Im Vorfeld war viel Aufregung. Vermutlich haben nicht wenige gezittert. Mutmaßungen gab es auch allerlei. Von einer „Streichliste“ war die Rede, auf deren Veröffentlichung nicht wenige gespannt warteten. Wenn man dann aber die digitale EKD-Synode verfolgte, die Anfang der Woche im weltweiten Netz stattfand, wurde man angesichts der Befürchtungen im Vorfeld überrascht. Man diskutierte ganz nüchtern und sachlich, fast schon unaufgeregt. Die üblichen Voten Betroffener bei solchen Sparrunden nach dem Motto „Ich soll gekürzt werden, bin aber doch wichtig“ fehlten fast vollständig. Und die basalen, gut dokumentierten Annahmen aus dem Bericht des begleitenden Ausschusses „Prozess zur Neuorientierung der Finanzstrategie der EKD“ (https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/09-TOP-IX-b-Prozess-Neuorientierung-der-Finanzstrategie-Einbringung-Barner.pdf) wurden nahezu durchgehend akzeptiert: Es muss angesichts realer Mindereinnahmen von geschätzt 20 % bis 2030 eingespart werden. Wer anders einsparen will, als hier vorgeschlagen, muss alternative Vorschläge machen. Die Kriterien, nach denen man zu sparen vorschlägt, wurden von den allermeisten Synodalen geteilt. Es mag mindestens auch an der ebenso nüchternen wie sachlichen Art des in Finanzdingen äußerst erfahrenen Ratsmitgliedes Andreas Barner und anderer Mitglieder des Ausschusses gelegen haben, dass der Bericht so gut mit anderen Prozessen wie Zukunftsthesen „Hinaus ins Weite – Kirche auf gutem Grund“ abgestimmt war und seine Grundrichtung so viel Zustimmung fand.An dem der Synode vorgelegten Einsparkonzept fällt auf, dass an verschiedenen Stellen das Geld für Einrichtungen theologischer Forschung und Ausbildung zu reduzieren vorgeschlagen wird, stellenweise sogar kräftig. Der Zuschuss für die Emdener Johannes à Lasco-Bibliothek, eine Forschungseinrichtung zur Geschichte und Theologie des reformierten Protestantismus, soll gänzlich eingestellt werden, die verbliebenen zwei Kirchlichen Hochschulen Wuppertal-Bethel und Neuendettelsau kräftig gekürzt werden. Nun könnte man die Frage diskutieren, ob die drei von nahezu allen Synodalen geteilten Kriterien des Berichts für die Priorisierung von kirchlichen Aufgaben hier richtig angewendet worden sind – aber damit hätte sich nur ein Betroffener aus Kreisen der akademischen Theologie zu Kürzungsplänen für Einrichtungen der akademischen Theologie geäußert und müsste, um im Genre zu bleiben, auf deren ganz besondere Bedeutung hinweisen. Eine solche weitere Diskussion über einzelne Einsparmaßnahmen hat die Synode ausdrücklich verlangt, sie muss man hier nicht führen. Interessanter ist, ob eigentlich die akademische Theologie hierzulande schon den Impuls aufgenommen hat, der die EKD und ihre zu Ende gegangene Synode prägte. Ich meine den Impuls, nüchtern zu bilanzieren, welche Ressourcen in Zukunft noch zur Verfügung stehen werden und wie man die Angebote an den Aufgaben, den Kriterien guter Arbeit und den vorhandenen Ressourcen ausrichten kann.
Auf dem Prüfstand
Würde die akademische Theologie den Impuls aufgreifen, der die Vorbereitung der Synode und die Synode selbst prägte, müsste sie sich fragen, welche Konsequenzen die sinkenden Steuereinnahmen für die Haushalte der Kultus- und Wissenschaftsministerien (und damit der Universitäten sowie anderer Wissenschaftseinrichtungen) haben werden und welche Folgen die sinkenden Kirchenmitgliedszahlen für die Ausbildung von Pfarrerinnen und Pfarrern bzw. Religionslehrerinnen und Religionslehrern. Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, dass wir – mindestens dann, wenn nach wie vor die Studierendenzahl zentrale Bemessungsgröße für die Menge des Lehr- und Forschungspersonals ist und alles so bleibt, wie es ist – in Deutschland spätestens im Jahre 2030 deutlich zu viele Theologische Fakultäten an den Universitäten haben werden. Angesichts knapper Haushalte dürfte die staatliche Bereitschaft, diese (wie man so nüchtern sagt) unterausgelasteten Einrichtungen zu finanzieren, deutlich sinken und zugleich auch der Schutzschirm der Staatskirchenverträge nicht mehr jeden Angriff auf jede Einrichtung abwehren helfen.
