Schönheit der Natur

Ökologie in der Literatur

Es gibt sie noch: die gute wissenschaftliche Monografie – Ergebnis langjähriger Forschung, getrieben von einem echten Anliegen, aber ohne wohlfeile Aktualisierung, in eine literarisch gelungene Form gebracht und daraus ein schönes Buch gemacht, das Menschen weit über die Fachgrenzen hinaus anspricht. Eine Seltenheit ist dies geworden, denn die meisten Geisteswissenschaftler, auch die Theologen, hören nach der Habilitation mit dem Büchermachen auf.

In Menschen im Weltgarten erkundet Heinrich Detering die klassischen Versuche ökologischer Literatur vor Darwin. Den Anfang bildet der Schweizer Arzt und Autor Albrecht von Haller, dem es 1732 mit seinem Lehrgedicht „Die Alpen“ gelang, überhaupt die Schönheit der Bergwelt zu sehen, ein ehrfürchtiges Staunen zu lehren – ja, die Alpen als ein Stück des Paradieses hier auf Erden zu deuten. Gleich darauf führt Detering seine Leser hoch in den Norden und damit tief in die Hölle. Carl von Linné, der keineswegs bloß ein ordnungssüchtiger Biologie-Katalogisierer war, schrieb zwei Jahre später einen erschütternden Bericht über die Umweltzerstörung in der schwedischen Bergbauregion von Falun: „Keine Gärten konnten sein an diesem Ort.“ Zurück geht es nach Hamburg, zu Barthold Hinrich Brockes und seinem neunbändigen, von 1720 bis 1744 veröffentlichten Werk Irdisches Vergnügen in Gott, in dem er eine überaus harmonische, redselige und in Teilen unfreiwillig komische Naturalisierung der Theologie betreibt. Dass aber auch in ihr Abgründe verborgen liegen, kann Detering überzeugend darlegen: Die Vorstellung von der Natur als einem diesseitigen Himmel ist stets mit der Angst verknüpft, sie könnte zur Hölle werden. Weshalb das nächste – kürzeste und interessanteste – Kapitel nach Göttingen zu Georg Christoph Lichtenberg führt, der in Gedankenexperimenten eine Science Fiction der Naturvernichtung skizziert hat: „Es wäre doch möglich, daß einmahl unsere Chemiker auf ein Mittel geriethen, unsere Luft plötzlich zu zersetzen. So könnte die Welt untergehen.“

Weiter geht es über den Großmeister Johann Wolfgang von Goethe, die romantischen Avantgardisten Novalis und Achim von Arnim bis zu Alexander von Humboldt und dessen realen wie literarischen Erkundungen der unendlichen Vielfalt des Lebens. Das also kann Nature Writing sein: eine Verbindung von Wissenschaft und Literatur, die die Fülle und die Wechselwirkungen des Lebens erkundet, dabei ins Staunen gerät, zugleich aber die Angst zur Sprache bringt, der Mensch könnte nicht nur das einzige Lebewesen sein, das die Schönheit der Natur erkennt, sondern auch zu ihrem Zerstörer werden.

Für Theologen ist dieses Meisterwerk aus mehreren Gründen lesenswert. Es regt zu einer Theologie des Ökologischen an und es lehrt, wie man mit den eigenen Traditionen umgehen sollte. Vor allem formuliert es – untergründig – eine These zum modernen Christentum. Es ist kein Zufall, dass die Auswahl so protestantisch geraten ist. Denn diese ökologischen Literaten verweltlichen das Christliche, ohne es dabei zu verabschieden. Dorothee Sölle hat diesen Vorgang unter die Formel „Säkularisierung als Realisation“ gebracht. Oder in Humboldts Worten: „Alles verkündigt eine Welt thätiger, organischer Kräfte. In jedem Strauche, in der gespaltenen Rinde des Baumes, in der von Hymenoptern, ‚Hautflüglern‘, bewohnten, aufgelockerten Erde regt sich hörbar das Leben. Es ist wie eine der vielen Stimmen der Natur, vernehmbar dem frommen, empfänglichen Gemüthe des Menschen.“

In der letzten Anmerkung des Buches weist Detering auf „die verblüffende Nähe dieser Formulierung zu Schleiermachers romantischer Religionsschrift“ hin. Dies wäre der einzige Punkt, an dem eine leise Kritik angebracht wäre. Denn an dieser Nähe ist gar nichts verblüffend.

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Foto: EKDKultur/Schoelzel

Johann Hinrich Claussen

Johann Hinrich Claussen ist seit 2016 Kulturbeauftragter der EKD. Zuvor war er Propst und Hauptpastor in Hamburg.


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