Im Waffenrock und mit Kippa

Nach hundert Jahren werden wieder Rabbiner einer deutschen Armee angehören
Preußische Soldaten jüdischen Glaubens bei einem Feldgottesdienst im Deutsch-Französischen Krieg im Oktober 1870.
Foto: akg
Preußische Soldaten jüdischen Glaubens bei einem Feldgottesdienst im Deutsch-Französischen Krieg im Oktober 1870.

Kaiserliche jüdische Soldaten wurden bereits im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 von der jüdischen Feldseelsorge begleitet. Auch im Ersten Weltkrieg diente Segenspersonal mosaischen Glaubens. Ab 1918 gab es dann weder in der Reichswehr der Weimarer Republik, selbstverständlich nicht in der Deutschen Wehrmacht und auch nicht in der Bundeswehr eine jüdische Seelsorge. Wie sich das gerade ändert, schildert Roger Töpelmann, der bis 2020 Sprecher des Evangelischen Militärbischofs war.

Engagiert schließt Annegret Kramp-Karrenbauer in ihren letzten Amtsmonaten als Verteidigungsministerin noch einige „militärische Fähigkeitslücken“: so der Ausbau des Militärischen Abschirmdienstes zur Extremismusabwehr oder die Optimierung der NATO-Kommandostruktur. Ein politisch brisantes Ziel will sie ebenso in den Soldatenalltag umsetzen: den Aufbau einer jüdischen Militärseelsorge.

Unterzeichnet wurde der Vertrag mit Vertretern des Zentralrates der Juden in Deutschland bereits vor einem guten Jahr im Dezember 2019. Der Abschluss kann durchaus historisch genannt werden. Denn nach hundert Jahren werden wieder Rabbiner einer deutschen Armee angehören. Im Ersten Weltkrieg sollen unter den deutschen Soldaten 96 000 Juden gekämpft haben – 77 Prozent im Fronteinsatz. Damals waren das etwa 17 Prozent der jüdischen Bevölkerung. Bemerkenswert auch, was der Staat von den 45 Rabbinern erwartete: Sie waren anfangs unbesoldet, ihre Gemeinden mussten für Ausrüstung und Lebensunterhalt aufkommen. Wie ihre christlichen Kollegen trugen sie Uniform. Ein Davidstern auf der Kopfbedeckung machte ihre Religion kenntlich.

Die Tradition der Seelsorge reicht aber noch weiter zurück: Kaiserliche jüdische Soldaten wurden bereits im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 von der jüdischen Feldseelsorge begleitet. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges gab es dann weder im 100 000-Mann-Heer der Weimarer Republik und erst recht nicht in der Deutschen Wehrmacht eine jüdische Seelsorge.

Die Pluralisierung der Seelsorge in der Bundeswehr ist ein über Jahre gefordertes Ziel, denn in den Streitkräften der NATO-Verbündeten ist sie schon lange Alltag. So in der US-Army oder in den Streitkräften der Niederlande, die sich – im friedensbewussten Deutschland gänzlich undenkbar – „Nederlandse krijgsmacht“ nennt. Ihre 41 000 Berufssoldaten lassen sich von 89 christlichen, zwei jüdischen Geistlichen und 38 humanistischen Militärgeistlichen versorgen.

Die Planung für eine Seelsorge jüdischer Provenienz ist 2021 im Bundesministerium der Verteidigung weit vorangeschritten. Verantwortlich ist Sven Lange, ein langgedienter Soldat und Oberst im Generalstab. Aber wie viele Soldatinnen und Soldaten jüdischen Glaubens gibt es überhaupt in der Bundeswehr? Und wie viele Militärrabbiner brauchen sie?

Schon bei der Vertragsunterzeichnung 2019 fragten Pressevertreter nach einer validen Zahl für die in der Bundeswehr Dienst leistenden Soldaten und Soldatinnen jüdischen Glaubens. Die Antwort ist nicht so einfach. Grundlage für die in der Öffentlichkeit genannte Zahl von dreihundert jüdischen Soldaten in der Bundeswehr sei, so Lange, tatsächlich eine Schätzung auf Grundlage von Daten, die das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in einer wissenschaftlichen Untersuchung erhoben habe, sagt er. Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland habe im Antragsverfahren und in der Öffentlichkeit eine gleichlautende Zahl genannt.

„Die Zahlen muss man mit einer Prise Salz nehmen“, sagt Lange – aber dass die geschätzte Zahl von dreihundert „ein Militärgeheimnis“ sei, wie die taz einmal raunte, stimmt auch nicht. Den Planern muss man zugutehalten, dass sie die Daten solide erhoben haben. Das Problem ist: Zu einer Auskunft über seine Religionszugehörigkeit kann in der Bundeswehr niemand gezwungen werden. Die Hochrechnung sieht so aus: Bei 200 000 angenommenen in Deutschland lebenden Staatsbürgern jüdischen Glaubens – die Hälfte davon sind als Gemeindemitglieder in Kultusgemeinden verbürgt – lassen sich leicht statistisch etwa dreihundert jüdische Soldaten und Soldatinnen hochrechnen. Dafür sind bis zu zehn Rabbiner oder Rabbinerinnen vorgesehen.

