Wertschätzung durch das Internet

Warum das Online-Abendmahl keine Banalisierung eines Sakramentes darstellt
Symbolbild Online-Abendmahl
Foto: epd

Die United Church of Christ versteht sich als „open and affirming“, also als Kirche, die Menschen aus der LGBTQ-Community ausdrücklich willkommen heißt. Da es solche offene und willkommen heißende Gemeinden nicht in allen Regionen der USA gibt, gründete die UCC im Jahre 2013 eine Online-Gemeinde, um Menschen zu erreichen, die keine entsprechende UCC-Gemeinde in ihrer Wohnortnähe fanden. Die Planungen zum Start der Online-Gemeinde durfte ich begleiten, da ich im Rahmen einer Internship im National Office der UCC in Cleveland tätig war.

Ich erinnere mich gut an eine von mir vorbereitete Präsentation über Online-Gemeinden. Daraus ergab sich auch die Diskussion, ob es in einer Online-Gemeinde auch eine Abendmahlsfeier geben könnte. Während ich theologische Positionen referierte, neben der lutherischen Sicht auch die reformierte auch kongregationalistische, brachte die verantwortliche Pfarrerin für die neue UCC-Gemeinde die Diskussion mit einer Frage schnell zum Abschluss. Sie zitierte die Frage des Kämmerers aus Äthiopien an Philippus: „‘Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse? ‘ und fragte: was hindert uns, online Abendmahl zu feiern, wenn jemand es begehrt?“ (Apostelgeschichte 8,26-39)

Wenn sich Menschen online als Gemeinde Christi versammeln, dann kann natürlich auch in dieser Gemeinde – wie in jeder anderen Gemeinde auch – Abendmahl gefeiert werden. Anderenfalls wären diese online versammelten Menschen eben keine Gemeinde, sondern eine defizitäre Form christlicher Gemeinschaft. Wenn wir über Online-Abendmahl reden, ist das eigentliche Thema: Ist Online-Gemeinde wirklich Gemeinde? Für die UCC war so.

Diese Praxis der UCC-Online-Gemeinde stellte ein amerikanischer Kollege auch auf einer Akademie-Tagung in Loccum 2015 vor. Gemeindeglieder laden einander und Freunde zu sich nach Hause ein. Gemeinsam sitzt man am Tisch, verfolgt die Abendmahlsliturgie – geleitet durch einen Pfarrer oder eine Pfarrerin – online und nimmt dann Brot und Wein oder Traubensaft gemeinsam ein. Eine Gemeinde, die sich aus verschiedenen Hausgemeinden zusammensetzt – und übers Internet miteinander vernetzt ist. Hierbei ist es wichtig: Menschen sind miteinander in Gemeinschaft verbunden und feiern das Abendmahl zur selben Zeit.

Das Internet ist so ein Versammlungsort neben anderen. Besonders deutlich wird dies beispielsweise bei einer so genannten Campus Church, die auf ihrer Website neben verschiedenen Städten einfach „online“ als weiteren Ort angibt, wo sich Gemeinde trifft.

Seit mehr als zehn Jahren habe ich immer wieder Online-Andachten gefeiert. Einige sind mir besonders eindrücklich. Da man sich online schneller äußert, sind viele Online-Andachten persönlicher, weil Menschen ihre Gebetsanliegen miteinander teilen. Wenn man sich regelmäßig online zur Andacht trifft, kennt man sich untereinander. Im Credo wird die Gemeinschaft der Heiligen bekannt, die Ort und Zeit transzendiert. Wenn man online zum Gottesdienst versammelt ist, ohne physikalisch am selben Ort zu sein, ist das für mich persönlich nicht defizitär, sondern zeigt, dass die Gemeinschaft der Heiligen auch im Hier und Jetzt zumindest örtlich nicht gebunden ist. Ich erinnere mich besonders an einen Twitter-Gottesdienst, der auch live gestreamt wurde. Die vor Ort versammelte Gemeinde wurde in meiner Wahrnehmung eins mit der über Stream und Twitterfeed verbundenen Gemeinde. Im Nachgang war es mir nicht mehr möglich zu unterscheiden, was online und was vor Ort geschah. Der Twitter-Gottesdienst war für mich eine ganzheitliche geistliche Erfahrung.

