Als das noch ging

Trost-CD aus Glasgow

Belle and Sebastian aus Glasgow haben dasselbe Problem wie wohl die meisten derzeit – Einschränkungen und durchkreuzte Pläne. Eigentlich sollte es reichlich Auftritte der smarten Song-Globetrotter geben, danach wollten sie für ein neues Album ins Studio, doch es wurde unser aller erstes Corona-Jahr. Die zu Hause festsitzenden Bandmitglieder (ein Septett um Stuart Murdoch, verbliebener der beiden legendären Gründer-Stuarts) beschlossen, aus Konzerten von 2019 ein Patchwork zu machen, das deren Magie ebenso einfängt wie es die fast 25 Jahre des Bandbestehens mit den wichtigsten Songs abbildet – was mit viel hörbarem Publikum beeindruckend und atmosphärisch dicht gelingt. So jedenfalls kam es zu diesem Live-Album What to Look for in Summer mit 22 Songs, denen sie den herkunftsschwelgenden Song of the Clyde voranstellen. Benannt nach einem französischen Kinderbuch über den Jungen Sébastien und seine Hündin Belle aus den frühen Siebzigern sind sie inzwischen ein Inbegriff von Indie-Pop: catchy, eingängig, gefällig, mit Händchen für versiert geplünderte Hippie-Melodien, Folksong-Miniaturen à la Nick Drake und teils streichersatten Arrangements wie im Blue-Eyed-Soul der Siebziger. Dabei immer für guten, auch knarzenden (Wort-)Witz zu haben, sarkastische Vollgasfahrten in Sackgassen und erdolchte Happy Ends – Spaß, ohne zu krampfen, nicht auf einer Mission, bloß sophisticated aufs Angenehmste.

Dabei gelingen Melodien mit jener kribbelnden Wucht, wie sie Sounds of Silence
von Paul Simon hat. Hier ist fallen lassen erlaubt, angenehm – und möglich. SPEX selig fasste den Zauber so: Ihre Welt wisse „im richtigen Moment aus sanfter Normalität ins Düstere, Bizarre oder die kleine Katastrophe zu stürzen.“ Wobei ab und an auch Songs die andere Richtung wählten. Das basspulsende Dog on Wheels ist bezeichnend: Erst sind da Beobachtungen eines kleinen Jungen, Sehnsucht und sachtes Rufen nach Geborgenheit, am Ende dann das ganze Bild: Verloren, schutz- und trostbedürftig in der weiten, großen Welt blickt der Junge zu fetter, jubelnd-schmachtender Mariachi-Trompete auf einen schneebedeckten Berg, den wir uns wohl in Schottland vorstellen dürfen. Dann zockelt er über die Straße, mit seinem Holz-Dog on Wheels im Schlepptau. War Verlorenheit jemals ergreifender? Fox in the Snow, ein anderer Hit, funktioniert ähnlich. Doch nach dem Rollhund folgt auf dem Album erst mal der Knaller The Boy with the Arab Strap: swingender Hippie-Boogie mit Flöte, der keine Augen trocken lässt und ins Tanzen reißt. So geht die Post ab. Vertraut, mit Hintersinn.

Belle and Sebastian sind Darlings – man kann sie nur mögen. Der Spirit dieser Band mit dem besonders engen Draht zu ihren Fans ist schon ganz so wie es in den Album-Credits heißt: „Thanks to everyone who has come along to see us, sung along, danced and given us encouragement. It wouldn’t be the same without you.“ Vice versa & bald wieder. Der Sommer kommt, wir hoffen drauf.

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