Es grünt in Gottes Haus, damit Menschen darin leben können. Und: Die Sonntage nach Trinitatis und der Vorpassion haben Grün als liturgische Farbe. Die biblischen Bezüge des Grünen sind vielfältig, wie der Jenaer Neutestamentler Manuel Vogel aufzeigt.
"Alles grün. Alles grüün!“ Der Vater einer Freundin aus Studienzeiten, der zur Hochzeit der Tochter nach Deutschland gereist war, konnte es kaum fassen: Alles grün. Die Freundin ist christliche Palästinenserin, mit einem lutherischen Theologen verheiratet und in der Heiligen Stadt aufgewachsen. Von dort war der Vater zur Hochzeit unterwegs und kam auf der Autofahrt aus dem Staunen nicht heraus: Satte Wiesen und grüne Felder, so weit das Auge reicht. „Jerusalem, Berge sind rings um es her“, dichtet der Psalmist (Psalm 125,2), aber diese Berge sind in den Sommermonaten alles andere als grün. Das war schon in biblischer Zeit so. Die Sommersonne verbrannte das Gras und färbte die Landschaft ins Graubraun verdorrter Vegetation.
Am Anfang war ein Garten. Die Schöpfungserzählung stellt ihn sich vor als ursprünglichen Lebensraum der Menschen. Das Bild ist für seine altvorderorientalischen Betrachterinnen und Betrachter aber bereits zivilisatorisch überblendet: Wer es vernahm und sich vorstellte, dachte an Palastgärten der Fürsten und Großkönige, weitläufige Lustgärten mit allerhand Pflanzen und auch Tieren aus allen Teilen des Großreiches. Also Herrscher-Repräsentation und Ausdruck von Wohlstand und Macht. So war es ursprünglich für alle gedacht, lesen wir. Nun ist das nur noch etwas für Großkönige. Die einfachen Leute müssen mühsam ihren Acker bestellen. Gilt also der Auftrag an den Urmenschen, den Garten „zu bebauen und zu bewahren“, nicht mehr? Gewiss: Er ist aus diesem Lustgarten vertrieben worden. Aber: „Es geht aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilt sich von da in vier Hauptarme“ (Genesis 2,10). Die Vierzahl meint biblisch Vollständigkeit. Das heißt: Jeder Acker jenseits von Eden, jeder Wald und jede grüne Wiese wird von Paradieswasser gespeist. Was ursprünglich gut gemeint und gut gemacht war, ist beides auch noch jetzt. Wie Menschen des Alten Orients zum Garten den Palast hinzugedacht haben, so auch den Tempel. Aus dieser Bildwelt speist sich die Sprache der Psalmen, die den Gerechten als „Ölbaum im Hause Gottes“ rühmen (Psalm 52,10), und die Vision Ezechiels, der im Tempel eine Quelle entspringen sieht, die das Umland grünen lässt und sogar das bittere Wasser des Toten Meeres genießbar macht (Ezechiel 47,1–12). Tempelgarten und Tempelquelle: Es grünt in Gottes Haus, damit Menschen leben können. Ökologie kommt von griechisch oikos, das Haus.
Ohne Wasser grünt nichts. Deshalb versorgt der Paradiesstrom die Welt. Ein Schulfreund, den ich zwanzig Jahre nicht gesehen habe, besucht mich. Er ist Wasserbau-Ingenieur, hat in Afrika und im Nahen Osten unzählige Brunnen gebaut. Die Kriege der Zukunft werden um Religion geführt werden, sagt er, und um Wasser. Und: Die Menschheit geht ans Urwasser, bohrt erstmals in der Erdgeschichte Wasserschichten an, die sich nicht mehr regenerieren. Der Paradiesstrom versiegt in den Ebenen der spanischen Mega-Plantagen. Dort hat man jetzt die Tröpfchenbewässerung eingeführt. Aber nicht, um Wasser zu sparen, sondern um die Erträge zu steigern. Bei uns werden die Tomaten dann nochmal billiger. In Kalifornien färben die Vorgartenbesitzer der weißen Mittelschicht während der immer längeren Trockenperioden die verdorrten Rasenflächen grün ein. Das spart Wasser, aber keine Chemikalien, und ist eine vorsätzliche optische Täuschung. Der Blick aus dem Autofenster kann trügen. Auch Agrarwüsten sind grün, und die Randstreifen mit Sommerblumen geraten zu Schmetterlingsfallen, weil es die Schmetterlinge nicht über die endlosen Flächen der agrarindustriellen Monokulturen schaffen und unterwegs verhungern.
