Die Schwachen im Fokus

Unser Leben im niedrigschwelligen Katastrophenmodus
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Wenn die Corona-Krise die Sensibilität dafür erhöht, was es heißt, in einem möglicherweise dauerhaften Katastrophenszenario zu leben, dann kann die Bereitschaft wachsen, für eine entfernte Zukunft verantwortlich zu sein.

Je nach Geschmack: Nachhaltigkeit ist ein Wort des Jahres, des Jahrzehnts oder des Jahrhunderts. Einige wenige sprechen eher abfällig von einem Plastikwort oder einem Containerwort. Auf der Agenda stand es lange nahezu unangefochten primo loco. Diese Debatte tritt seit Wochen in den Hintergrund. Jetzt trägt ein anderer Begriff die Krone: Corona, ein zwiespältiges Wort für den Sachverhalt. Zumindest die öffentlich-rechtlichen Medien versuchen sich in Aufklärung, bemühen sich die hysterischen Spitzen abzuschneiden, ohne den Ernst der Situation zu verschweigen. Weniger seriöse Medien machen in Hysterie und Weltverschwörung. Ich kann mir die müde gesiegten Beispiele sparen.

Neu ist: Der zeitliche Rahmen der Katastrophe ist nicht abzusehen. Und ob die Wirtschaft schnell wieder anspringt, ist nicht selbstverständlich. Jüngst hat der Wissenschaftsjournalist und Astrophysiker Harald Lesch in einem ZDF Fernsehinterview darauf hingewiesen, dass die Klimaerwärmung die Abfolge von Gesundheitskatastrophen sehr wahrscheinlich beschleunigen werde! Ohne viel Alarmismus gesagt: Wir leben künftig im zumindest niedrigschwelligen Katastrophenmodus. Angst wird nachhaltig.

Lässt sich – noch unterwegs im Chaos – auch etwas Positives aus der Krise lernen? Ja. Die Alltags-Solidarität wird prächtig selbstverständlich gelebt. Und Staaten priorisieren den Schutz gefährdeter Personengruppen vor ökonomischen Interessen. Die Schwachen stehen im Fokus.

Aber auch auf theoretischem Terrain kann die akute Erfahrung der Krise sensibel machen für das zurücktretende Thema Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit kämpft in der Ethik immer mit einem Begründungsproblem. In der (traditionellen) Ethik geht es um Universalisierbarkeit, genauer: Ethisch geboten und gerecht ist, was wir gegenseitig voneinander fordern können. Genau hier liegt das Problem: Nachhaltigkeit sprengt den Modus der Reziprozität. Es fällt aus dem üblichen Rahmen eines Modells der Universalisierbarkeit heraus. Stefan Gosepath, der Berliner Philosoph, hat zurecht immer wieder betont, dass das Modell der Gerechtigkeit, also Tausch und Ausgleich, nicht für eine Zeitdimension entfernter Zukunft taugt. Der Utilitarismus etwa lässt in dieser Frage als Begründungsleistung allenfalls noch die eigenen Nachkommen gelten, eine von jeder egoistischen Motivlage entbundene Solidarität steht nicht im Blick. Religiöse Ethiken, die eine umfassende Vorstellung von Gleichheit als Geschöpflichkeit besitzen und Statusverzicht (Gerd Theißen) als Binnenmotivation kennen, sind hier markant im Vorteil.

Wenn die Corona-Krise die Sensibilität dafür erhöht, was es heißt, in einem möglicherweise dauerhaften Katastrophenszenario zu leben, dann kann die Bereitschaft wachsen, für eine entfernte Zukunft verantwortlich zu sein. Solidarität würde dann geleistet für eine ferne Zukunft, die von allen egoistischen Motiven befreit wäre. Nach uns die Sintflut? Eben nicht. Das wäre eine „Krönung“ menschlicher Verantwortlichkeit Das wäre eine „Krönung“ menschlicher Verantwortlichkeit.

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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