Versöhnend

Über die Militärseelsorge

Nichts liegt Sylvie Thonak ferner, als die Militärseelsorge abschaffen zu wollen. Sie wünscht sich für den kirchlichen Dienst an Soldatinnen und Soldaten solche Voraussetzungen, die ein unbeeinträchtigtes alltägliches Arbeiten im Sinne des Militärseelsorgevertrags absichern. Die Gymnasiallehrerin ist in der praktisch-theologischen Zunft namhaft durch ihre Dissertation zur Shell-Jugendstudie von 2003. Seit Jahren bewegt sie sich mit ihrer differenzierten Haltung zur Soldatenseelsorge zwischen den Fronten der fundamentalpazifistischen Kirchengruppen und der unkritischen Anhänger und Anhängerinnen einer hierarchieaffinen „Militärkirche“.

Die vorliegende Sammlung von Aufsätzen Thonaks und ihres neutestamentlichen Lehrers Gerd Theißen zielt auf Klärung und Versöhnung der „Lager“. Fürsprecher einer Militärseelsorge, die das Gewissen stärkt und der militärischen Institution kritische Momente entgegenstellt, werden Nützliches finden.

Obwohl der Militärseelsorgevertrag von 1957 den Militärgeistlichen so viel Unabhängigkeit garantiert wie nie zuvor in der Geschichte, ist die Militärseelsorge ein ungeliebtes Kind des Protestantismus geblieben. Theologische und politische Ignoranz sind ausschlaggebend dafür. Thonak spricht aus, welche Ausgrenzung Soldaten ihres Berufs wegen in Kirchengemeinden erfahren.

Dass ungeliebte Kinder zum Bocken und Schmollen neigen, bestätigte die Militärseelsorge ihrerseits, indem sie Thonak zeitweise regelrecht boykottierte – was den Eindruck, auf diesem kirchlichen Handlungsfeld ereigne sich Fragwürdiges, nur verstärkte. Die in dem Band zum Teil wiederabgedruckten Artikel, verschieden in Ausrichtung und Tiefenschärfe, atmen insgesamt Solidarität mit der Soldatenseelsorge. Noch dort, wo grenzwertiges Verhalten von Militärgeistlichen kritisiert wird, dient dies dem Ziel der strukturellen Verbesserung. Dass die kirchliche Ordnung das verkündigende Handeln mitbestimmt, ist nicht erst seit der Barmer Erklärung eine evangelische Grundeinsicht. Sylvie Thonak spricht sich für legitimierte Basisvertretungen in der Militärseelsorge aus und berührt damit einen fraglos diskussionswürdigen Punkt. Auch akademisch wird Beachtliches geboten: Thonaks Artikel über Soldaten im lukanischen Doppelwerk schließt eine Lücke der exegetischen Forschung.

Gerd Theißens Beiträge lohnen die Lektüre nicht minder. Der sozialwissenschaftlich wie psychologisch beschlagene Exeget markiert und überwindet in der Frage, ob die christliche Friedensethik genuin biblisch oder ein modernes Kon-strukt sei, ideologische Gräben. Wie sehr pazifistisches Verhalten schon urchristlich auf militärischen Schutz angewiesen war, bleibt eine brisante Erkenntnis. Gerd Theißens Ausführungen zu Kriegserfahrungen und Aggressionsbewältigung im Neuen Testament weisen über die Debatte zu Strukturfragen der Militärseelsorge hinaus.

Die Sammlung ist exegetisch und theologisch ein Gewinn, für die politik- und friedensethische Selbstprüfung der Kirche liefert sie Maßgebliches. In der Militärseelsorge sieht sich die Kirche nicht zuletzt mit ihrer nationalprotestantischen Vergangenheit konfrontiert, was manche Abwehrreaktion motivieren dürfte. Ein moralisch abgehobener „Nationalpazifismus“ eröffnet kaum reelle Handlungsmöglichkeiten. Das Arbeitsfeld, auf dem Seelsorger jungen Menschen in schwierigen Situationen nahekommen wie kaum irgendwo sonst, verdient engagiertes Hinschauen, lädt das großteils entkonfessionalisierte Milieu der Soldaten Kirche doch zum Lernen und Experimentieren ein. Freies Bekennen und cleveres Nutzen von Chancen sind hier gefordert. Wer Gerd Theißen und Sylvie Thonak gelesen hat, ist sich dessen umso mehr bewusst.

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