Was hülfe es dem Menschen …?

Grenzen der Machbarkeit werden vom Schlagwort zur Erfahrung
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„Wer seine Seele retten will, der wird sie verlieren“ (Matthäus 16,25) – formuliert eine Erfahrung, die wir in der Pandemie immer wieder gemacht haben. Je mehr wir uns weltweit darauf konzentrieren, das nackte Überleben zu retten, desto stärker sind unsere Verlusterfahrungen, und natürlich fehlt uns die leibhafte Nähe anderer Menschen. Sollen wir Berührung vermeiden, um Ansteckung zu verhindern, erleben wir am eigenen Leib, was Anthropologen schon lange gelehrt haben: Der Tastsinn, die Berührung, ist der fundamentale Sinn, der unsere Selbsterfahrung mit der Erfahrung anderer und unserer Welt verbindet. Erfolgt Kommunikation medial von Bildschirm zu Bildschirm, vermissen wir den Austausch von Angesicht zu Angesicht. Vor allem: Je mehr wir meinen, wir könnten die Krise erfolgreich managen, desto häufiger werden wir auf unsere grundlegende Hilflosigkeit zurückgeworfen. War die Rede von den Grenzen der Machbarkeit ein abstraktes Schlagwort, ist sie nun zur konkreten Erfahrung geworden.

Back to Basics: Die Rede von der Seele, die in der Bibel das vom Geist Gottes geschenkte ganze Leben meint, steht in den philosophischen Traditionen für die dauernde Identität des Menschenlebens, für die Frage, was bleibt, wenn unser leibliches Leben endet, und für den Hinweis auf den Grund der Freiheit – das Nicht-Machbare und unserem Handeln Unverfügbare. Mir ist diese Dimension des Verdankt-Seins unseres Lebens, bis zum Tod und über den Tod hinaus, besonders an den Psalmen deutlich geworden, die wir im Gottesdienst gesungen haben. Einfach klagen zu dürfen, ungefiltert und ungehemmt, ist für sich schon eine befreiende Erfahrung. Der Eingangschor der Bach’schen Matthäuspassion („Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen“) hatte in dieser Passionszeit viele Resonanzen im Leben. Den Tod und das Leiden anderer Menschen klagend zu betrauern und die Lücken, die in unser Leben gerissen sind, nicht zu verschweigen, öffnet das Leben für die Einsicht in seine Unverfügbarkeit. Die Seele, so sehen es die Psalmen, ist das Organ unserer Kommunikation mit Gott, dem unverfügbaren Grund unseres Lebens, in ihr klingt die Antwort auf die Unverfügbarkeit des Lebens an: als Klage, als Dank und im Lobpreis.

Leben aus Passion: Im Neuen Testament stehen die Sätze vom Verlust des Lebens und der beschädigten Seele im Zusammenhang der Nachfolge Christi, die im Bild des Auf-sich-Nehmens des Kreuzes zusammengefasst wird. Damit wird nicht nur in Erinnerung gerufen, dass wir alles, was unsere Seele ausmacht, nicht machen, sondern erleiden, sondern auch zugesagt, dass das Kreuz Christi zur Auferweckung führt. Unsere Passion – daran wollen diese Sätze erinnern – ist im Leben wie im Sterben und über den Tod hinaus umgriffen und gehalten von der Passion, der Leidenschaft Gottes, des „Liebhabers des Lebens“ (Weisheit Salomo 11,27), für seine Geschöpfe. Aus den „seelenvollen“ Gesten der Klage, des Dankes und des Lobes, zu denen uns der Geist Gottes befreit und die auf diese Passion antworten, setzt sich unser Leben neu zusammen

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Christoph Schwöbel

Dr. Christoph Schwöbel ist Professor für Systematische Theologie an der University of St Andrews, Schottland, und Herausgeber von "zeitzeichen".


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