„Wir wollen immer die Kontrolle“

Gespräch mit dem Chefarzt der Klinik Hohe Mark, Markus Steffens, über die Stigmatisierung von Süchten, problematische Gottesbilder und den Glauben als Schutzfaktor
Paul Adolf Seehaus (1891 – 1919): „Der Trinker“, um 1918.
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Paul Adolf Seehaus (1891 – 1919): „Der Trinker“, um 1918.

zeitzeichen: Herr Professor Steffens, der Genuss von Alkohol oder das Surfen im Netz gehören für viele zum Alltag. Wann wird so ein Verhalten zur Abhängigkeit oder zur Sucht?

MARKUS STEFFENS: Es gibt insgesamt sechs Kriterien für eine Abhängigkeit. Da sind zunächst das druckhafte Verlangen und der Druck, eine Substanz zu konsumieren oder ins Internet zu gehen. Das Fachwort dafür heißt craving. Der zweite Punkt ist der Kontrollverlust, wenn man selbst den Konsum also nicht steuern kann. Wenn man sich zum Beispiel vornimmt, nur ein oder zwei Flaschen Bier zu trinken und es am Ende sechs oder sieben werden. Psychische oder körperliche Entzugssymptome gehören genauso zu den Kriterien wie Toleranzphänomene. Das heißt, um in die gleiche innere Lage oder Stimmung zu kommen, braucht der Suchtkranke mit fortlaufender Dauer zunehmend mehr von der Substanz oder längere Spielzeiten. Viele Menschen vernachlässigen andere Aktivitäten im Privaten oder am Arbeitsplatz. Und das sechste Kriterium ist erfüllt, wenn weiter konsumiert wird, obwohl schon schädliche Folgen zu spüren sind, direkte körperliche oder psychische Folgen, aber auch solche in der sozialen Umwelt. Häufig gehen Beziehungen oder Freundschaften
kaputt oder Arbeitskontakte entgleiten.

Müssen alle sechs Kriterien erfüllt sein, um von einer Suchtkrankheit zu sprechen?

MARKUS STEFFENS: Es reichen drei. Egal, ob es sich um eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit handelt oder um sogenannte Verhaltenssüchte, wie beispielsweise die Computerspielsucht.

Ziel und Anspruch der Klinik Hohe Mark ist es, für Menschen mit psychischen Störungen einschließlich der Suchterkrankungen „fachlich kompetente und christlich engagierte Hilfe“ zu leisten. Was bedeutet christlich engagierte Hilfe?

MARKUS STEFFENS: Wir sind darauf ausgerichtet, bewusst auch christlich- seelsorgliche Elemente in Angebotsform in die Behandlung einfließen zu lassen. Es ist wissenschaftlich belegt, dass gelebter Glaube durchaus ein Resilienzfaktor sein kann, also einen Schutz bei Suchterkrankung darstellt. Zum anderen ist die Suche nach einem Sinn im Leben bei Menschen mit Suchterkrankung sehr, sehr ausgeprägt. Das zeigen langjährige klinische Erfahrungen und vielfältige Berichte Erfahrener.

Was bedeutet das für Ihr therapeutisches Angebot?

MARKUS STEFFENS: Zusätzlich zu der suchtmedizinisch und -therapeutisch ausgerichteten, leitlinienorientierten Therapie machen wir seelsorgerliche Angebote, etwa zum Beispiel Einzelseelsorge, verschiedene Andachtsformen, Gottesdienste oder auch Gruppenangebote, die wir Lebenssinngruppen nennen. In dieser Corona-Zeit sind diese natürlich etwas eingeschränkt.

Sind Pfarrerinnen oder Pfarrer oder andere kirchliche Mitarbeiter besonders suchtgefährdet?

MARKUS STEFFENS: Zunächst einmal kann die Suchterkrankung jeden Menschen in jedem Beruf treffen. Leider ist sie erst seit 1968, also seit 52 Jahren, überhaupt als Krankheit anerkannt. Bis dahin wurde das Problem in einer schwachen Persönlichkeit gesehen. Und doch tritt sie in manchen Berufen häufiger auf, wie zum Beispiel unter Ärzten. Wissenschaftliche Zahlen zeigen, dass auch Pfarrer und Pfarrerinnen betroffen sind, aber nicht wesentlich häufiger als andere Berufsgruppen.

