Neigung zur Harmonie

Warum die Farbe Grün die Farbe der Mitte und des Gifts ist
Georgia O’Keeffe (1887 – 1986): „Green Mountains, Canada“ (Grüne Berge, Kanada), Öl auf Leinwand, 1932.
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Georgia O’Keeffe (1887 – 1986): „Green Mountains, Canada“ (Grüne Berge, Kanada), Öl auf Leinwand, 1932.

Das Farbwort Grün stammt vom althochdeutschen Wort gruoni ab, was wachsen und gedeihen bedeutet. Es gibt mehr als vierzig bezeichnende Grüntöne im Deutschen. Wie sie auf den Menschen wirken, erläutert der Psychologe Klausbernd Vollmar.

Grün ist eine Farbe, die sich von Lindgrün, mit einer Wellenlänge von etwa 555 Nanometern, bis zu Türkis mit einer Wellenlänge von etwa 500 Nanometern erstreckt. Es hat eine große Farbreichweite, das heißt, mischt man eine andere Farbe langsam ein, bleibt der Charakter von Grün lange bestehen. Standardgrün besteht zu fünfzig Prozent aus Gelb und zu fünfzig Prozent aus Blau. Das angenehmste Grün für eine längere Betrachtung ist das Grün, mit dem die Wandtafeln in Schulen gestrichen wurden. Auch die Spielfelder von Billardtischen und viele Schreibtischunterlagen sind nicht nur deswegen grün, weil die Farbe für die Augen entspannend wirkt, sondern auch weil sie die Kontrastwirkung zu anderen Farben hervorhebt. Als neutrale Farbe stärkt es den Sehpurpur, das farbsensitive Rhodopsin in der Netzhaut der Augen, wodurch ein entspanntes Sehen erzeugt wird.

Lindgrün mit erheblichen Gelbanteilen ist eine klassische Wohlfühlfarbe, die von Farbtherapeuten gegen Aufregung und quälende Unruhe eingesetzt wird. Dieses Grün des Frühlings wird oft mit jugendlicher Stärke assoziiert, wohingegen das Standardgrün eher als Farbe der Phlegmatiker angesehen wird. Deswegen äußerten sich der Bauhauskünstler Wassily Kandinsky wie auch Johann Wolfgang von Goethe herablassend über die Farbe Grün. Die Farbe sei aufgrund ihrer passiven Wirkung ein „beschränkendes Element“ und als langweilig zu betrachten. Speziell lehnte Goethe die Kombination von Grün mit Blau ab, worauf das Sprichwort „Grün und Blau ziert eine Sau“ zurückgeht. Im Gegensatz zu Lindgrün steht das so genannte Giftgrün. Dieses Grün ist ein überaus intensives Grün, das, wie man sagt, ins Auge sticht. Man weicht ihm deswegen aus. Allerdings eignet es sich als Signalfarbe, da es das auffälligste Grün ist. Ursprünglich bedeutete das Adjektiv “grün“ wachsend, sprießend. Es wird als Farbbezeichnung verwendet und als Gegensatz zu verwelkt oder als Kontrast zu Rot und reif im Sinne von unreif oder unerfahren. Das drückt der Ausdruck „Grünschnabel“ aus. Grün steht ferner für die freie Natur, wie die Wendung „ins Grüne gehen“ zeigt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat Grün eine Bedeutung hinzugewonnen, es bedeutet nun auch umweltorientiert und erhielt eine politische Dimension. Grün liegt seit Issac Newton und Johann Wolfgang von Goethe unten in der Mitte des Farbkreises. Es vermittelt zwischen Hell und Dunkel, zwischen Gelb als farbigem Stellvertreter des Lichts und Blau als farbigem Stellvertreter der Finsternis. Papst Innozenz III. bezeichnete Grün als color medius, als mittlere Farbe der Versöhnung. Gemäß seiner Stellung im Farbenkreis wirken alle Grüntöne zwischen Lindgrün und einem mittleren Grün beruhigend. Beim Heilen mit Farben werden diese Grüntöne benutzt, um Harmonie zu erzeugen. Es wird ihnen nachgesagt, dass sie einem helfen, seine innere Mitte zu erkennen. Der Anthroposoph Rudolf Steiner war der Ansicht, dass diese Grüntöne unser Denken beweglich machen. Als Farbe der Mitte liegt Grün im Farbenkreis genau zwischen den warmen Farben, die dem Betrachter entgegen zu kommen scheinen, und den kalten Farben, die den Betrachter in die Farbfläche hineinziehen. Grün wird deswegen als laue Farbe bezeichnet, das heißt, es bleibt in der Farbfläche stehen und regt deswegen weder zu sehr an, noch beruhigt es zu sehr. Es steht also in der Mitte zwischen dem mit depressiven Stimmungen assoziierten Blau und dem mit manischen Tendenzen verbundenen Gelb. Es beruhigt, ohne den Handlungswillen einzuschränken. So verwundert es nicht, dass Menschen, die in sich ruhen, sich zu Grün hingezogen fühlen. Wer Grün als Lieblingsfarbe wählt, dem wird Einfühlungsvermögen nachgesagt. Er wird deswegen als der ideale Schlichter angesehen. Allerdings sagt man auch den Personen nach, die Grün als Lieblingsfarbe nennen, dass sie eine Neigung zur Harmoniesucht zeigen. Heutzutage sind die „Grünliebhaber“ jedoch hauptsächlich Naturliebhaber.

