Provokation

Christentum und Kirchenkritik

Hubertus Halbfas ist als mutiger katholischer Theologe bekannt, der schon lange mit seiner Kirche im Streit liegt und diesen Streit seit Jahrzehnten in seinen Publikationen beherzt fortsetzt. Sein neuestes Buch liest sich wie eine Art Bilanz dieser Auseinandersetzung, in der Halbfas noch einmal das Grundsätzliche seiner Auffassung vom Christentum und seiner Kirchenkritik prägnant zusammenfasst und verteidigt.

Diese bilanzierende Selbstverteidigung schlägt sich nicht zuletzt in ausführlichen Selbstzitaten nieder. Von dieser Anlage her enthält das Buch kaum etwas, was man nicht schon anderswo bei Halbfas gelesen hätte. Aber der fehlende Neuigkeitswert ändert nichts daran, dass das Buch sich durch viele bedenkenswerte, kluge Überlegungen empfiehlt. Auch wer nicht allem, was Halbfas grundsätzlich überlegt, zustimmt, wird doch noch einmal daran erinnert, wie schlecht es in diesem Falle der katholischen Kirche ansteht, wenn das kirchliche „Lehramt“, statt völlig legitime Überlegungen in ihrer theologisch-wissenschaftlichen Selbstreflexion erörtern zu lassen, lieber dem Kritiker das „Maul verbietet“ und ihn aus ihren eigenen Reihen verbannt.

Halbfas lässt seine Kritik an gewissen Spielarten des Christentums auf die zwei Titelfragen abzielen, ob Christen Atheisten und Atheisten Christen sein können. Seiner zweifach bejahenden Antwort liegt eine fundamentale Unterscheidung zugrunde. Halbfas setzt das jesuanische Christentum von allen anderen Christentümern ab, die er auf dem, was er „paulinische Theologie“ nennt, gegründet sieht. Jesuanisches Christentum ist radikale „Reich-Gottes-Praxis“ egalitärer und solidarischer Mitmenschlichkeit. Jesuanisches Christentum lässt sich nach Halbfas bei historisch-kritischer Lektüre vor allem aus den synoptischen Evangelien rekonstruieren und dem „historischen“ Jesus zuschreiben. Wenn man die caritative Lebensform des jesuanischen Christentum als etwas begreift, was sich ohne jeden metaphysischen Transzendenzbezug im diesseitigen Leben zwischen Geburt und Tod abspielt, dann mutet das jesuanische Christentum dem gutwilligen und lernbereiten Atheisten nichts zu, was er nicht unterschreiben könnte.

Kann umgekehrt ein Christ Atheist sein? Nach Halbfas wird „ausschließlich die ‚Reich-Gottes-Praxis‘ überdauern, soweit sie gelebt wird“. Nicht überdauern werde das „Christentum paulinischer Theologie“, an dem Halbfas kein gutes Haar lässt. Er kritisiert die paulinische Theologie als eine Erfindung des Paulus, der sich um den historischen Jesus in keiner Weise schere. Vielmehr hypostasiere Paulus Christus mythologisch als ein transzendentes Himmelswesen, von dem Christen glauben sollen, dass Christus für die Sünde der Menschen am Kreuz gestorben und von den Toten auferstanden sei. Wer wie Halbfas einen solchen Christenglauben verabschieden will, räumt damit die letzten Hürden beiseite, die einen Atheisten daran hindern könnten, „jesuanischer“ Christ zu sein. Aber nochmals kritisch andersherum nachgefragt: Kann auch ein Christ Atheist sein?

Das diesseitige jesuanische Christentum ist, wie gesagt, atheistisch adaptierbar. Das nimmt ihm nichts von seiner provokanten Radikalität. Aber die christliche Heilszusage wird halbiert und entschärft, wird sie nur weltimmanent verortet und begrenzt. Das Christentum ist radikaler. Zu Recht wird die Heilszusage des Christentums von den meisten so gedeutet, dass sie alle Toten einbezieht. Die Übel und Leiden und auch der Tod werden für jeden Menschen nicht das letzte Wort behalten. Christlicher Glaube ohne antizipierende Hoffnung auf die Auferweckung der Toten, auf die Versöhnung der Menschen miteinander und mit Gott ist auch „jesuanisch“ kaum denkbar. Wir haben gute Gründe, dem historischen Jesus die eschatologische Hoffnung auf die Auferweckung der Toten als Heilszusage Gottes zuzuschreiben. So betrachtet aber stehen wichtige Begriffe paulinischer Theologie weiterhin auf der Tagesordnung: der Bezug auf eine metaphysische Wirklichkeit jenseits der empirischen Erfahrungswelt, die Auferweckung der Toten und anderes. Daran wird ein Atheist nicht glauben wollen, aber ein „Jesuaner“ sehr wohl. Insofern kann ein Atheist nur ein halber Christ sein und ein Christ nur ein halber Atheist.

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