Zu welchen Suchtmitteln greifen sie?

MARKUS STEFFENS: Alkohol ist das häufigste Suchtmittel, von Cannabis gefolgt. Bei Menschen mittleren Alters kommen andere Substanzen hinzu, zum Beispiel Benzodiazepine oder opioidhaltige Schmerzmedikamente. In jüngeren Altersgruppen spielen zunehmend auch Verhaltenssüchte wie die Computerspielsucht eine Rolle.

Warum rutschen Pfarrer und Pfarrerinnen in die Sucht?

MARKUS STEFFENS: Eine Reihe von Untersuchungen zeigt, dass der Zugang zu den Substanzen für bestimmte Berufsgruppen ein wichtiger Faktor zu sein scheint. Nehmen Sie bei Pfarrern die Hausbesuche und den dabei angebotenen Alkohol. Oder die Teilnahme in seelsorgerlicher Begleitung an Familienfeiern, aber auch an öffentlichen Feiern, wie Stadt-, Schützen- oder Erntefesten. Dieser Zugang kann in der Phase des Einstiegs eine Rolle spielen. Und dann wird der Alkohol oft weiter als eine Form der Selbsthilfe konsumiert, wenn sich zum Beispiel Spannungszustände zeigen oder Konflikte auftürmen. Oftmals steht am Anfang die Erfahrung, dass der Konsum von Alkohol Entspannung bringt oder beim Einschlafen hilft. Das sind Faktoren, die in bestimmten Berufen, häufiger anzutreffen sind als in anderen. Daneben spielen sehr wahrscheinlich genetische und epigenetische Faktoren sowie das neurobiologische Belohnungssystem weitere wichtige Rollen.

Nun hat der Pfarrer eine besondere Stellung in seinem beruflichen und sozialen Umfeld. Er arbeitet und lebt in seiner Gemeinde. Hat das Auswirkungen?

MARKUS STEFFENS: Häufige Abwesenheiten vom eigenen Lebensmittelpunkt zu zum Beispiel familientypischen Zeiten und wenig klar begrenzte Aufgaben können erhöhte Risiken für eine Abhängigkeitsentwicklung sein. Arbeitsbedingte soziale Stressoren mit einem Ungleichgewicht von Verpflichtungen und Anerkennung können einen riskanten Konsum fördern. In der praktischen Arbeit erlebe ich es des Öfteren, dass die gesellschaftliche und öffentliche Verpflichtung, die eben auch ein Pfarrer hat, eine große Rolle spielt. Es ist halt Usus, bei Einladungen gemeinsam ein Glas Wein zu trinken. Und wenn dieses häufiger stattfindet, gewöhnt man sich physisch und psychisch an die Droge. Es ist schwierig, Alkohol abzulehnen und zu sagen, man konsumiere nicht, weil dann Nachfragen kommen könnten. Der gefühlte Zwang zur Geheimhaltung der alkoholbezogenen Probleme aus Angst vor dem sozialen und beruf-lichen Umfeld ist ein zweiter Faktor, der in die Abhängigkeit führen kann.

Das heißt, man trinkt mit, obwohl man um die Risiken weiß, damit man nicht als Alkoholiker gilt?

MARKUS STEFFENS: Es gibt wohl kaum eine andere Krankheit, die mehr Stigmatisierung mit sich bringt. Vor Jahren wurde die Bevölkerung in einer Untersuchung gefragt, auf welche Behandlungen von Krankheiten aus Kostengründen verzichtet werden sollte. Neben psychischen Erkrankungen wie Depressionen erzielte die Alkoholabhängigkeit den höchsten Wert. Das zeigt die sehr hohe öffentliche Stigmatisierung. Damit einher geht die Selbststigmatisierung. Der Betroffene denkt, die anderen haben Recht, schämt sich und versucht die Alkohol-abhängigkeit geheim zu halten. Ein Alkoholproblem zuzugeben, bedeutet für viele Menschen einen riesigen Schritt gegen die öffentliche und die Selbststigmatisierung. Es mangelt an Akzeptanz, dass es sich bei Alkoholismus um eine Krankheit handelt wie eine Karzinomerkrankung oder Diabetes Melitus.

