Der brüllende Synodale

Was man alles erlebt, wenn man eine Synode online abhalten muss
Screenshot EKD-Synode 2020
Foto: Philipp Gessler

Es geht halt nicht anders! Dieses Mal ist die EKD-Synode corona-bedingt online – und die Hälfte des Spaßes ist da schon mal weg. Aber für Anregung ist Gott sei Dank dennoch gesorgt. Denn fast alle Synodalen geben auf digitalem Wege doch einiges über sich selbst preis, vor allem, wenn sie sich von zuhause zugeschaltet haben: Hat der wirklich all diese Bücher gelesen?

Seien wir ehrlich: So richtig dolle ist so eine Online-Synode nicht. All das, was das alljährliche Treffen eines Kirchenparlaments in den dunklen Tagen des November sonst so prickelnd machen kann, ist dieses Mal nicht oder kaum möglich: Keine abendlichen Ausflüge in eine schöne Stadt, in der man noch nie oder erst selten war. Keine Übernachtung in einem mehr oder weniger schicken Hotel, wo einem das Bett gemacht wird wie von Engelshand. Kein üppiges Frühstücksbuffet mit der Chance des Kostens von Gerichten, die man sonst morgens nie oder selten essen würde wie Rollmops, Porridge oder Würstchen mit Ketchup.

Vor allem aber kein Pausen-Plausch am Vormittag mit der charmanten Mit-Synodalen am Stand mit dem Öko-Fair-Kaffee – und kein halb geflüstertes Ablästern bei einem Empfang mit aufregendem Fingerfood über diesen superlangweiligen Beitrag des Mitbruders in Christo während der nachmittäglichen Plenumssitzung über neue Modelle zur besseren Kooperation von UEK und VELKD zum Beispiel. Davon abgesehen: Die langjährige Erfahrung, die Gruppensoziologie und das moderne Management wissen seit langem, dass das ungezwungene, spontane Gespräch morgens beim Kaffee oder abends beim Wein viele Menschen auf die kreativsten und besten Ideen bringt … wenn man sie am nächsten Morgen denn noch in Erinnerung hat.

Wie dem auch sei, all diese stillen Wonnen fallen in diesem Jahr corona-bedingt leider bei dieser Synode der EKD weg … Online-Synoden machen den deutschen Protestantismus, machen wir uns nichts vor, noch nüchterner, als er traditionell schon ist, auch wenn viele das gerne anders hätten. Das ist niemandes Schuld, es ist der Lauf der Welt in diesem annus horribilis, in dem ja gerade das gefährlich ist, was Menschen in Zeiten der Not sonst Kraft und Mut gibt: zusammen singen, zusammen feiern, zusammen stehen und sich umarmen. Und online ab und zu dann doch zusammen zu lachen, das ist so, naja, ganz okay.

Einiges zu lachen

Dabei gibt es einiges zu lachen auf dieser Online-Synode, zumindest für die, die neugierig sind und Spaß am absurden Humor oder an Situationskomik haben. Wunderbar ist es etwa, zu schauen, welcher oder welche Synodale sich wie, gewollt oder ungewollt, präsentiert: Mancher Mitbruder hat sich extra schick gemacht und sitzt doch tatsächlich im eigenen Wohnzimmer in Anzug und Krawatte vor der Kamera – ist ja schließlich eine Synode, da muss man repräsentabel sein. Geschminkte Mitschwestern sind eher selten, was sicherlich wieder einiges mit protestantischer Nüchternheit zu tun hat, aber vielleicht auch mit der Einsicht, dass bei der üblichen Computerkameraausrichtung von schräg unten sowieso nichts mehr zu retten ist, da dabei noch die schlankeste Dame ein Doppelkinn zu haben scheint. Schlimmer noch sind Nasenhaare, die bei dieser Perspektive bei manchem Mitbruder unübersehbar sind, ja überdimensional groß erscheinen – es ist ein Elend!

