Zur rechten Zeit

Über Verschwörungsmythen

Mitten in der Corona-Krise legt der Religionswissenschaftler und Antisemitismusbeauftragte Michael Blume ein lesenswertes Buch zu Verschwörungsmythen vor. Um die neuen Corona-Verschwörungsmythen geht es auf den gut 150 Seiten jedoch nur am Rande. Mehr muss zu ihnen auch nicht gesagt werden, sind doch die neuen Verschwörungserzählungen rund um das Coronavirus nichts weiter als Verästelungen längst bekannter Verschwörungsgewächse.

Der hässliche Antisemitismus, in den nicht wenige Corona-Demonstranten zurzeit hinabsteigen, ist altbekannt, genauso wie die Eigenart aller Verschwörungsgläubigen, sich mit Vorliebe als Opfer zu inszenieren. Daher auch die unsägliche Verwendung des Judensterns als Markierung für die geglaubte Verfolgung durch Wissenschaftlerinnen, Medien und Regierungen.

Als Erklärungsmodell für den Verschwörungsglauben bietet Blume im Buch Hans Blumenbergs Unterscheidung von armen und reichen Menschen an, die jener anhand des Höhlengleichnisses Platons entwickelt hat. Danach sehen sich arme Menschen einer Welt gegenüber, in der die Dinge nur so scheinen und der darum solange zu misstrauen ist, bis ein „Führer“ sie aus der Dunkelheit herausführt. Reiche Menschen hingegen bauen selbstverantwortet und aktiv an einer demokratischen Gesellschaft, weil sie sich nicht von falschen Dualismen blenden lassen.

Blume führt dieses Grundparadigma anhand historischer und aktueller Beispiele aus – vom Nationalsozialismus und Stalinismus bis hin zur Ideologie des Islamischen Staates. Mit dieser ist Blume beruflich seit Jahren befasst. Der Stoff für Verschwörungsmythen, der am Rande der abrahamitischen Religionen wuchert, ist ihm zudem als Religionswissenschaftler vertraut. Und zwar nicht allein vom Schreibtisch aus, sondern als jahrelanger Gesprächspartner von Muslimen, Eziden, Christen und Juden.

Blume begegnet Verschwörungsmythen mit einem Handgepäck von religionskundlichem und philosophischem Wissen, vor allem aber mit diskursiver Kompetenz, die nur im Kontakt mit zahlreichen Schülerinnen und Schülern, Lehrern, Politikerinnen und streitlustigen Kommentatoren im Netz erworben werden kann. Da Blume davon reichlich zur Verfügung steht, ist es ihm gelungen, zur – im doppelten Sinne – rechten Zeit ein Buch zu schreiben, das in einem sehr angenehmen Erzählton gehalten ist.

Wie können wir Verschwörungsmythen begegnen? Blume empfiehlt das geduldige Gespräch, besonders mit denjenigen, die noch nicht vollends in eine digitale Parallelwelt abgetaucht sind. Geduld schlägt er auch als Heilmittel für die gesamtgesellschaftliche Bedrohung durch rechts-populistische Ideologien vor. Denn wenn die Populisten schweigen müssen, wenn Raum für Nachdenken und „Gerede“ ist, wenn sie ihre Ziele nicht sofort erreichen, wenn man sich ihnen in den Weg stellt, wächst der Zweifel und kann so manch einer wieder aus der Höhle des Verschwörungsglaubens klettern.

Blumes Hinweisen zur Bekämpfung des Verschwörungsglaubens kann nach der Lektüre des Buches noch ein weiterer hinzugefügt werden, den Blume performativ ausrichtet: Gegen Verschwörungsmythen braucht es andere Erzählungen und Mythen, die überzeugend und ohne Schaum vor dem Mund, in einer Haltung verbindlicher Sachlichkeit vorgetragen werden.

Verschwörungsexperten werden im Buch nichts bahnbrechend Neues erfahren, als Geschenkbuch für Schüler, Konfirmandinnen, Ehrenamtliche, Familienmitglieder und Kollegen aber ist Blumes neuestes Buch – auch seiner flotten Aufmachung wegen – uneingeschränkt zu empfehlen.

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