Bertold Brecht konnte mit Wald und Wiesen nichts anfangen. Max Frisch notiert in seinen Tagebüchern, wie er einmal mit Brecht in der freien Natur unterwegs war. Brecht war erkennbar desinteressiert und unempfänglich, nur als er einen morschen Baumstumpf sah, machte er einen Witz über den Kapitalismus. Auch in einer biblischen Weltsicht sind die Dinge noch nicht deshalb in Ordnung, weil man gerade hübsch im Grünen sitzt. Der unwiderstehliche Hang der Israeliten „unter jedem grünen Baum“ fremden Kulten anzuhängen, ist geradezu sprichwörtlich, so etwa 2. Könige 17,9-11: Die Israeliten „ersannen, was nicht recht war gegen den Herrn, ihren Gott. Sie (...) errichteten Steinmale und Ascheren auf jedem hohen Hügel und unter jedem grünen Baum und räucherten auf allen Höhen wie die Völker.“
Mitsprache für die Natur
Wenn wir der Bibel das Verbot fremder Kulte nicht zu ihrem Nachteil auslegen wollen, wie es etwa die Gnostiker getan haben und einem eifersüchtigen Gott die Anbetung verweigerten, dann kann es hierbei nur um die Frage gehen, ob man Gott die Ehre gibt als dem Schöpfer und also immerzu um Gottes und der Schöpfung willen die Welt als Ganzes im Blick hat. Die Fahrt ins Grüne oder, weil billiger, der Flug dorthin, kann einem dann ebenso vergehen wie das touristische Begaffen von Naturschönheiten. Naturignoranz nötigt zur Naturdistanz, macht dort heimatlos und unruhig, wo andere ihre Picknickdecken ausrollen, unter jedem grünen Baum. Der Frühling ist vergangen / er ließ mich schwach und müd’ / das Herz ist mir verhangen / weil so viel Unrecht blüht (Alfred Kantorowicz, 1899 – 1979). Zu ergänzen ist: Unrecht auch wider die Natur, wie sie jüngst der Soziologe Stefan Lessenich in seiner Demokratieschrift als Prügelknaben des demokratischen Diskurses ins Bewusstsein gerufen hat. Bei allem demokratischen Aushandeln von Rechten der Mitbestimmung galt doch: „Alle gegen eine“. Mit der Natur konnte man’s ja machen und sie die unbeglichenen Rechnungen fortschreitender Demokratisierung bezahlen lassen. Das muss sich ändern, sagt Lessenich, in einem neuen Verständnis von Demokratie, das auch der Natur das ihr zustehende Mitspracherecht einräumt.
Die Sommerhitze kann sich apokalyptisch steigern. In der Posaunen-Vision der Johannesoffenbarung nimmt ein Engel Feuer vom himmlischen Altar und wirft es auf die Erde (Johannes-Apokalypse 8,5). Bei dem, was dann passiert, stehen die Engel Spalier und stoßen sukzessive in ihre Posaunen: „Und der erste blies seine Posaune; und es kam Hagel und Feuer, mit Blut vermengt, und wurde auf die Erde geschleudert; und der dritte Teil der Erde verbrannte, und der dritte Teil der Bäume verbrannte, und alles grüne Gras verbrannte“ (8,7). Im selben Zahlenverhältnis geht es so weiter: Je zu einem Drittel wird das Meerwasser zu Blut, sterben die Meeresfische und sinken die Schiffe. Ein Drittel des Trinkwassers wird ungenießbar, Sonne Mond und Sterne verfinstern sich je zu einem Drittel, und schließlich stirbt ein Drittel der Menschen. Jetzt müsste auch noch der Letzte merken, dass hier nicht der Zufall wütet. Die Apokalypse ist nicht einfach Untergang, sondern Katastrophe mit System und mit Signalcharakter. In diesem Fall eine Probe darauf, was passiert, wenn das kosmische Gleichgewicht gestört wird und die Hitze dort wirkt, wo sie nicht soll. Aber „die übrigen Leute, die nicht getötet wurden von diesen Plagen, bekehrten sich doch nicht von den Werken ihrer Hände“ (8,20). Warum sollten sie auch? Wenn Mann und Maus zu zwei Dritteln schadlos durch die Katastrophe kommen, können beide doch zufrieden sein.