Unerhebliche Zahlen

Im Grunde seien die Zahlen aber unerheblich für die Bundeswehr, erläutert Lange. Denn sie orientiere ihren Bedarf an Seelsorgern an der Gesamtzahl der Soldaten und Soldatinnen, und das sind aktuell 184 000, die alle ein Anrecht auf Seelsorge hätten. Bekanntlich sind zudem alle Militärgeistlichen im lebenskundlich-ethischen Unterricht eingesetzt und nehmen an allen Auslandseinsätzen teil. „Seelsorge nimmt sich Zeit zum Gespräch“, sagt Lange, der promovierter Historiker ist. Zudem habe auch die Überlegung eine Rolle gespielt, dass jüdische Seelsorger das Wissen um jüdischen Glauben und Kultur in der Bundeswehr verstärken könnten. „Es geht auch um den Effekt politischer Bildung“, sagte Lange. Das, wie manche sagen, Segenspersonal ist ein starkes politisches Signal – schon anlässlich der Unterzeichnung des Staatsvertrages zwischen der Bundesregierung und dem Zentralrat mit seinem Präsidenten Josef Schuster. Am 20. Dezember 2019 hatte der damalige evangelische Militärbischof Sigurd Rink es so gewertet. Der Staat setze damit auch ein Zeichen, dass Antisemitismus in den Streitkräften keinen Platz habe. In der Folge hatte dann am 28. Mai 2020 der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Jüdischen Seelsorge in der Bundeswehr beschlossen. Einstimmig. Ein Zeichen eher seltener parlamentarischer Einigkeit.

Ein Gesicht für das jüdische Leben in den Streitkräften ist der Oberst der Reserve Walter Homolka. Der Rabbiner und Rektor des liberalen Rabbinerseminars Abraham Geiger Kolleg in Potsdam gehört der Bundeswehr schon seit Jahren an – schon als Rudolf Scharping bis 2002 noch Verteidigungsminister war. „Die Herleitung ist sauber“, sagt er zu den Zahlen jüdischer Soldaten. Seine Beobachtung sei, viele wollten kein „coming out“ betreiben. Eine Stabsärztin in Berlin habe ihm gesagt: Ich möchte in meiner dienstlichen Verwendung nicht Vorzeige-Jüdin in der Bundeswehr sein.

„Die Pluralisierung der Seelsorge ist eine Kohabitation von Staat und Religionsgemeinschaften. Auf die Organisationsstruktur haben die Kirchen doch gedrungen“, sagt Homolka. Für ihn stehe im Mittelpunkt, dass die Seelsorger „Rabbiner zum Anfassen“ sein könnten. Liberal oder orthodox.

Wie die Planung für ein Amt Jüdische Militärseelsorge vorangeht, hängt von kommenden Entscheidungen ab: In den ersten Monaten des Jahres 2021 erwartet Oberst i. G. Lange die Benennung eines Militärbundesrabbiners, der dann von der Verteidigungsministerin und vom Bundeskabinett bestätigt werden muss. In der Folge müsse eine Leiterin oder ein Leiter des Militärrabbinats ernannt werden. Noch sei nicht klar, wo in Berlin eine Liegenschaft für die Bundesbehörde gefunden werden könne. Es könnte aber durchaus im Umfeld des Sitzes des Zentralrats der Juden in Deutschland in Mitte sein. Das Bundesamt werde bis zu fünfzig Mitarbeiter haben. Erwartet werden Kosten in Höhe von 4,67 Millionen Euro jährlich sowie einmalig bis zu 900 000 Euro.

Erst nach diesen Entscheidungen könne die Suche nach Militärrabbinern für einzelne Standorte der Bundeswehr beginnen, erwartet Lange. Zur Überlegung, eine Oberbehörde für alle Religionen zu schaffen, zeigt er sich skeptisch. „Das gegen den Willen der Religionsgemeinschaften durchzusetzen, halte ich für unrealistisch.“ Tatsächlich geben eine solche Lösung die Militärseelsorgeverträge mit den Kirchen in Deutschland kaum her.