Warum ist es so schwierig, sich diese Erkrankung einzugestehen?

MARKUS STEFFENS: Zum einen ist es ein innerpsychischer Mechanismus. Wir Menschen wollen immer die Kontrolle haben über uns selbst und unsere Emotionen. Und deshalb gilt der, der zu viel trinkt, als schwach und nicht mehr leistungsfähig. Das bleibt nicht äußerlich, sondern kehrt sich nach innen. Das kratztan der eigenen Psyche. Es ist psychologisch äußerst verständlich, dass dann der Druck noch weiter ansteigt, die Sucht geheim zu halten.

Gibt es Ihrer Meinung nach im Christentum oder in der christlichen Botschaft suchtfördernde Elemente?

MARKUS STEFFENS: Ja, es gibt moderierende Faktoren, welche die schützenden Faktoren Religiosität und Spiritualität zu Risikofaktoren werden lassen. Aber es ist nicht die christliche Botschaft per se, entscheidend ist unter anderem das Gottesbild, welches ein Mensch hat. Wenn also der eher calvinistische Gedanke mit seinem leistungsorientierten Gottesglauben sehr ausgeprägt ist, kann das ein Problem sein. Wenn der Mensch hingegen von einem gnädigen, von einem liebenden Gott ausgeht, der ihn so nimmt, wie er ist, trägt ihn dieser Glaube im Sinne eines Resilienzfaktors. Das heißt nicht, dass der Mensch nicht auch in Abhängigkeitsgefahr geraten kann, aber es puffert in gewisser Weise ab.

Gibt es eine Verbindung zwischen dem Alter eines Menschen und seinem Gottesbild? Kann man sagen, dass je älter ein Mensch ist, desto häufiger hat er ein Gottesbild, das straft?

MARKUS STEFFENS: Aus meiner klinischen Erfahrung stimmt das häufiger so, wie Sie das beschreiben. Ältere Menschen bringen tendenziell eher diese Haltung mit. Wobei ich noch einmal differenziere, aus welcher christlichen Sozialisation dieser Mensch kommt.

Welche Rolle spielt die christliche Sozialisation?

MARKUS STEFFENS: Da sind zunächst die Kontakte innerhalb der Primär- oder auch Ursprungsfamilie. Welche Rolle spielte der christliche Glaube und in welcher Ausprägung? Die Erfahrungen in der Ursprungsfamilie wirken sich sehr häufig auf die Bindungsfähigkeit eines Menschen aus. Häufiger werden in christlichen Primärfamilien mit einem gelebten Glauben bindungsorientiert ähnliche Gottesbilder vermittelt. Das ist sicherlich ein wichtiger Aspekt in der christlichen Sozialisation. Aber auch die kirchliche Gemeinde und das soziale Umfeld, in dem ein Mensch groß geworden ist und in dem er wichtige entwicklungspsychologische Schritte durchlaufen hat, sind bedeutsam. Diese Erfahrungen des Christseins und des Glaubens durchläuft ein Mensch quasi parallel zu seiner individuellen Entwicklung. Diese Faktoren spielen für die christliche Sozialisation aus Sicht des Psychotherapeuten eine wichtige Rolle.

Sie hatten schon die heilsamen Aspekte der christlichen Botschaft angedeutet. Wie können diese für Suchtkranke oder Suchtgefährdete hilfreich sein?

MARKUS STEFFENS: Wir planen eine kleine Studie dazu, welche Bedeutung die Betroffenen der Religiosität hinsichtlich der Salutogenese beimessen. In der praktischen Tätigkeit in den Lebenssinngruppen oder in Einzelgesprächen werden die heilsamen Aspekte von Betroffenen immer wieder stark thematisiert. Aus der Resilienzforschung ist bekannt, dass es Faktoren gibt, die helfen, gesund zu bleiben und auch zu genesen. Die Wissenschaft unterscheidet grob drei große Säulen, soziale, familiäre oder personale Schutz- und Resilienzfaktoren. Bei den personalen Schutzfaktoren ist wissenschaftlich sehr gut gesichert, dass die Religiosität einen Schutzfaktor darstellen kann. Wenn man es in der Tiefe anschaut, spielt wiederum die Frage der Zentralität des Glaubens, der religiösen Motivation und der Ausprägung des Gottesbildes eine wichtige Rolle. Dieser personale Schutzfaktor Religiosität hat wiederum Auswirkungen auf die Frage, wie die eigene Lebenseinstellung ist oder die Selbstwirksamkeitserwartung. Religiosität kann auch eine Verbindung zu einem sozialen Schutzfaktor herstellen, im Sinne von positiven Kontakten mit anderen Menschen.

