen verstanden haben, wie widersinnig und herzlos es ist, jemanden, zumal wenn er so viel zur Freude Anderer beiträgt, aus was für Gründen auch immer aus der Gemeinschaft mit Gott auszuschließen. 

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Foto: Petra Schiefer

Adelheid Herrmann-Pfandt

Dr. Adelheid Herrmann-Pfandt ist Professorin für Religionswissenschaft an der Universität Marburg.


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