„Ich werde nicht mehr lange leben“

Vor 75 Jahren, zwei Wochen vor Kriegsende, wurde Klaus Bonhoeffer von den Nazis erschossen
Emmi Delbrück und Klaus Bonhoeffer als Verlobte 1930.
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Emmi Delbrück und Klaus Bonhoeffer als Verlobte 1930.

Die Erinnerung an den Jahrhunderttheologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer verdeckt oft, wie klug und mutig auch sein Bruder Klaus und dessen Frau Emmi gegen die NS-Diktatur kämpften. Klaus Bonhoeffer bezahlte diesen Kampf mit seinem Leben. Eine Erinnerung von Johann Hinrich Claussen, der Kulturbeauftragter der EKD ist.

Es ist gut, wenn das Gedenken an den Widerstand gegen die NS-Diktatur nicht aufhört. Manchmal bedarf es besonderer Anlässe wie eines 75. Jahrestages, um weiterhin mit lebendigem Interesse vollzogen zu werden. Es ist aber auch gut, wenn sich dieses Gedenken nicht auf wenige herausgehobene Personen beschränkt, sondern mit einem Sinn für historische Gerechtigkeit alle Beteiligten umfasst. Deshalb soll hier an Klaus Bonhoeffer – und damit auch an seine Frau Emmi Bonhoeffer – erinnert werden, der am 23. April 1945 – zwei Wochen nach seinem Bruder Dietrich – vom damaligen Unrechtsregime ermordet wurde. Als Bürger und als Christ hat er aus einem tiefen Bewusstsein für Recht und Gerechtigkeit gegen die Herrschaft der Menschenfeindlichkeit aufbegehrt. In einer Zeit, in der hochproblematische Gruppierungen sich als „bürgerlich“ und als Verteidiger des „christlichen Abendlandes“ präsentieren wollen, ist die Erinnerung an Klaus Bonhoeffer von bedrängender Aktualität.

Der 1901 geborene Klaus Bonhoeffer war Jurist. Nach seinem Studium arbeitete er zunächst als Rechtsanwalt in Berlin. Seit 1935 war er dort Syndikus, später Chefsyndikus der Deutschen Lufthansa. Sein Vater war ein bekannter Professor für Psychiatrie an der Charité. Dieser hielt ihn für das diffizilste, amüsanteste und klügste seiner acht Kinder. Klaus Bonhoeffer besaß musikalische Begabung, künstlerische Neigung, soziologisches Interesse und einen weiten Horizont, den er sich nicht zuletzt auf vielen Auslandsreisen erwarb.

Parteipolitisch war er nicht gebunden, hatte aber schon früh – auch unter dem Einfluss der Schriften Max Webers – ein waches politisches Urteilsvermögen entwickelt. Wie selbstverständlich war er von Beginn an ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus. Seine Opposition gründete in einem entschiedenen Sinn für Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit. Er war von einem elementaren – und professionell kundigen – Rechtsbewusstsein geleitet. Er fühlte sich seinem Gewissen verpflichtet. Was ihn am Nationalsozialismus sofort abgestoßen hatte, war dessen Mangel an einfacher Anständigkeit. Bonhoeffers Opposition hatte aber auch religiöse Wurzeln. Im Geist eines bürgerlich-liberalen Protestantismus erzogen, hatte er zu einer Christlichkeit gefunden, deren Sitz im Leben weniger die Kirche als die Familie war und die ein starkes Verantwortungsempfinden, besonders im Beruf, freisetzte.

Gegen die Verwüstung

Der Familien- und Freundeskreis – und nicht eine politische Bewegung oder Partei – bot den Rahmen seines Widerstands. Gemeinsam mit seinen Schwagern Hans von Dohnanyi, Justus Delbrück und Rüdiger Schleicher, mit dem Vetter seiner Ehefrau, Ernst von Harnack, sowie mit seinem Bruder Dietrich und Freunden wie Otto und Hans John versuchte er, ein Netzwerk aufzubauen, das Persönlichkeiten aus Militär, Wirtschaft, Arbeiterschaft und Kirche verknüpfte. Sein Hauptbestreben war es, führende Militärs für den Widerstand zu gewinnen. Daneben galt seine Sorge der gedanklichen Vorbereitung einer demokratisch-rechtsstaatlichen Nachkriegsordnung.

