Späte Ehre für einsamen Kämpfer
Er war ein tapferer Kämpfer für das Evangelium und gegen die Menschenverachtung. So beschreibt die Berliner Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein Friedrich Weißler (1891-1937), der im KZ Sachsenhausen ermordet wurde und auf dem Südwestkirchhof in Stahnsdorf seine letzte Ruhestätte fand. In diesem Jahr ist sein Grab zum Ehrengrab vom Berliner Senat erhoben worden. Mit einer Andacht und einer Kranzniederlegung erinnert die evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) an den Juristen der Bekennenden Kirche.
Spätherbst in Brandenburg. Selbst im November hängen viele Bäume noch voller Blätter, in den schönsten Gelb-, Rot- und Brauntönen. Doch im Friedhofswald von Stahnsdorf, auf dem Südwestkirchhof, bedeckt Laub Wege und Gräber. Den Hauptweg entlang, nicht weit entfernt von der der Kapelle im Stil einer norwegischen Stabholzkirche, liegt das Grab von Friedrich Weißler (1891-1937). Während seines frisch gehakt und aufgeräumt wirkt, liegt das seiner Frau Johanna unter einer dicken Laubschicht. Viele Kirchenleute, Weißlers Enkel aus Erlangen und historische Interessierte treffen sich an diesem Ewigkeitssonntag, um an Friedrich Weißler zu erinnern. Sie alle sind der Einladung der Beauftragten für Erinnerungskultur der EKBO, Marion Gardei, gefolgt. Es ist ein spätes Gedenken an den promovierten Juristen, der als erster Märtyrer der evangelischen Bekennenden Kirche gilt.
Friedrich Weißler (1891–1937) entstammte einer jüdischen Familie, seine Eltern hatten sich jedoch vom jüdischen Glauben abgewandt und ihre Kinder evangelisch taufen lassen. Weißler war ab Dezember 1932 Präsident des Landgerichts Magdeburg und seit 1933 der NS-Verfolgung ausgesetzt. Betroffen vom Gesetz des sogenannten Berufsbeamtentums, das den neuen Machthabern im Deutschen Reich erlaubte, jüdische und politisch missliebige Beamte aus dem Dienst zu entfernen, die als Juden eingestuft wurden, traf es den promivierten Juristen. Danach arbeitete er als juristischer Berater und Leiter der Kanzlei der Bekennenden Kirche.
Die Gestapo verhaftete ihn am 7. Oktober 1936 unter dem Verdacht, eine an Hitler gerichtete Denkschrift der 2. Vorläufigen Kirchenleitung der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) ins Ausland weitergegeben zu haben (mehr dazu lesen hier). Monatelang saß Weißler im Gestapo-Gefängnis am Alexanderplatz. Allein gelassen wurde der promovierte Jurist nicht nur von den Deutschen Christen, sondern auch von der Bekennenden Kirche.
Grausamer Tod
Am 13. Februar 1937 brachten ihn die Nationalsozialisten in das KZ Sachsenhausen, wo er nach schweren Misshandlungen durch SS-Wachmänner am 19. Februar 1937 verstarb. Der Jurist war als ein Vertreter des kirchlichen Widerstandes verhaftet worden, im KZ Sachsenhausen aber stuften ihn die Nazischergen als Juden ein. Die stellvertretende Leiterin der Gedenkstätte Sachsenhausen, Astrid Ley, erzählt an seinem Grab an diesem Ewigkeitssonntag über seinen grausamen Tod.
Nach seiner Einlieferung in Sachsenhausen hatte ihn die SS von seinen beiden Mitstreitern Werner Koch und Ernst Tillich getrennt und in den neu errichteten Zellenbau des Konzentrationslagers untergebracht, einem hermetisch abgeschiedenen Bereich. Zu dieser Zeit bestand das KZ Sachsenhausen erst acht Monate. Und in diesem vom Rest des Lagers abgeschlossenen Zellenbau quälten und misshandelten die Nazischergen Weißler tagelang bis zu seinem Tod. Sein schlimm zugerichteter Leichnam wurde in Stahnsdorf bestattet.
Warum ist es heute noch wichtig, an Friedrich Weißler zu erinnern? Weißler ist anders behandelt worden als seine Mithäftlinge aufgrund einer Zuschreibung, sagt Astrid Ley. Die Nationalsozialisten sahen ihn als Juden an, obwohl das seinem Selbstverständnis und seinem Handeln widersprochen hatte. Und das zeige die Gefahr von Intoleranz und Voreingenommenheit, an die es gerade heute zu erinnern gilt.
Am Grab zitiert die Berliner Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein Wolfgang Huber, Berliner Bischof in Ruhe und ehemaliger EKD-Ratsvorsitzender: „Wir tragen als Kirche schwer an dem, was Friedrich Weißler angetan wurde. Verlassen war er nicht nur von der deutsch-christlichen Reichskirche, die auf Seiten der Nationalsozialisten stand. Auch die Bekennende Kirche, für die Friedrich Weißler gearbeitet hat und als deren Glied er sich fühlte, trat ihm nicht zur Seite. Wir bekennen uns zu unserer Geschichte, die in diesem Fall eine Geschichte der Schuld ist.“
Nicht vergessen
Auch der Berliner Senat würdigt Weißlers Wirken, in dem er dessen Grabstätte auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof (Brandenburg) im Frühjahr dieses Jahres als Ehrengrab auszeichnet. Endlich ein offizielles Ehrengrab, sagt Ulrike Trautwein während der Andacht in der hell erleuchteten großen Holzkapelle. Mit diesem wird der Verdienst von Friedrich Weißler für Berlin, für die Kirche Deutschlands und darüber hinaus öffentlich sichtbar zum Ausdruck gebracht: „Es ist wichtig, dass es solche hervorgehobenen Grabstätten gibt, damit wir das Leiden und Sterben solcher Menschen nicht einfach wegwischen oder gar vergessen. Menschen, die sich für uns mit aller Menschlichkeit eingesetzt haben und dafür gestorben sind.“
Und mit dieser Auszeichnung wird ein besonderes, ein starkes und schweres Leben gewürdigt. Trautwein spricht von der biblischen Vorstellung von Ehre, vom hebräischen Wort „kawod“, das gleichzeitig auch schwer bedeutet, und davon, einen Menschen zu ehren, ihn schwer und gewichtig zu machen, eine Bedeutung zu geben. Mehrfach schwer war das Leben von Friedrich Weißler: „bedeutungsschwer, leidensschwer und schwer von Schuld der Menschen, die ihn im Stich gelassen haben.“
Das Ehrengrab oder ein Erdhügel, ein Reihengrab im weiten Gräberfeld. Das Grab an der Mauer, von Efeu überwachsen. Nirgendwo sonst scheinen uns die Toten so nahe wie an ihren Gräbern. Zwiesprache wird gehalten, Erinnerungen werden wach. An diesem Ewigkeitssonntag haben viele Menschen an das Leben Friedrich Weißlers gedacht. Es ist eine kleine bescheidene Geste, Blumen und Kränze niederzulegen. Freilich bleiben die Toten unvergessen, so lange Nachkommen ihre Gräber erhalten und ihrer gedenken. Für zwanzig Jahre hat sich nun der Berliner Senat verpflichtet, die Grabpflegekosten zu übernehmen. Doch was spricht dagegen, eine kirchliche Einrichtung, ein kirchliches Haus dauerhaft mit seinem Namen zu benennen und ihn so sichtbar zu würdigen?
Kathrin Jütte
Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.