Narcos von unten

Der Pablo Escobar-Clan, die Morde, der Glaube und die Versöhnung
Foto: EKDKultur/Schoelzel

Über die Missionsakademie in Hamburg lernte Johann Hinrich Claussen den kolumbianischen Theologen und Schriftsteller Juan Esteban Londoño kennen. Sein Vater war vor Jahrzehnten schicksalshaft mit dem Chef des Medellíner Drogenkartells, Pablos Escobar, verknüpft. Londoño setzt heute auf Versöhnung. Über die Missionsakademie in Hamburg lernte Johann Hinrich Claussen den kolumbianischen Theologen und Schriftsteller Juan Esteban Londoño kennen. Sein Vater war vor Jahrzehnten schicksalshaft mit dem Chef des Medellíner Drogenkartells, Pablos Escobar, verknüpft. Londoño setzt heute auf Versöhnung.

Hierzulande kennt man die Schrecken der jüngeren Geschichte Kolumbiens fast nur aus Unterhaltungsfilmen wie der Netflix-Serie «Narcos»: spannend, exotisch und aus der Perspektiven eines «guten» US-amerikanischen Polizisten erzählt. Ganz anders stellt es sich dar, wenn man mit einem Kolumbianer selbst spricht. Zum Beispiel mit dem jungen Schriftsteller und Theologen Juan Esteban Londoño. Aufgewachsen ist er in Medellín. Sein Vater war ein Politiker, der der Versuchung erlag, für Pablo Escobar zu arbeiten, den Chef des Medellín-Kartells. Als kleines Kind musste er erleben, wie die Polizei sie beide unter Feuer nahm. Knapp entkamen sie mit dem Leben. Wenig später wurde der Vater von Escobars Leuten ermordet.

Londoño wäre als Jugendlicher fast den Weg ins Verbrechen gegangen. Doch fand er den Weg in eine pfingstlerische Freikirche. Man kann ruhig sagen: in eine Sekte. Durch sie grenzte er sich radikal von anderen Jugendlichen ab, fand zu einem disziplinierten Lebensrhythmus und zur Bibel. Das half ihm, einen anderen, seinen eigenen Weg zu gehen, der gleichermaßen durch Bibel und Literatur bestimmt ist.

Eines Tages, er war nun Theologiestudent und nahm in seiner Fakultät an einer Andacht teil, da erschien plötzlich einer der Mörder seines Vaters. Er hatte im Gefängnis zum christlichen Glauben gefunden und wollte nun, endlich aus der Haft entlassen, all diejenigen um Vergebung bitten, denen er Schaden zugefügt hatte. So bat er auch den gänzlich unvorbereiteten Londoño um Vergebung. Und der umarmte ihn in einer spontanen Bewegung und versöhnte sich mit ihm.

Es blieb nicht bei einer spontanen Geste. Heute reflektiert Londoño darüber, welche Bedeutung die Versöhnung in einer so gewaltträchtigen Gesellschaft wie der kolumbianischen haben kann. Seine persönliche Versöhnung steht ja in einem größeren Kontext und verweist auf die Friedensprozesse, die für das Land heilsam wären – zwischen Regierung und ehemaligen Farc-Terroristen, zwischen Regierung und Drogen-Kriminellen, zwischen Ober- und Unterschichten, Stadt und Land. Gerade Christen haben hier eine große Aufgabe – allerdings stellen sich ihr die mächtigen pfingstlerischen Kirchen entgegenstellen und predigen Unversöhnlichkeit. Wer Londoño in seinen Überlegungen über die Versöhnung zuhört, bekommt eine ganz andere Ahnung über die Schwere und Größe dieses christlichen Prinzips.

Kennengelernt habe ich Londoño über die Hamburger Missionsakademie – eine wunderbare Einrichtung, die es Menschen aus dem globalen Süden erlaubt, in Deutschland Theologie zu studieren, eine Doktorarbeit zu schreiben, den nötigen Abstand zur Reflexion zu finden. Auch die Missionsakademie ist in ihrem Bestand gefährdet. In meiner Begegnung mit Juan Esteban Londoño habe ich erfahren, wie wichtig sie ist.

Wer mein Podcast-Gespräch mit ihm hören möchte, klicke hier.

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Johann Hinrich Claussen

Johann Hinrich Claussen ist seit 2016 Kulturbeauftragter der EKD. Zuvor war er Propst und Hauptpastor in Hamburg.


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