Das ist die Logik der so genannten ökologischen Ausgleichsflächen: Solange hier etwas übrig bleibt, darf dort nach Herzenslust gewütet, dürfen Welt und Erde, Tier und Blume anteilig zerstört werden. Darf dann auch für jeden Demons-tranten, der keinen Stein geworfen hat, einer einen werfen? Wird für jedes Lebenlassen ein Tötendürfen gebucht? Gegen den unausrottbaren Optimismus, man werde bei diesem verlogenen Spiel selber schon durchkommen, hat die schwedische Schülerin die Figur der Verweigerung gesetzt und einen Konflikt zwischen den Generationen angezettelt, in dem es beileibe nicht darum geht, ob die Renten sicher sind. Der Liederdichter Ludwig Hirsch (1946 – 2011) hat diesen Konflikt in seinem Lied „Die gottverdammte Pleite“ apokalyptisch vorweggenommen, jedoch nicht als Huldigung der Gewalt, sondern um die Unversöhnlichkeit des Konflikts drastisch ins Bild zu setzen. Inzwischen feilschen aber die Fridays längst mit Lokalpolitikern um jeden Radweg und jeden Fischteich und werden über jeden runden Tisch gezogen, an dem sie Platz nehmen. Ein Seelen-trost ist da die Entscheidung der Parents for Future, denjenigen Slogan auf ihren Briefbogen zu setzen, für den „Ende Gelände“ neuerdings vom Verfassungsschutz beobachtet wird: System change, not climate change. Klimaschützer als Staatsfeinde. Wird es darunter auf lange Sicht nicht gehen?
Die Sonntage nach Trinitatis und der Vorpassion haben Grün als liturgische Farbe. Die reiche Semantik dieser Farbe hat also Zeit genug, abseits von Weihnacht, Passion, Ostern und Pfingsten (jedoch nicht ohne Bezug hierauf) aus christlicher Sicht bedacht zu werden, idealerweise von der Kirchenbank aus mit Blick aufs grüne Parament: Wachsen (auch im Glauben), Welken (mitten in dem schönsten Leben), Vitalität (auch ungeniert triebhaft), Jugend (gegen Altwerden hilft Jungbleiben im Kopf), Neid (mit Bezug auf Weihnacht, Passion, Ostern und Pfingsten eigentlich undenkbar), Hoffnung (auch gegen den Tod: Grün als Farbe der Auferstehung). Die Bezüge sind so vielfältig, dass sie beinahe zur Testfrage taugen: Sage mir, was dir bei „grün“ einfällt, und ich sage dir, wer du bist.
Im interreligiösen Vergleich zeigt das der Islam: Die Kämpfer der Hamas tragen in Anspielung an das grüne Banner des Feldherrn Mohammed grüne Stirnbänder. Dieselbe Farbe symbolisiert aber auch (zwischen schwarz und weiß) den Islam als Religion der Mitte, die die Extreme vermeidet beziehungsweise zwischen ihnen vermittelt. Und längst reklamieren muslimische Umweltgruppen die grüne Farbe für sich: Auch der Islam soll im Namen des Allbarmherzigen ökologisch denken lernen.
Existenzielles Unbehaustsein
Judentum, Christentum und Islam teilen die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten und damit eine spezifisch religiöse Naturdistanz in abrahamitischer Tradition. Man muss die Natur nicht vergöttern und kann sie dennoch respektieren. Hinzu kommt ein existenzielles Unbehaustsein gerade in der neu erblühenden Natur: Das Land wird jung. Wir aber werden alt. / Wir sehn das neue Grün mit leiser Wehmut. / Das Alter prägt uns Antlitz und Gestalt. / Gott geb uns dazu Heiterkeit und Demut. So hat der Jenaer Praktische Theologe Klaus-Peter Hertzsch (1930 – 2015) gedichtet. Das Leben um uns träumt in Wiederkehr, sagt er im selben Gedicht, doch wir sind wach und gehen nicht im Kreise. / Wir kommen aus geheimen Anfang her / und sind zu gutem Ziele auf der Reise. / Lass uns ein Stück noch miteinander gehn / durch manchen Kreis mit seinen Jahreszeiten. / Und lass uns vorwärts in die Weite sehn, wo alle Horizonte offenstehn / und sich im Osterlicht die Berge Gottes breiten.
Manuel Vogel
Manuel Vogel ist Professor für Neues Testament an der Universität Jena.