Im Mittelalter liebte man die Komplementärfarben Grün und Rot, da beide Farben als Mitte der Farbskala galten. Schönheit und Harmonie lagen nach dieser Vorstellung im Mittelweg zwischen den Extremen. Als Extreme wurden die beiden polaren Farben Gelb und Blau angesehen, die harmonische Mitte wurde Rot und Grün zugeordnet. Rot und Grün in Kombination war deswegen in der Kleidung des Mittelalters beliebt. Der positive Aspekt des Grüns ist mit Wachstum verbunden. Grün wurde als Triumph des Frühlings über den dunklen und kalten Winter gesehen. Im Frühling beginnen Bäume und Felder zu grünen. Dies sollen die berittenen Frauen in lindgrünen Mänteln im Märzbild der Stundenbücher der Gebrüder Limburg aus dem 15. Jahrhundert ausdrücken. Den Frühling mit grünen Frauen zu personifizieren, war dem damaligen Betrachter geläufig, wie es auch vom heutigen Beschauer verstanden wird. Dass diese Frauen als Jungfrauen gedacht werden, legt das junge Grün, das Lindgrün, nahe.

Grün ist eng mit der Flora verbunden, die für die Römer die Göttin des Frühlings war. Sie ist es, die dem Gärtner den grünen Daumen verleiht und die uns aus dem Grau der Städte ins Grüne lockt und deren Partei die Grünen sind, deren Logo eine Blüte auf grünem Hintergrund zeigt. Auch sprachlich sind Wachstum und Grün verbunden, denn Grün stammt von ghro ab, das wachsen bedeutet. Soll ein Produkt in der Finanzwelt Zugewinn versprechen, kommt Grün zum Einsatz. Man denke an das Logo der Dresdener Bank, die allerdings das wohlgewählte Grün ihres Logos nicht retten konnte. Da hatten Starbucks, John Deere und Spotify mehr Erfolg mit ihren grünen Logos. Es ist kein Zufall, dass seit 1914 die amerikanischen Dollarnoten grün sind. So gilt Grün für viele Amerikaner als Glücksfarbe, was Walt Disney mit dem Glückspilz Gustav Gans ironisiert, dem er eine grüne Weste verpasst. Ein mittleres Grün ist eben als Symbolfarbe durchweg positiv besetzt. Hildegard von Bingen prägte den Begriff Viriditas, womit sie die Grünkraft, die Lebenskraft, meinte. Von daher stammt die Bezeichnung Viridian für ein Dunkelgrün, das aus einem Chromoxid-Pigment besteht. Hildegards Lehre beruht auf dieser Grünkraft und dem Bemühen, diese zu erhalten und zu stärken. Die Anthroposophen nehmen diese Tradition von Grün als Heilfarbe wieder auf und betonen, dass ein mittleres Grün Harmonie erzeugt. Es heilt und schafft eine stille Lebendigkeit. Dagegen kann ein dunkles Blaugrün Niedergeschlagenheit erzeugen. Der grüne Malachit besaß bei den alten Ägyptern eine Bedeutung in der Kosmetik. Er wurde gemahlen und mit Eiweiß, Akazienharz oder Feigenmilch verrührt, so dass eine smaragdgrüne Farbe entstand. Diese wurde von Frauen zum Schminken ihrer Augenlider verwendet. Man sagte den grün geschminkten Augen eine verführerische Wirkung nach. Außerdem ist der Malachit bis heute ein beliebter Schmuckstein geblieben. Die englische Society Lady Nancy Cunnard dekorierte ihren Salon im Cavendish Square in London mit arsengrünen Wänden. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert hinein galten grüne Tapeten als hochmodisch. Grün gilt als ideale Farbe für Zimmer, in denen man eine entspannte Stimmung erzeugen möchte. Man sagt einem grünen Zimmer nach, es sei gut für die Regeneration. Das Problem war jedoch, dass damals ein anmutiges Grün auf Arsenbasis hergestellt wurde. Napoleon wurde diese Mode zum Verhängnis, weil er wahrscheinlich von den Arsenausdünstungen der grünen Tapeten in seinem Haus auf St. Helena vergiftet wurde, da feuchtwarmes Meeresklima Arsen ausdünsten lässt.

