Es ist äußerst heikel, öffentlich zu bekennen, dass man manche Auswirkungen der Corona-Pandemie schön findet. Tut man es doch, kommt schnell die rüde Zurechtweisung: „Naja, gut für DICH, aber hast Du schon mal daran gedacht, wie privilegiert DU bist. Denk doch mal an …“ Und dann kann vieles kommen. Meist die Aufzählung des beklagenswerten Schicksals anderer Menschen, die nicht in wunderbaren Wohnungen oder Villen mit 2, 3 Zimmern für jeden Bewohner leben, sondern vielleicht eher nur mit 2, 3 Quadratmetern auskommen müssen. Obwohl, in Deutschland sind es meistens schon eher 12, 13, aber anyway, wie der Engländer sagt: Auf jeden Fall schickt sich solches Reden nicht. Solch Corona-Lob kannst Du
morgens Deinem Badezimmerspiegel erzählen, das war’s! Ansonsten bitte die evangelische Trias Schämen, Beten und Tun des Gerechten. Punkt.
Eingedenk dessen traue ich mich trotzdem, zumindest ganz kurz in diesem Punktum von meinem Corona-Lob zu reden. Sie werden lachen, die Deutsche Bahn! In den pandemischen Hochzeiten ab Ende März und bis Anfang Mai fuhr ich – nicht ganz so häufig wie sonst, aber doch 2, 3 Mal die Woche – meine vertraute Pendelstrecke und war entzückt: Nur ganz manchmal erspähte ich einen weiteren Reisegast im Wagon, mal sieben, mal neuneinhalb Meter entfernt. Herrlich! Und die Pünktlichkeit erst! Wenn man die Augen schloss, dachte man, man blickte ins Berner Oberland, würde man sie wieder öffnen, denn pünktlich wie die Schweizer Bahn rollte der DB-Verkehr. Wirklich, ich lüge nicht! Und man musste in jenen Tagen in Berlin-Hauptbahnhof auch nicht die Treppen hochrennen, um dann an Gleis 13 den Lichtern des Regionalzuges Richtung Zoologischer Garten nachzusehen oder die plötzliche Meldung „fällt aus“ zu gewärtigen. Nein, man konnte einsteigen und durch das Fenster in meditativer Verklärung schauen, wie der Zeiger auf die Abfahrtsminute zukroch und sich der Zug dann mit dem Schritt des Zeigers auf die 12 majestätisch in Bewegung setzte. Abgesehen davon, dass das Internet im ICE in jenen Tagen eins a funktionierte: Netflix-Serien runterladen auf das Tablet? Ach was, gar nicht nötig, die liefen per Anklicken einfach so. Könnte es nicht immer so sein?
Verzeihen Sie das Schwärmen, aber diese Wochen – sie waren einfach zu schön! Damit ist es spätestens seit Mitte Mai wieder vorbei: Die Züge sind voller, und die Bahn fährt wieder volles Programm. Das heißt, alle Schrottzüge, die eigentlich dringend repariert werden müssen, sind wieder im Einsatz und fallen gerne wieder ersatzlos aus, und alle feuchten ihre Masken zu … Wie bitte? Sie meinen, ich sollte mich schämen, wo ich doch zu den völlig Privilegierten …
ja doch, Sie haben Recht, ich schäme mich auch, aber es musste mal raus, denn mein Badezimmerspiegel sagte letztens:
„Ich kann’s nicht mehr hören …“
Reinhard Mawick
Reinhard Mawick ist Chefredakteur und Geschäftsführer der zeitzeichen gGmbh.