Die Freiheit lieben

Der große römisch-katholische Theologe Hans Küng ist im Alter von 93 Jahren gestorben
Hans Küng am Fenster seines Wohnhauses
Foto: epd
Hans Küng im Alter von 85 Jahren am Fenster seines Wohnhauses in Tübingen.

So war er, Hans Küng: Ein Mann, der nur vor dem Allerhöchsten sein Knie beugte – und sich von keinem Papst etwas sagen ließ, erst recht nicht von seinem ehemaligen Theologie-Kollegen Joseph Ratzinger. Denn es ging ihm um mehr als nur um seine katholische Kirche, an der er litt, und die er gleichwohl nie verließ. Trotz aller römischen Demütigungen, die der streitbare Schweizer einstecken musste. Ein Nachruf.

Wie muss man sich das nun vorstellen? Da sitzt also der greise Kardinal Joseph Ratzinger, der sich selbst Papst emeritus nennt, in seinem Kloster in den wunderschönen vatikanischen Gärten, vielleicht weht ein frühlingshaftes Windchen in die gepflegten Räume, sein Freund und Helfer Georg Gänswein tritt herein und berichtet ihm, Hans Küng sei gestoben – und Ratzinger? Was macht er? Was sagt er? Nickt er bloß? Murmelt er ein Gebet für seinen früheren Professoren-Kollegen, damals, so lange her, in Tübingen? Ist sein Groll nun weg, weil mit dem Tod alle Feindschaft endet? Ist da womöglich so etwas wie Trauer?

Wir wissen es nicht und werden es wohl nie erfahren, aber wer über den gestern in seinem Haus im fernen Schwaben friedlich entschlafenen Jahrhundert-Theologen Hans Küng schreibt, kommt an Joseph Ratzinger nicht vorbei – zu eng waren die beiden Leben miteinander verflochten, Jahrzehnte lang. Man könnte fast problemlos die Geschichte der katholischen Kirche der letzten 60 Jahre beschreiben, wenn man nur diese beiden außergewöhnlichen Biografien schilderte, die sich anzogen und abstießen wie zwei Magnete, je nachdem, wie man sie hält.

Hans Küng wurde 1928 in der Schweiz geboren, sein Vater war Schuhhändler, dass er schon mit 32 Professor für Theologie in Tübingen werden würde, war ihm nicht in die Wiege gelegt. Aber schon da hatte er sich als brillanter theologischer Kopf und katholischer Priester einen Namen gemacht. Der energiegeladene Mann hatte zuvor unter anderem an der Sorbonne studiert und zum Thema „Rechtfertigung. Die Lehre Karl Barths und eine katholische Besinnung“ promoviert. Sein Schweizer evangelischer Landsmann Karl Barth schrieb ihm einen wohlwollenden Geleitbrief zur Dissertation. Es ist ein faszinierender Gedanke, dass Küng schon damals Grundgedanken für die ökumenische Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre aus dem 1999 vorlegte.

Ein Bestseller nach dem anderen

Beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 1965) kreuzten sich die Wege Küngs und Ratzingers wieder und intensiv. Denn beide waren als „Peritus“ von Papst Johannes XXIII. dorthin berufen, also als offizielle theologische Berater – und in dieser Zeit waren die theologischen Differenzen zwischen den beiden noch nicht so groß. Dann lehrten sie gemeinsam als Professoren in Tübingen römisch-katholische Theologie, und wer Ohren hatte zu hören, der hörte immer deutlicher die Gräben, die zwischen den beiden großen theologischen Denkern langsam aufrissen. Das Jahr 1968 schied dann die Geister: Während Küng mit den Störungen und Anfragen der Studenten gut und sportlich zurecht kam, ja den Disput suchte, war Ratzinger geradezu verstört – ihn hielt es nicht mehr am Neckar. Manche sagen, spätestens hier entwickelte der Bayer sich zu dem konservativ-reaktionären Theologen, der er später wurde.