Im 19. Jahrhundert wurde Grün als Kleiderfarbe abgelehnt, da es als Farbe der einfachen Menschen galt und bei Kerzenschein oft bräunlich wirkt, was wiederum an die Kleider einfachen Volks erinnerte. Neben dem grünen Lodenmantel, prägt Grün den Trachten- und Landhausstil. Als klassische grüne Freizeitkleidung gelten die Barbour-Jacke und andere grüne Wachsjacken, die durch die Mitglieder des englischen Königshauses populär gemacht wurden. Hier symbolisiert Grün wie in allen anderen Bereichen Naturnähe und Natürlichkeit. Das prägte schon im Hochmittelalter Wolfram von Eschenbachs Dichtung Parzival, in der der Gralskönig einen grünen Mantel trägt, der außer auf seine innere Harmonie auf seine Natürlichkeit verweisen soll.

Ungesunde Körperfarbe

Wird der grüne Farbton zu intensiv, schlägt sein positives Image ins Gegenteil um. Dann fällt schnell das Wort „giftgrün“ – die einzige Farbbezeichnung im Deutschen, die auf eine ungesunde Wirkung hinweist. Die erste belegte Verwendung des Wortes Giftgrün stammt aus dem Jahr 1588 aus einer Schrift des Theologen Suevus: „Der gantze leib erstarret, sich greulich entferbet, gifftgrüne, bleichgelb, und erdfarbig wird“. Das Wort Giftgrün wurde und wird verwendet, wenn von einer ungesunden Körperfarbe die Rede ist – jemand ist „ganz grün im Gesicht“, sagt man noch heute.

Die Verbindung von Giftigkeit mit Grün passt zu den Beschreibungen von Drachen, Lindwürmern und anderem widerlichen Getier, das in Märchen und Sagen erwähnt wird und dem ebenfalls eine grüne Farbe zugeschrieben wird wie in dem Bild des Heiligen Georg mit dem Drachen von Paolo Uccello (um 1470 gemalt). Mit dem Absinth, der häufig als Gift bezeichnet wurde, und den man „die grüne Fee“ nannte, vergifteten sich die sozial Schwachen. Vor der grünen Fee wurden die Menschen vom Pesthauch der grünen Drachen ruiniert. Eine der negativen Bedeutungen der Farbe Grün zeigt sich noch heute in der Seefahrt, in der eine grüne Flagge auf See ein Wrack anzeigt.

 

Literatur

Klausbernd Vollmar: Farben. Knaur Verlag, München 2017, 301 Seiten, Euro 10,99.

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