Die Geschichte Jesu sei für ihn „die größte Geschichte aller Zeiten“, bekennt Markus Spieker im Vorwort – und sehr viele werden ihm zustimmen. „Jesus war belastbar, konditionsstark, taff“, heißt es, wo Jesus als öffentliche Person eingeführt wird – und einige werden sich fragen, woher der Autor das weiß.
Die Spannung zwischen beiden Sätzen macht den Reiz des Buches aus – und zeigt sein Problem. Es ist im besten Sinn des Wortes evangelikal: Es orientiert sich an den Evangelien – und zwar an allen vieren. Es ist mit einem gläubigen Herzen geschrieben – und folgt der Maxime Jesu in der Übersetzung Martin Luthers: „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über“ (Lukas 6,45). Es sucht einen frischen Ton, der die Aktualität und Attraktivität der Jesusgeschichte hören lässt – und ist sich für Jargon nicht zu schade. Es ist historisch interessiert – soweit es um die Plausibilisierung der Jesusgeschichten geht und um die Veranschaulichung eines heilsgeschichtlichen Narrativs, dass Jesus am „Nullpunkt“ in die Welt gekommen ist, dem göttlichen „Meisterplan“ gemäß, als es weder mit dem Judentum weiterging noch mit Herrschern wie Herodes und das Imperium Romanum nur eine Scheinblüte erlebte.
Spieker ist ein bekannter Journalist und Sachbuchautor. Aufgewachsen ist er in einem evangelischen Pfarrhaus, das, wie er in entwaffnender Offenheit bekennt, immer noch „in“ ihm ist. Er hat viel gelesen, viel nachgedacht – und sich dann seinen eigenen Reim auf die Überlieferung wie die Bibelkritik der Moderne gemacht: mit dem Ergebnis, dass Jesus im Wesentlichen genauso gewesen ist, wie er der kirchlichen Überlieferung entspricht.
In einem ersten Teil charakterisiert Spieker die Welt, in die Jesus hineingekommen ist: zwischen Juden, Griechen und Römern. Im dritten Teil zeichnet er, von der Auferstehung her, nach, welche Wirkungsgeschichte Jesus ausgelöst hat. Die Bibel in der Hand, deutet Spieker zweitausend Jahre Weltgeschichte – mit all dem Schönen, das im Neuen Testament angelegt ist, und all dem Schrecklichen, das die Bibel vorausgesehen hat: und mit einer Hoffnung über jeden Tag hinaus.
Im Zentrum des Buches steht eine Jesusbiografie, wie sie farbiger kaum sein könnte. „Retter“ ist sie überschrieben, weil die Heilssendung Jesu im Zentrum steht. Sein Leben wird geschildert, seine Verkündigung charakterisiert, seine Passion nacherzählt. Immer wird klar, dass Jesus nur von Gott her und auf ihn hin verstanden werden kann. Immer werden markinische, lukanische, matthäische und johanneische Überlieferungen zusammengespielt: ein „Best of“ der Evangelien.
Das ist Stärke und Schwäche zugleich. Spieker widersteht der Versuchung, Pseudo-Sensationen zu kreieren, die immer nur Projektionen mit kurzer Halbwertzeit sind: Revolutionär, Guru, Weiser, Therapeut. Er reduziert die „echten“ Jesusworte auch nicht auf „Amen“ und „Abba“. Aber die Schwierigkeiten, die sich einer wissenschaftlich fundierten Rekonstruktion in den Weg stellen, scheinen kaum der Rede wert zu sein. Die Widersprüche zwischen den Evangelien werden kleingeredet. Welche Perspektiven die Evangelien ein- und ausblenden, wird nicht erörtert. Die Kategorie der Erinnerung, die neue Wege der Jesusforschung zeigt, wird nicht genutzt.
So liegen tausend Seiten „Weltgeschichte“ im Namen Jesu vor, die in der Sprache von heute eine uralte Tradition wiederbeleben: die Evangelienharmonie.
Thomas Söding
Thomas Söding ist Professor für Neues Testament an der Ruhr-Universität in Bochum.