Ein Aspekt der christlichen Botschaft ist Vergebung. Soweit mir bekannt ist, weisen religiöse Menschen eine höhere Bereitschaft zur Vergebung auf. Können sie sich stärker dadurch selbst vergeben?

MARKUS STEFFENS: Ja, dem stimme ich zu. Wenn man sich als Mensch geliebt und getragen weiß, mit all seinen Fehlern, kann das eine Hilfe sein. Eine positive Spirale, die einen nach oben bringt. Aber es gibt auch die Variante, dass ein sehr starkes Schuldgefühl mit dem negativen Gottesbild verknüpft ist. Da fällt Vergebung, auch sich selbst gegenüber, sehr schwer.

Warum spielt bei Suchterkrankungen das Thema Schuld, Mitschuld, Mitverantwortung eine so große Rolle?

MARKUS STEFFENS: In den allermeisten Fällen kommt neben der Suchterkrankung tatsächlich häufig noch eine weitere psychische Beeinträchtigung hinzu. Entweder vorausgehend oder auch als Folge der Suchterkrankung. Die Begleiterkrankung ist sehr häufig eine Depression. Sie ist für manche auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Man tut den betroffenen Menschen dann zusätzlich unrecht, wenn man sie als Trinker oder Trinkerin abtut. Die Suchterkrankung ist eben nicht nur eine somatische Erkrankung, sondern immer auch eine mit psychischer Belastung. Das Schuldgefühl, das sich gegen das Selbst kehrt, spielt bei depressivem Erleben sehr häufig eine Rolle. Bei Menschen, die Religion eher als Leistungsanforderung empfinden, ist dieses Schuldthema häufig sehr zentral und kann ausgeprägter sein als bei einem Menschen, der den Vergebungsgedanken oder den liebenden, wertschätzenden Gedanken in sich trägt.

Im Protestantismus ist der Freiheitsaspekt sehr zentral. Kann es sein, dass dieser Freiheitsgedanke es den Suchtkranken noch schwerer macht, zu ihrer Krankheit zu stehen?

MARKUS STEFFENS: Das kann bei manchen Menschen sein. Der Kontrollverlust ist eines der sechs Kernkriterien, welche die Sucht kennzeichnen. Wenn ein religiöser Mensch sich sehr selbstkritisch sieht und sich fragt, warum er diese Freiheit verloren hat, quält ihn das besonders. Schließlich müsste er doch ein freier Christenmensch sein. Wenn jemand das allerdings eher im Sinne eines liebenden Zugangs annehmen kann, hilft ihm dieser Freiheitsgedanke, weil er einem suchterkrankten Menschen auch Hoffnung vermitteln kann. Die Hoffnung, es schaffen und in Freiheit leben zu können. Dieses Prinzip der Hoffnung, und im therapeutischen Kontext geht es um die stellvertretende Hoffnung, ist ein wichtiges Element, um diesen schweren Weg aus der Abhängigkeit zu gehen.

Was ist unter stellvertretender Hoffnung zu verstehen?

MARKUS STEFFENS: Bei einem Menschen mit einer Suchterkrankung ist es zu Beginn häufig so, dass er hoffnungslos ist und sich der Krankheit völlig ausgeliefert fühlt. Dann ist es im Rahmen der therapeutischen Gesprächsführung ein wichtiges Element, die Hoffnung zu vermitteln, dass er aus diesem Kreislauf kommen kann. Das gelingt nur, wenn der Therapeut seine fachlich berechtigte Hoffnung authentisch vermitteln kann. Viele Betroffene sagen später, genau dieser Punkt von professioneller Seite oder aus der Selbsthilfe sei für sie so wichtig gewesen. Denn sie hätten oftmals nicht mehr daran geglaubt.

Lässt sich diese vermittelte Hoffnung auch in Fallzahlen formulieren? Wieviel Prozent der Menschen schaffen es, ihre Sucht zu bekämpfen?