Dazu der Hintergrund: Wenn denn nicht aus dem offiziellen Büro gesendet wird, was in der Regel ziemlich öde ist, gönnt diese Synode auch einen schamlosen Blick auf das häusliche Interieur, sobald Synodale von Zuhause online das Wort ergreifen. Meistens sieht man im Hintergrund ein Bücherregal oder gar eine Bibliothek, was in der Kirche Luthers und Melanchthons überaus passend, aber auch ein wenig langweilig ist. Aufregender sind solche Einblicke in häusliche Arbeitszimmer oder Wohnzimmer, die den persönlichen Geschmack spiegeln und die Fantasie anregen: Aha, eine Kreuzsammlung beim Alt-68er, der sicherlich schon im Talar gegen die Startbahn West demonstriert hat. Dieses schreckliche abstrakte Bild über dem Sofa des redefreudigen Synodalen würde ich mir aber nie und nimmer übers Sofa hängen! Will der angeben? Ist das dahinten ein Schlafzimmerschrank – oder von wo sendet der? Haben die zuhause wirklich immer so einen schicken Blumenstrauß in einer Vase neben dem Fernseher stehen? Und ist es bei denen im Wohnzimmer wirklich immer so aufgeräumt?

Toll sind auch die künstlichen Hintergründe, die sich die Computercheckerinnen und -checker unter den Synodalen für ihre Online-Auftritte angeklickt haben: Da ist ein Sonnenuntergang am Meer zu bewundern, und man denkt sich: Ach, so ein Büro hätte ich auch gern, wie fleißig würde ich dann arbeiten! Es gibt so etwas wie Gartenlandschaften zu bewundern oder ein Weltraum-Hintergrund, als schwebe die Synodale zwischen den Sternen … oder verwechsle ich das jetzt mit einer anderen Zoom-Konferenz? Ungeschickt sind übrigens Hintergründe, die den oder die Sprechende zu verschlucken scheinen, weil das Computerprogramm das irgendwie nicht hinkriegt, zwischen Mensch und digitaler Tapete zu unterscheiden. Da hat man dann den Eindruck, als spreche man mit einem Geist aus dem Jenseits, was nun alles andere als christlich wäre. Und spiritistische Sitzungen sind Synoden doch nun wirklich nicht, zumindest in der Regel nicht.

"Tschühüüs"

Am schönsten aber sind die missglückten Wortbeiträge, wenn der oder die arme Synodale zu früh oder zu spät zu hören sind: Sehr irritierende „Tschüüss!“ „Tschüüs!“ waren am Sonntag über mehrere Minuten aus dem Off zu vernehmen, weil da offenbar jemand vergessen hatte, sein Mikro auszuschalten, ohne dass zu verstehen war, wer da wen im häuslichen Umfeld verabschiedete. Wunderbar auch der fast brüllende Synodale, dem online der Kragen platzte, weil er wieder aus Versehen nicht zu Wort kam – solche Wutausbrüche gönnt man sich ja sonst lieber ohne Publikum und sicherlich nicht vor den „Brüdern und Schwestern“, mit denen man doch eigentlich immer in Nächstenliebe verbunden ist.

In solchen Momenten sehnt man sich zurück nach der beruhigenden Totale, die bei der Online-Synode in der Regel kurz vor den Pausen zu sehen ist: Das Präsidium der Synode an ihren weißen Pulten in einem Studio sitzend – eine redet, die anderen schweigen und blicken in ihre Laptops. Auch wenn im Hintergrund eine animierte bunte Wand mit dem Spruch „Kirche ist Zukunft“ vor auftauchenden und wieder verschwindenden Kreuzchen für Lebendigkeit und Bewegung sorgen soll – die Message ist untergründig glasklar: Ja, dieses Mal ist alles anders … aber eigentlich ist alles so, wie es immer war und immer sein soll: Mag eine Enthaltung nun auch eine „Kaffeetasse“ sein, die man anzuklicken hat. Am Ende sind wir wie immer „dankbar“ für fast alles. Und den Rest regelt die Geschäftsordnung.

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