Hinreißendst

Andreas Staiers Beethoven

Alle reden von Igor Levit. Mit Recht, hat doch der neulich in Hannover zum Klavierprofessor ernannte Starpianist Beethoven, nun ja, gerockt: Alle 32 Klaviersonaten eingespielt pünktlich zum Jubiläum 2020. Hinreißend, klar. Dazu – wem hätten sie nicht die Corona-Dürre versüßt? – noch die genialen Podcastfolgen über alle Sonaten, die der 33-Jährige mit seinem kongenialen Sidekick Anselm Cybinski für den Bayerischen Rundfunk produziert hat. Kennen Sie nicht? Na dann mal ran … Aber halt! Jetzt kommt erstmal Andreas Staier. Er kann nicht mit einer Gesamteinspielung aller Sonaten dienen, aber mit einer wunderbaren Interpretation der drei Sonaten, die Beethoven selbst unter der Opuszahl 31 versammelt hat. Sie wurden allesamt 1802 gedruckt, und aus dieser Zeit ist die Äußerung des Komponisten überliefert, er wolle „einen neuen Weg betreten“.

Wie er dies tut, bringt Andreas Staiers ausgereifte Kunst auf der vorliegenden Doppel-CD in berührender Weise nahe. Dabei helfen dem erfahrenen Pianisten und Cembalisten (!) nicht nur sein überragendes Klavierspiel, sondern auch das Instrument, ein Fortepiano, also ein Hammerklavier. Es verströmt unter Staiers kundigen Händen einen Klang, der – man schelte mich subjektiv, verbohrt, rückwärtsgewandt – einfach lebendiger tönt, als es selbst ein Igor Levit – ja doch, sein Name sei erneut uneingeschränkt gepriesen – mit einem – Verzeihung! – modernen Konzertflügelmonstrum vollbringen kann. Wie wir schon im Juni beim Erzherzogtrio feststellen mussten , klingt es so – in diesem Falle mit einem Wiener fortepiano Mathias Müller, entstanden um das Jahr 1810 herum – schlicht besser. Punkt.

Klar, es ist wie alles, was Musik betrifft, schwer in Worte zu fassen, aber es sei mal so versucht: Der Ton atmet hörbarer, dieser eigentümlich schwingend-verschleiert singende Ton der sogenannten period instruments. Und so bewegt – um nur ein Beispiel zu nennen – das sagenhafte zweite Thema aus dem Adagio der Sturm-Sonate (opus 31.2) Seele und Herz des gebannten Hörers in eine Richtung, die der große Adorno einst in Bezug auf jenes sichtlich schwärmend so beschrieb: „(…) weder bloß eine schöne Melodie (…) noch durch seine absolute Expressivität für sich ausgezeichnet. Trotzdem gehört der Einsatz jenes Themas zu dem Überwältigenden, darin, was der Geist von Beethovens Musik heißen darf, sich darstellt: Hoffnung, mit einem Charakter von Authentizität, der sie, ein ästhetisch Erscheinendes, zugleich jenseits des ästhetischen Scheins trifft.“ Ich fasse den großen Denker mal robust so zusammen: Es ist Erlösungsklang für den Augenblick des Hörens. In diesem Fall von Andreas Staier am Hammerklavier dargeboten. Meisterhaft sowieso, aber auch hinreißendst.

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