Dazu kommt noch ein weiterer Punkt. Der EKD-Synodale Paul Nolte wies in der Diskussion über den Bericht des begleitenden Ausschusses auf der digitalen Tagung darauf hin, dass man für bestimmte Aufgabenfelder zunächst Gruppen bestehender Institutionen bilden müsse und dann fragen sollte, ob nicht neue Institutionen die Aufgaben besser erledigen könnten. Auf die Fakultäten gewendet, müsste man sich die Frage stellen, ob wir nicht mehrere größere Einrichtungen mit zusätzlichen akademischen Disziplinen bräuchten anstelle vieler kleiner mit den fünf oder sechs theologischen Disziplinen des neunzehnten Jahrhunderts. Um heute gut als Pfarrerin und Pfarrer arbeiten zu können, braucht es vermutlich mehr als Altes und Neues Testament, Kirchengeschichte, Systematische und Praktische Theologie sowie ein wenig Religionswissenschaft. Vielleicht müsste auch einmal das ganze Modell einer strengen Trennung zwischen Theorie (im Studium) und Praxis (im Vikariat) auf den Prüfstand. Wenigstens ein Reformstudiengang wie in der Medizin oder Rechtswissenschaft könnte entsprechende Diskussionen, die es seit langem gibt, voranbringen. An Orten, an denen es mehrere theologische Ausbildungseinrichtungen unterschiedlicher christlicher Konfessionen oder Religionen gibt, würde sich die Frage lohnen, wie man besser zusammenarbeiten und Synergien nutzen könnte. In England und Amerika studieren an verschiedenen Orten künftige Rabbiner, Imame, Pfarrer und Priester in einem gemeinsamen, praxisorientierten Ausbildungsgang (Master in Interreligious Chaplaincy). Aber auch organisatorisch getrennte Einrichtungen können an verschiedenen Stellen sehr eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Unmittelbare Auswirkungen
Viele Fragen, viele Hausaufgaben, wenn man die Verhältnisse so betrachtet! Müsste nicht die akademische Theologie auch einen begleitenden Ausschuss „Prozess zur Neuorientierung der Strategie“ einrichten, der auf einen Bericht führt, der im Fakultätentag, dem Zusammenschluss aller Fakultäten und Hochschulen, ebenso diskutiert wird wie in den Kirchen und Ministerien? Vor kurzem (und übrigens schon vor der EKD-Synode) hat ein römisch-katholischer Kollege, der Berliner Systematiker Georg Essen, diese Forderung für die katholischen Fakultäten und Einrichtungen in einem Gesprächskreis zwischen katholisch-theologischen Fakultätentag, Fachgesellschaften und Bischofskonferenz erhoben. Er fand begeisterte Zustimmung, aber auch energische Ablehnung. Im evangelischen Bereich wäre das vermutlich nicht anders. Aber vielleicht täuscht mich meine Einschätzung so, wie auch manche Voraussagen über die digitale EKD-Synode falsch waren.
Der Rechtsgrund der allermeisten theologischen Fakultäten hierzulande ist die Ausbildung von Geistlichen und Religionslehrkräften. Natürlich haben viele Fakultäten sich inzwischen auch weitere Aufgaben und Schwerpunkte gesucht. Aber Veränderungen der Kirche, des Religionsunterrichtes und des Profils der Geistlichen haben unmittelbare Auswirkungen auf die akademischen Ausbildungseinrichtungen und damit zusammenhängende außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Man sollte sie energisch diskutieren – und nicht nur über die Kürzungsvorschläge debattieren, die der EKD-Synode vorgelegt wurden.
Christoph Markschies
Christoph Markschies ist Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Er lebt in Berlin.