Käfer mit Klassik

Punktum
Foto: Rolf Zöllner

Als aufgeklärter Protestant bin ich ein Freund der Wissenschaft, was ja in diesen Tagen nicht ganz selbstverständlich ist. Deshalb habe ich mich gefreut, als ich kürzlich als Proband zu einem Forschungsprojekt eingeladen wurde. Das Thema: Wie sehr hängt unser Geschmackserlebnis beim Essen von der Umgebung und der Einstellung ab, in/mit der wir essen? Das Experiment: Die Probanden saßen an kleinen Tischlein, vor sich auf verschiedenfarbigen Feldern mehrere kleine Schüsseln mit Essen, meist irgendein kleingeraspeltes Gemüse, was genau war nicht zu definieren. Sehr klar zu erkennen auf einem der hinteren Felder hingegen die Schüssel mit Insekten, kleine Käfer, hellbraun geröstet. Muss man die essen? Mal sehen …

Der Anfang ist harmlos, man soll sich aus dem ersten Feld ein Schälchen nehmen, kosten und aufschreiben, woran man denkt. Schmeckt säuerlich, wie Mixed Pickles, ganz klar der Party-Geschmack der Kindheit in den 1970ern. Jetzt wird es etwas komplizierter. Mit welcher Einstellung esse ich? Geht es mir vor allem um Gesundheit? Genuss? Oder ist essen vor allem politisch? Ich muss mich für eine der Karten entscheiden und die dazugehörige Information über die vor mir stehenden Goji-Beeren auf der Rückseite lesen. Aha, die sind gesund, Superfood, rein damit. Lecker! Natürlich will ich auch wissen, was auf den anderen Karten steht, und drehe die Politik-Karte um. Da erfährt man unschöne Dinge über die Arbeitsbedingungen in China, unter denen diese Beeren produziert wurden. Man hält ein und findet, dass die Beeren doch ziemlich süß schmecken, eigentlich zu süß … Aufschreiben, das bringt die Forschung voran!

So geht es weiter, mal soll ich mir vorstellen, dass ich ein Tier bin (ich bin ein Tiger und happse alles einfach weg) und dann ein anderes Tier (jetzt bin ich eine Schlange und zischel den Sellerie ganz genüsslich über meine gespaltene Zunge). Dann setze ich mir einen Kopfhörer auf und erlebe – nicht wirklich überraschend –, dass Essen mit klassischer Musik im Ohr besser schmeckt als mit Heavy Metal oder Verkehrslärm. Und nun die Käfer. Die muss ich nicht essen, es stehen ja noch andere unverdächtigere Dinge darum herum. Aber ich möchte meinen Forschergeist beweisen und greife zu. Denn man weiß ja: Wenn wir mehr Insekten essen würden, wäre das besser für den Planeten und die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung. Sie schmecken nussig, knusprig, ein wenig wie Bucheckern, allerdings im Abgang etwas trocken. Aber man könnte sich daran gewöhnen.

Plötzlich grummelt es im Magen. Doch das ignoriere ich, ist doch alles nur eine Frage des Umfeldes und der Einstellung. Beim nächsten Mahl werde ich zu den Käfern einfach Klassik hören, den Hummelflug vielleicht. Und dann stelle ich mir vor, ich sei eine Schlange. Und wenn dann meine Giftzähne den Panzer zerknacken … das wird ein Fest.

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens.


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