Scheiden ist besser als Mord

Corona als Katalysator für Trennungen
Foto: Harald Oppitz

In diesem neuen Lockdown bin ich wirklich JEDEN Tag dankbar dafür, dass ich glücklich verheiratet bin und dass mein erster Mann und ich vor Jahren so mutig waren, uns nach langjähriger Ehe endlich scheiden zu lassen. Sogar unser Kind war damals erleichtert darüber. Seit unserer Trennung verstehen mein Ex-Mann und ich uns wieder richtig gut. Ich mag auch seine neue Frau. Sie und er kommen während dieser Lockdown-Zeiten prima miteinander klar, er und ich hätten uns dagegen wahrscheinlich spätestens im letzten November während des zweiten Lockdowns gelyncht. Ich fühle tief mit allen, die in diesen Zeiten mit jemandem zusammenleben müssen, den sie – aus welchen Gründen auch immer – nur schwer ertragen können, im schlimmsten Fall in einer 2RaumWohnung ohne Garten. Das kann schlimmer sein, als alleine zu wohnen.

Möglicherweise ist Corona auch der Katalysator für Trennungsentscheidungen, da es keine Ablenkungsmöglichkeiten gibt. Das muss nicht der schlechteste Weg sein. Ich finde: Scheidung ist allemal besser als Mord, und – siehe mein Beispiel, – manchmal der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Doch auch wenn es nur zu einem distanzierten, aber respektvollen Abschied auf Nimmerwiedersehen reicht, ist das doch nicht das Schlechteste. Möglicherweise ist jetzt der Zeitpunkt dafür, der Wahrheit ins Auge zu sehen, dass es gemeinsam nicht mehr weitergeht und zu überlegen, wie man tapfer den Rest der Krise überstehen kann, ohne sich und andere weiter zu verletzen. Das wäre auch ein Gewinn aus der Corona-Situation.

Eine Ehe ist keine Gesprächstherapie

Nach meiner Scheidung sagte mir ein an sich sehr lieber katholischer Freund, dass man jede Ehe retten könne, wenn die Partner nur lang genug miteinander reden würden. Ich bin entschieden der Ansicht, dass das nicht stimmt. Eine Ehe ist keine Gesprächstherapie und auch kein Gemeindekreis. Es geht darum, mit einem anderen Menschen das eigene Leben zu teilen, und manchmal stellt man leider fest, dass das irgendwann nicht mehr funktioniert. „Hilf Herr, dass wir uns nicht trennen,“ gehört daher zu den Liedern, die auf meiner persönlichen EG-Playlist ersatzlos gestrichen sind. Nicht nur aus musikalischen Gründen. Wenn schon reden, dann finde ich, dass es in vielen Fällen besser wäre, lang genug darüber zu reden, wie man gut und ohne Rosenkrieg eine Trennung gestalten kann. Vielleicht ist gerade der beste Zeitpunkt dafür.

Jetzt sind mein Exmann und ich in diesem neuen Jahr glückliche Großeltern einer süßen kleinen Enkelin geworden. Ihre Eltern haben entschieden, dass alle ohne Unterschied gleichberechtigte Großeltern sein sollen, also auch die neuen Partnerinnen und Partner der leiblichen Großeltern. Meinen Mann hat das sehr gefreut. Das neugeborene Menschenkind verfügt über stolze sieben Großeltern, eine stattliche Peergroup. Mein Ex-Mann und ich haben uns gleich nach der Geburt des kleinen Menschenkinds angerufen, uns gegenseitig gratuliert und uns gefreut, dass es mitten in diesen dunklen Zeiten Wunder gibt und tiefe Freude und Dankbarkeit. Egal, wie schief es zwischen uns damals gelaufen ist, das Leben – oder eben Gott! – findet Wege zum Segen. Manchmal sind es für die Beteiligten eben getrennte Wege.

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Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


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