Musik für alle!

Reiche und Gebildete musizieren mehr als andere. Das sollte so nicht bleiben
Foto: Rolf Zöllner

Etwa jede(r) fünfte Deutsche musiziert in der Freizeit. Gut so. Allerdings: Gut gebildete Menschen mit höherem Einkommen musizieren etwa doppelt so oft wie Menschen aus dem Milieu, das man gemeinhin Unter- oder Mittelschicht nennt. Muss man sich das Musizieren also leisten können? Wie kann man das ändern? Und welche Rolle könnte die Kirche dabei spielen?

Mein erstes Musikinstrument war die Melodica von Hohner, bis heute das Weihnachtsgeschenk, über das ich mich in meinem Leben am meisten gefreut habe. Mit der ging ich jede Woche zum stets etwas genervten Herrn Poppe, der eigentlich Jurist war und uns nachmittags in der Räumen meiner Grundschule im Auftrage des städtischen Jugendmusikrings für einen überschaubaren Monatsbeitrag mit strengem Blick und taktschlagendem Kugelschreiber Noten und Töne beibrachte. Eigentlich hätte ich lieber Akkordeon gelernt, aber um das zu kaufen, reichte das Geld zu Hause nicht. Und mit der später als Leihgabe des Musikringes angebotenen Mandoline wurde ich nicht wirklich warm. Immerhin, Noten habe ich gelernt, dank der Melodica kann ich ein wenig auf dem E-Piano klimpern, in der kirchlichen Jugendarbeit lernte ich dann den E-Bass zu zupfen und im Chor zu singen – und wenn nicht gerade Corona ist, tue ich letzteres mit viel Freude bis heute.

Mit dieser eher schlichten amateurmusikalischen Biographie bin ich dennoch eine Ausnahme. Zunächst deshalb, weil achtzig Prozent gar nicht musizieren, also weder mehr oder minder regelmäßig singen oder ein Instrument spielen oder gar beides. Das ist ein Ergebnis einer aktuellen Umfrage, die das Deutschen Musikinformationszentrum (miz), eine Einrichtung des Deutschen Musikrates, heute vorgestellt hat. Das Institut Allensbach hat zu Beginn der vergangenen Adventszeit gut 1200 repräsentative Interviews geführt und somit zum ersten Mal eine valide Hochrechnung zum Amateurmusizieren in Deutschland erstellt.  Die gute Nachricht dabei ist gewiss, dass immerhin 19 Prozent der Deutschen musizieren, das sind rund 14,3 Millionen Menschen. Vor allem unter den Kindern und Jugendlichen ist die Quote hoch, 48,4 Prozent, also nahezu jedes zweite Kind zwischen sechs und 15 Jahren, musiziert regelmäßig, bei den 16 bis 29jährigen ist es immer noch jede*r Dritte. Danach fordern Familie und Beruf offenbar ihren Tribut und die Zahl der Musizierenden nimmt auf zwölf bis 13 Prozent ab.

Doch der zweite Grund, weswegen ich meiner Mutter, Herrn Poppe und dem Jugendmusikring Castrop-Rauxel wirklich dankbar sein kann ist, dass mein Herkunftsmilieu nicht gerade für eine musikalische Ausbildung spricht. Nur gut jedes dritte Kind aus einem Elternhaus mit „niedrigem sozialökonomischen Status“ musiziert regelmäßig, am oberen Ende sind es 63 Prozent, im Mittelbau auch nur 41 Prozent. Mit zunehmendem Alter wird es nicht wirklich besser: 25 Prozent der Personen ab 16 Jahre mit höherem sozioökonomischen Status zählen sich zu den Freizeit- und Hobbymusiker*innen, aber nur 12 Prozent der Personen aus den unteren und 14 Prozent der Personen aus den mittleren Sozialschichten.

Mal abgesehen davon, was man von diesem Lasagne-Bild einer geschichteten Gesellschaft und dem Oben-Unten-Schema hält, ist der Befund doch eindeutig: Wer viel Geld und einen höheren Bildungsabschluss besitzt, musiziert mehr. Das könnte man achselzuckend zur Kenntnis nehmen und darauf verweisen, dass auch in so manchen besseren Kreisen große Bildungslücken bestehen, etwa wenn es um das Überleben und die Codes in prekären Stadtteilen geht. Aber wer weiß, wie wichtig Musik gerade für diejenigen sein kann, die nach Ausdrucksmöglichkeiten jenseits von Sprache suchen, die den Zugang zur eigenen Gefühlswelt über Töne und Klänge finden und für die es nicht selbstverständlich ist, Selbstwirksamkeit durch Musizieren kennen zu lernen, fragt sich schon, welchen Stellenwert musikalische Bildung in diesem Land hat.

So zum Beispiel Prof. Martin Maria Krüger, Präsident des Deutschen Musikrates: „Die musikalische Bildung in der Grund- und Vorschule ist entscheidend“, sagte er auf der Pressekonferenz anlässlich der Vorstellung der Studie. Und er verwies darauf, dass in diesem Bereich „mindestens 23.000 qualifizierte Kräfte fehlen“. Zudem müssten die Musikvereine, die oft deutlich günstigeren Unterricht als private Schulen anbieten, „gestärkt und gerettet“ werden, gerade angesichts der Corona-Pandemie, die Chöre und Musikschulen seit Monaten stillgestellt hat.

Das auch die Kirchen einen großen Beitrag zum musikalischen Leben in Deutschland leisten muss hier eigentlich ebenso wenig betont werden wie die Tatsache, dass Chorkonzerte, Bläserchöre und Auftritte cooler Bands in Kirchen und Gemeindehäusern schmerzlichst vermisst werden. Dennoch muss auf die Rolle der Kirchen hingewiesen werden, nicht nur weil der Umfrage zu Folge zwanzig Prozent der Amateurmusiker in Kirchen agieren. Wenn tatsächlich ein so großer Zusammenhang zwischen Einkommen und Muszieren besteht, wie es die Studie nahelegt sind die meist gebührenfreien kirchenmusikalischen Angebote umso wichtiger. Kirchenchor, Kindermusicals, Bläserensemble, Gemeindeband – ganz gleich in welcher Form: Kirche kann sehr viel tun um der sozialen Schieflage unter Amateurmusikern entgegenzuwirken. Dass dieser wichtige Beitrag in den eigenen Reihen nicht immer ausreichend wertgeschätzt wird, tut seiner Bedeutung keinen Abbruch.

 

Hier der Link zur Studie:

2021_03_miz_Amateurmusizieren_in_Deutschland.pdf

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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