Emmi Bonhoeffer hat seine Motivation später so beschrieben: „Mein Mann vertrat die Ansicht, daß Hitlers größtes Verbrechen die Verwüstung der Rechtsbegriffe sei. Menschenrechte zu beugen, Willkür, firmiert als Staatsraison, an Stelle von Justiz zu setzen, hieß für ihn, das Fundament von Kultur aufreißen. Die Verzweiflung Klaus Bonhoeffers darüber, daß weder die Universitäten noch die Kirchen, weder die Großindustrie noch der Großgrundbesitz noch das Militär diese Katastrophe erkannten, sondern sich in den Sog der Zauberformel von der ‚nationalen Revolution‘ ziehen ließen, zehrte an ihm und an seinen Freunden. Da das Militär die einzige Potenz war, die nach dem Versagen aller anderen Gruppen noch etwas tun konnte, weil es den Zugang zu Hitler und die Waffen hatte, richtete sich alle Hoffnung auf das Militär. Aber weder 1934 nach der Ermordung Schleichers, seiner Frau und seiner Freunde noch im Februar 1938 nach der ‚Fritsch-Krise‘ noch im November 1938, als in ganz Deutschland die Synagogen brannten, noch als die Züge mit Tausenden und Tausenden von Juden in die Vernichtungslager rollten, geschah etwas. Ich glaube, daß die Erziehung der Söhne in den Familien, in denen der Widerstand aufkam, die Erziehung, schon auf dem Schulhof selbstverständlich den Schwachen vor dem Brutalen zu schützen, es ihnen später unmöglich machte, staatlich sanktioniertes Verbrechen mit anzusehen und sich aufs Abwarten zu verlegen. Nichts galt damals als schändlicher, als sich ‚unritterlich‘ verhalten zu haben; so nannte man das.“

Klaus Bonhoeffers unermüdliche konspirative Arbeit führte ihn zu Oberst Hans Osters Widerstandskreis in der von Admiral Wilhelm Canaris geleiteten militärischen Abwehr. Seit Anfang 1944 hatte er nähere Berührung mit den Verschwörern um Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Nachdem dessen Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 fehlgeschlagen war, setzte eine Verfolgungswelle ein, die auch ihn erfasste. Er wurde am 1. Oktober 1944 verhaftet. Am 7. Februar 1945 wurde Bonhoeffer gemeinsam mit Rüdiger Schleicher in einem Unrechtsprozess zum Tode verurteilt. Am folgenden Tag wurde der sogenannte Volksgerichtshof bombardiert und sein Präsident getötet. Die Akten wurden vernichtet. Darum kam es nicht zur sofortigen Vollstreckung des Urteils. Kurz keimte Hoffnung auf. Doch knapp vor Kriegsende, am 23. April, wurde Bonhoeffer zusammen mit Schleicher, John, Friedrich Justus Perels und Albrecht Haushofer von einem Rollkommando der SS aus dem Gefängnis in der Lehrter Straße abgeholt, in einem nahe gelegenen Trümmergelände erschossen. Mit anderen Opfern des Widerstandes und Opfern der letzten Kriegstage wurde er in einem Bombenkrater auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beerdigt. Diese Grabstätte dient heute zugleich als Erinnerungsstätte für Dietrich Bonhoeffer, Hans von Dohnanyi und Justus Delbrück. Das biblische Votum darauf lautet: „Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr.“