Und was sagen die christlichen Vertreter der Militärseelsorge? Im Ganzen herrscht hier höchste Zustimmung. So ist der Staatsvertrag bezüglich Jüdischer Militärseelsorge mit deutlicher Unterstützung beider Kirchen ausgearbeitet worden. „Er ist auch eine politische Entscheidung, und die jüdische Seite will ganz klar den Lebenskundlichen Unterricht (LKU) stärken“, erklärt Thomas R. Elßner, Referatsleiter für Grundsatzfragen im Katholischen Militärbischofsamt Berlin. Er bestätigt damit letztlich die Aussage Rinks vom Vorrang der Politik. Die Leitung des Militärrabbinats mit der Bezeichnung „Militärrabbinatsleiter/Militärrabbinatsleiterin“ werde vermutlich von einer Juristin wahrgenommen. Aus anderer Quelle ist zu hören, die Juristin Professorin Angelika Günzel an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl könne diesen Posten übernehmen. Wissenschaftlich hat sie sich mit einer Untersuchung zu den Religionsgemeinschaften in Israel einen Namen gemacht. Bei den Protestanten liegt die Leitung des Kirchenamtes bei einem Theologen – kein Jurist also, was von den evangelischen Militärgeistlichen ausdrücklich so erwünscht ist.

Die Bundesoberbehörde der Jüdischen Militärseelsorge werde, so Elßner, nach Berlin, vielleicht auch nach Potsdam kommen. Einzelne Militärrabbiner oder Militärrabbinerinnen könnten dann auf Standorte in den Räumen Berlin, Frankfurt/Main, Hamburg und München, vielleicht auch Leipzig, verteilt sein. Die genannte Zahl von zehn Rabbinern sei zwar „nicht ganz unumstritten“, es sei aber an ein sukzessives Aufwachsen gedacht, je nach Bedarf.

So ließen sich dann durchaus die Überlegungen der jüdischen Seite verstehen: Die neuen Personalstellen würden grundsätzlich zu gleichen Teilen auf liberale und orthodoxe Richtungen verteilt. „Es gibt ja auch nicht die eine christliche Militärseelsorge, sondern die verschiedener christlicher Konfessionen. Und: Eine Militärrabbinerin wäre zweifelsohne ein absolutes Novum in der deutschen Militärgeschichte, zumal die weltweit erste Rabbinerin, Regina Jonas, aus Berlin stammt“, berichtet Referatsleiter Elßner. Es war übrigens Dr. Leo Baeck, Feldrabbiner im Ersten Weltkrieg, der ihre theologische Abschlussprüfung abnahm. Der evangelische Leitende Militärdekan Dirck Ackermann bestätigt die kirchliche Hilfe zum jüdischen Vertrag mit der Regierung: „Manche sprechen von einer ‚Blaupause‘. Aber das mussten wir nicht anstoßen.“ Jetzt sei Gelegenheit, dass die verantwortlichen Personen Schritt für Schritt die jüdische Militärseelsorge aufbauen. Dazu wird es auch einen Austausch geben, wie die bereits bestehenden Zweige der Militärseelsorge die Dinge anpacken. Referenten werden auf Arbeitsebene eingeladen, von ihrer Erfahrung berichten. Auch der Leiter des Evangelischen Kirchenamtes für die Bundeswehr sei im Austausch mit den neuen Verantwortlichen. Ungebetene Ratschläge werde es nicht geben. „Wir freuen uns über den theologischen Austausch, über Gemeinsamkeiten, aber auch über die Unterschiede. Es geht ja gerade um eine Vielfalt unterschiedlicher Religionen in der Bundeswehr.“

Ein gemeinsames Haus?

Ob eine Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Haus denkbar ist? Diese Frage steht für Ackermann nicht im Vordergrund. Im Haus am Bahnhof Zoo, wo die evangelische Militärseelsorge derzeit untergebracht ist, seien zurzeit zwar nur kirchliche Institutionen Mieter, „aber das spricht überhaupt nicht gegen eine gute Zusammenarbeit mit anderen Zweigen der Militärseelsorge. Wenn es Militärrabbiner gibt, wird sich die Situation dahingehend verändern, dass die räumlich getrennten Zentralen in Berlin die Ausnahme sind, während die Büros der Militärseelsorger in den Kasernen ganz selbstverständlich am selben Flur liegen“, meint Ackermann.

Mittlerweile hat bei der Innovation Seelsorge in den Sicherheitskräften die Landespolizei Baden-Württemberg die Nase vorn. Im Januar wurden bundesweit erstmals zwei Polizeirabbiner eingestellt: „Zur Förderung des jüdischen Lebens und zur Prävention des Antisemitismus“, wie die Jüdische Allgemeine berichtete. Sie sollen den Polizeianwärtern wie den aktiven Polizeibeamten die Kultur des Judentums nahebringen und ihnen vermitteln, was sie schützen, wenn sie vor einer Synagoge Wache halten. Und wie die 22 hauptamtlichen und sieben nebenamtlichen Bundespolizeipfarrer christlichen Glaubens sollen sie die psychosoziale Notfallversorgung und kritische Einsätze begleiten.

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Roger Töpelmann

Dr. Roger Töpelmann ist Pfarrer i.R. Er war bis 2020 u.a. Pressesprecher des Evangelischen Militärbischofs in Berlin.


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