MARKUS STEFFENS: Da gibt es tatsächlich ein paar Zahlen. Wenn eine Sucht-erkrankung unbehandelt bleibt, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass es immer wieder zu langfristigen Rückfällen oder zu gravierenden bis zu tödlichen Folgen kommt, bei deutlich über zwei Drittel. Das ändert sich erheblich, wenn Behandlung stattfindet. Wobei es verschiedene Formen von Behandlungen gibt. Die Alkoholkrankheit zum Beispiel ist bei Männern die häufigste Hauptdiagnose. In vielen rein somatischen Kliniken wird eine Entgiftung vorgenommen, die über drei, vier, manchmal fünf Tage läuft. Doch ist die Rückfallquote dann noch sehr hoch. Im Rahmen des sogenannten qualifizierten Entzuges, wie beispielsweise in der Klinik Hohe Mark und in anderen Krankenhäusern, geht es nicht nur um die körperliche Entgiftung, sondern auch um psycho- und suchttherapeutische Angebote zu diesem frühen Zeitpunkt. Denn es braucht Zeit, um individuelle weiterführende Maßnahmen zu entwickeln. Das kann für den einen eine geeignete Selbsthilfegruppe sein, für den anderen die Vermittlung an eine Beratungsstelle. Wieder andere werden in eine ambulante, tagesklinische oder stationäre Rehabilitation vermittelt. In einem solchen Fall sind die Zahlen wesentlich besser.

Leben wir in einem Zeitalter der Sucht? Suchtmittel sind ja eigentlich seit  Jahrtausenden Bestandteile menschlicher Kultur. Trotzdem erscheinen die massenhaften Suchterkrankungen eher als ein Phänomen der Neuzeit.

MARKUS STEFFENS: Zum einen stimme ich Ihnen zu, dass es seit Menschengedenken auch Süchte gibt. Das belegen viele historische Berichte. Doch in Deutschland wurde die Sucht als Krankheit erst vor etwa fünfzig Jahren anerkannt. Aber der Konsum ist weiterhin noch sehr hoch, wie das Beispiel Alkohol im Hochkonsumland Deutschland zeigt. Etwas zehn Liter reinen Alkohols konsumiert jeder Einwohner ab 15 Jahren pro Jahr. Das ist auch im internationalen Vergleich sehr viel. Dazu gibt es bestimmte Substanzen, wie Cannabis, bei denen der Konsum steigt. Ein neues Phänomen sind Verhaltenssüchte wie die Computerspielsucht.

Ausgangsbeschränkungen, Homeoffice  und Zukunftssorgen. Leiden Suchtkranke in der Corona-Krise besonders unter der Situation? Welche Gefahren birgt sie?

MARKUS STEFFENS: Wissenschaftlich gesehen bin ich gespannt, was die Zahlen nach der Corona-Krise bringen. Aus der fachlichen Beobachtung ist es tatsächlich eine Risikosituation und zwar in mehrfacher Hinsicht. Strukturierende Angebote, die vielen Menschen mit einer Suchtabhängigkeit eine Hilfe sein können, in der Abstinenz zu bleiben, fallen durch die Kontaktsperren aktuell weg. Auch positive soziale Kontakte im emotionalen Sinne leiden. Natürlich kann sich die innere Spannung durch die Krise erhöhen. Wenn jemand Kurzarbeit macht oder gar seine Arbeit verliert, tauchen auch zusätzliche finanzielle Stressoren auf. Dazu kommt, dass die Versorgung im Gesundheitswesen jetzt sehr stark auf Covid-19-Patienten fokussiert ist. Krankenhausbetten müssen frei geräumt werden. Das bekommen Menschen mit Suchterkrankung zu spüren, wenn sie sich entschließen, eine Behandlung zu machen. Es gibt jetzt eine größere Hürde, überhaupt in Behandlung zu kommen.

Das Gespräch führte Kathrin Jütte am 17. April per Videokonferenz.

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Markus Steffens

Markus Steffens ist Sozialmediziner und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Seit zwei Jahren leitet er als  Chefarzt die Abteilung Allgemeine Psychiatrie, Psychotherapie, Sozialpsychiatrie und Suchtmedizin der Klinik Hohe Mark in Oberursel.

Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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