Feste feiern beim Kommissar

Wer alte Krimis guckt lernt: Wir haben Fortschritte gemacht!
Foto: Harald Oppitz

Nichts entspannt mich gerade mehr als ein paar alte Folgen „Der Kommissar“ auf youtube. Schwarzweiß flimmern mir die frühen 1970er Jahre entgegen und zeigen mir unmissverständlich, dass früher nicht wirklich alles besser war. Wer Zweifel daran hat, ob sich in der Gesellschaft in den letzten 50 Jahren etwas verbessert hat, der sollte sich Erik Ode gönnen. Dabei war das Drehbuch damals am Puls der Zeit. Hippiekultur, Drogen, Generationenkonflikte – alles wurde thematisiert, jede Folge war ein Spiegel der damaligen gesellschaftlichen Realität. Es gab düstere Hinterhofwohnungen mit Frauen in Kittelschürzen und Protzvillen mit Hausdamen und Dienstmädchen, bewohnt von Familien, die ihren Wohlstand problemlos aus dem dritten Reich in die Gegenwart gerettet hatten. Gesinnung inklusive. Deshalb empfehle ich den „Kommissar“ auch meinen Vikarinnen und Vikaren, wenn die wissen wollen, wie es „früher so war“.

Manchmal sind die jungen Leute dann geschockt über den Alkohol- und Zigarettenkonsum in jeder Folge. Fräulein Rehbein hat die Cognacflasche im Büroschrank und Verdächtige werden beim Bier in der Stammkneipe befragt, Erik Ode trägt Zigarette im Mundwinkel und Günther Schramm als Inspektor Walter Grabert trennt sich wahrscheinlich nicht mal im Bett von seiner Pfeife.

Manchmal hole ich mir bei solchen Fernsehabenden die drei alten Porzellanschälchen für das Knabbergedeck aus dem Schrank, Fundstücke vom Flohmarkt, ich finde, das hat Stil. So was stand vor fünfzig Jahren auf jedem Couchtisch, inklusive des passenden Aschenbechers. Ich habe mir allerdings vor 21 Jahren das Rauchen abgewöhnt, das Ambiente muss auch ohne Zigaretten funktionieren. Wenn der Kommissar dann unwirsch Fräulein Rehbein anschnauzt, strecke ich wohlig die Füße aus. Wie schön, dass sich das heute keiner mehr trauen würde! Und wie merkwürdig, dass das vor fünfzig Jahren fast alle ganz normal fanden! Fast alle – meine Eltern gehörten definitiv nicht dazu und lebten damals schon eine völlig emanzipierte Partnerschaft. Nur dass das damals von der Umgebung nicht bejubelt, sondern kritisch beäugt wurde.

Während ich Erik Ode dabei zusehe, wie er mit schiefsitzendem Hütchen auf dem Kopf die Mörder zur Strecke bringt, freue ich mich über das, was wir in Deutschland in Sachen Emanzipation und Arbeitsplatzkultur alles erreicht haben! Ich finde, das könnten wir alle einmal gehörig feiern! Klar gibt es noch Luft nach oben. Trotzdem wäre es doch eine schöne Idee, wenn wir kritikwütigen Deutschen ab und an mal eine Atempause einlegen und sowohl würdigen als auch wertschätzen könnten, was sich dank des engagierten Einsatzes vieler mutiger und progressiver Menschen in unserer Gesellschaft alles zum Guten geändert hat. Das ist ein Fest wert! Das Event ließe sich Corona-gerecht auch ohne gefährliche Menschenansammlungen realisieren. Wie in den 1970er Jahren würden wir uns alle vor dem Fernseher versammeln, Nüsschen und Brezelchen bereitstellen und dann 60 Minuten bei leergefegten Straßen die Spannung einfach genießen.

Anschließend stoßen wir an: Auf die Gleichberechtigung, auf Frauen in der Politik, auf Frauen in Kirchenleitenden Positionen, auf die Ehe für alle, auf eine verjüngte EKD-Synode und darauf, dass Fräuleins und Kittelschürzen aus der Mode gekommen sind. Protzvillen und rechte Gesinnung leider noch nicht. Aber, wie bereits zugegeben: Es bleibt noch Luft nach oben!

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Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


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