Hans Küng blieb dagegen der kritische Geist, der einen Bestseller  nach dem anderen publizierte, immer wieder in Rom aneckte, kein heißes Eisen der katholischen Kirche ungeschlagen ließ, Frauenordination, Zwangszölibat, Unfehlbarkeitsdogma, Pflicht zur Ökumene, mehr Mitsprache der Laien in der katholischen Kirche und so weiter. Ihm machte es nichts aus, in Rom ungeliebt zu sein, während Ratzinger den anderen Weg ging, sich anpasste, theologisch immer weiter rechts graste – bis ihn schließlich Johannes Paul II. nach Rom holte, wo er Präfekt der Glaubenskongregation wurde und die theologische Meinungsfreiheit im Gehorsam zum polnischen Papst immer weiter zurück schraubte – am schlimmsten wahrscheinlich gegenüber der Theologie der Befreiung, der nach und nach die Luft abgedreht wurde, mit Bußschweigen auf der einen Seite, mit der Berufung konservativer Bischöfe in Lateinamerika auf der anderen Seite.

Küng war da schon, 1979, die Lehrerlaubnis entzogen worden, ein brutaler Akt aus Rom, der ihn immens schmerzte, wie er später erklärte. Ratzinger war ab 1982 Präfekt der Glaubenskongregation, also an dieser akademischen Vertreibung Küngs nicht direkt beteiligt – aber ein Bedauern darüber hörte man vom Karrieristen Ratzinger nie, und Brücken zum Geschassten hat er offenbar auch nie gebaut. Es ist eine traurige Geschichte.

Wirkmächtige Gedanken

Gottseidank sprang die Universität Tübingen ein und verschaffte Küng als Ersatz für seinen verlorenen Lehrstuhl eine Professur für Ökumenische Theologie, und der brillante theologische Kopf machte daraus nicht nur das Beste, sondern etwas ganz Neues. Seine Stiftung Weltethos wurde zu einem think tank einer globalen Versöhnung der Religionen, alles auf Augenhöhe übrigens, nach dem Motto: Kein Frieden der Nationen ohne einen Frieden der Religionen. Das war damals ziemlich neu – und der richtige Gedanke, wenn man etwa die späteren, auch religiös fundierten Konflikte etwa mit dem islamistischen Terror oder jüngere religiös-politische Krisen etwa auf dem indischen Subkontinent betrachtet. Dass Desmond Tutu, Kofi Annan und Tony Blair zu ihm nach Tübingen kamen, ja fast pilgerten, war nur ein äußeres Zeichen dafür, wie wirkmächtig Küngs Gedanken weltweit wurden.

Ratzinger dagegen beschäftigte sich in Rom damit, ob die Kirchen der Reformation nun eigentlich „Kirchen im eigentlichen Sinne“ seien oder wie man noch weiter rechts stehende Bischöfe außerhalb der Kirche wieder in die allein Seligmachende integrieren könnte – das war typisch: Wo Küng immer weiter und offener wurde, wurde sein alter Professorenkollege aus Bayern immer enger und rückwärtsgewandter. Dass sich beide noch einmal in Castel Gandolfo, kurz nach der Wahl Ratzingers zum Papst 2005, trafen, ist eine schöne Geschichte, jedoch eine, die keine größeren Nachwirkungen hatte, auf beiden Seiten nicht.

Als taz-Kollegen haben Jan Feddersen und ich Küng vor elf Jahren in seinem Tübinger Haus einmal gefragt, ob er manchmal das Gefühl habe, gescheitert zu sein. Er nahm es gelassen: „Ich habe immer gesagt: Die Schlacht haben wir verloren, aber nicht den Krieg.“ Und: Ist der Krieg noch zu gewinnen? „Ich habe nicht danach zu fragen, ob sich meine Sache durchsetzt, sondern ob das, was ich vertrete, die Wahrheit ist.“

So war er, Hans Küng, ein freiheitsliebender, nach der Wahrheit strebender, ungemein kluger Mann, der – er brachte einmal den Vergleich mit einem Bergbauern seiner Schweizer Heimat – niemals und vor niemandem buckelte. Seine Knie beugte er nur in der Kirche vor dem Allerhöchsten. Jetzt darf er ihn sehen, von Angesicht zu Angesicht, so wollen wir glauben. Wir sind glücklich, dass wir Hans Küng, von Ferne oder Nähe, erleben konnten. Und von seinem Gedanken und seinem Kampf profitieren durften. Mindestens das wird bleiben.

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