Überhaupt ist die Unterteilung online/offline zumindest für Digital Natives keine Kategorie der Weltdeutung mehr, weil sie diese Unterscheidung in dieser Form so nicht mehr machen.

Am Gründonnerstag habe ich einen Abendmahlsgottesdienst via Videokonferenz gefeiert. Für mich war es das erste Mal, selbst am Abendmahl in einem Online-Gottesdienst teilzunehmen. Statt um den Altar zu stehen, habe ich in der Grid-Ansicht mit ihren unterschiedlichen und gleichzeitig zu sehenden Bildflächen  mitbekommen, wer digital um den Tisch des Herrn versammelt war. In meinem Erleben war es ein wirklicher Abendmahlsgottesdienst – wenn auch in anderer Form. Gerade weil ich körperlich in dieser Zeit der Corona-Pandemie nur sehr wenigen Menschen begegne und die meisten Interaktionen sich ins Digitale verlagern, war es für mich persönlich wichtig, dass Gott mir körperlich in Brot und Wein begegnete – und so war dieser Abendmahlsgottesdienst eben mehr als nur eine Videokonferenz.

„Die Digitalisierung der Gesellschaft führt dazu, dass durch digitale Räume neue Formen von Gemeinde entstehen. Nicht physische Nähe, sondern Kommunikation ist für sie wesentlich. Die evangelische Kirche respektiert und fördert diese neuen Gestalten von Gemeinde“, so heißt es in der Kundgebung der EKD-Synode 2014. Digitale Gemeinschaften ernst zu nehmen hieße aber auch, dass die Erfahrungen von Menschen in solchen digitalen Gemeinschaften als vollwertig anerkannt und nicht automatisch als defizitär charakterisiert würden. Nähme man also digitale Gemeinschaften wirklich für voll, dann würde sich die Frage gar nicht stellen, ob man auch online Abendmahl feiern kann!

Ich kann die jetzigen Diskussionen in der EKD zum Online-Abendmahl nur schwer nachvollziehen.  In Schweizer reformierten Fernsehgottesdiensten wird die Fernsehgemeinde zum Mitfeiern des Abendmahls eingeladen; in der UCC gibt es beispielsweise die Dinner Church mit Abendmahl. Dass es digitale Formen des Abendmahls auch gibt, verändert nicht die Praxis des Abendmahls in den Ortgemeinden. Was ich in der Diskussion vermisse: dass Menschen gefragt werden, wie sie ein digital gefeiertes Abendmahl erlebt haben und was es für sie bedeutet hat. Stattdessen wird dogmatisch postuliert und theologisch deduziert – so entfernt sich Theologie von der Realität der Menschen.

Was hindert uns, online Abendmahl zu feiern? Protestantischerseits kann es kein ontologisches Verständnis sein, dass Brot und Wein sich in ihrer Substanz wandeln. Daher spricht nichts dagegen, dass an einem Ort über Brot und Wein die Einsetzungsworte gesprochen werden und an anderen Orten Brot und Wein von der versammelten Gemeinde eingenommen werden. Was spricht dafür, in Zeiten der Corona-Pandemie online Abendmahl zu feiern? Gerade weil zurzeit sehr viele Interaktionen digital verlaufen, habe ich eine Sehnsucht auch nach körperlicher Begegnung – gerade auch im Abendmahl. Online Abendmahl zu feiern ist eine Wertschätzung des Abendmahls, und keine Banalisierung, wie es oft kritisiert wird.

Muss man online Abendmahl feiern? Nein. Aber was hindert uns daran?

Bisher auf www.zeitzeichen.net erschienene Texte zum Thema:

Volker Leppin: „In, mit und unter“ – Ein digitales Abendmahl widerspricht dem lutherischen Verständnis.

Hort Gorski: „Erinnerung an Leuenberg – Der Streit ums Abendmahl und ein grundlegendes theologisches Dokument

Matthias Friehe: „Abendmahl@home“ – Nur Mut, feiert das Abendmahl – ganz biblisch – zu Hause.

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