Ergreifende Abschiedsbriefe

Von Klaus Bonhoeffer sind ergreifende Abschiedsbriefe erhalten. So schrieb er an seine drei Kinder am Ostersonntag 1945: „Ich werde nicht mehr lange leben und will nun von Euch Abschied nehmen. Das wird mir sehr schwer; denn ich habe jeden von Euch so sehr lieb und Ihr habt mir nur immer Freude gemacht. Ich werde nun nicht mehr sehen, wie Ihr heranwachst und selbständige Menschen werdet. Ich bin aber ganz zuversichtlich, daß Ihr an Mamas Hand den rechten Weg geht und dann auch von Verwandten und Freunden Rat und Beistand finden werdet. Liebe Kinder, ich habe viel gesehen und noch mehr erlebt. Meine väterlichen Erfahrungen können Euch aber nicht mehr leiten. Ich möchte Euch deshalb noch Einiges sagen, was für Euer Leben wichtig ist, wenn Euch auch manches erst später aufgehen wird…

Ich trage an meiner rechten Hand den Ring, mit dem mich Mama glücklich gemacht hat. Es ist das Zeichen, daß ich ihr und auch Euch gehöre. Der Wappenring an meiner Linken mahnt an die Familie, der wir angehören, an die Vor- und Nachfahren. Er sagt: Höre die Stimme der Vergangenheit. Verliere dich nicht selbstherrlich an die flüchtige Gegenwart. Sei treu der guten Art deiner Familie und überliefere sie Kindern und Enkeln. Die Ehrfurcht vor der Vergangenheit und die Verantwortung gegenüber der Zukunft geben fürs Leben die rechte Haltung. Haltet stolz zu Eurer Familie, aus der solche Kräfte wachsen ... .

Hoffentlich lassen die Verhältnisse Euch die Ruhe und eine lange Zeit, einen jeden in seiner Art geistig auszuwachsen und noch viel zu lernen, damit Ihr einmal an dem unerschöpflichen Glück einer lebendigen Bildung teilhabt. Sucht aber nicht den Wert der Bildung in den höheren Leistungen, zu denen sie Euch befähigt, sondern darin, daß sie den Menschen adelt durch die innere Freiheit und Würde, die sie ihm verleiht. Sie weitet Euch den Horizont von Raum und Zeit. Die Berührung mit dem Edlen und Großen veredelt Anstand, Urteil und Gefühl und entzündet die nie erlöschende Begeisterung, die kein dürftiges Alltagsleben kennt ... .

Die Zeiten des Grauens, der Zerstörung und des Sterbens, in denen Ihr, liebe Kinder, aufwachst, führen den Menschen die Vergänglichkeit alles Irdischen vor Augen; denn alle Herrlichkeit des Menschen ist wie des Grases Blume. Unter diesem Erlebnis führen wir unser Leben im Bewußtsein seiner Vergänglichkeit. Hier beginnt aber alle Weisheit und Frömmigkeit, die sich vom Vergänglichen dem Ewigen zuwendet. Das ist der Segen dieser Zeit. Überlaßt Euch nun nicht allein den frommen Stimmungen, die solche Erschütterungen hervorrufen oder die in der Hast und Verwirrung dieser Welt aus einem Gefühl der Leere ab und zu hervorbrechen, sondern vertieft und festigt sie. Bleibt nicht im Halbdunkel, sondern ringt nach Klarheit, ohne das Zarte zu verletzen und das Unnahbare zu entweihen. Dringt in die Bibel ein und ergreift selbst von dieser Welt Besitz, in der nur gilt, was Ihr erfahren und Euch selbst in letzter Ehrlichkeit erworben habt. Dann wird Euer Leben gesegnet und glücklich sein. Lebt wohl! Gott schütze Euch! In treuer Liebe umarmt Euch Euer Papa.“

Literatur

Sigrid Grabner und Hendrik Röder (Hg.): Emmi Bonhoeffer – Essay, Gespräch, Erinnerung. Lukas Verlag, Berlin 2. Auflage 2004, 147 Seiten, Euro 16,90.

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Johann Hinrich Claussen

Johann Hinrich Claussen ist seit 2016 Kulturbeauftragter der EKD. Zuvor war er Propst und Hauptpastor in Hamburg.


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