Wunderbares Generationenprojekt

Das Kinderprogramm der Komischen Oper Berlin
Theaterscheinwerfer
Foto: Rainer Sturm / pixelio.de

Ich gehe mit meinem Enkel Felix, sechs Jahre alt, in eine Aufführung der Komischen Oper Berlin. Gegeben wird „Schneewittchen und die 77 Zwerge“, eine neue Oper, extra für Kinder komponiert und inszeniert, und zwar im Rahmen des ab 2004 entwickelten Musiktheaterprogramms „Komische Oper Jung!“. Es ist eine Schüleraufführung, und die Lautstärke von fast eintausend aufgeregten Schülern und Schülerinnen, die sich vor Beginn lebhaft unterhalten, erreicht gehörschädigende Ausmaße. Dann aber, als sich der Vorhang hebt und das  Orchester zu spielen beginnt - Mucksmäuschenstille.

Auch Felix auf meinem Schoß, sonst eher unruhig, ist ganz bei der Sache und rührt sich zwei Stunden lang kein bisschen. Die Geschichte ist bekannt, wird aber der Erfahrungswelt eines heutigen Publikums angenähert, ohne sich anzubiedern. Die Königin-Stiefmutter wird mit ihrem absurden Schönheitswahn vorgeführt, Schneewittchen hingegen tritt als selbstbewusste junge Teenagerin auf. Sie hat es satt, immer nur Schönschreiben zu üben, sie sehnt sich nach der Welt da draußen, nach Abenteuern und neuen Freunden. Zum Glück findet sie in einem etwas zu groß gewachsenen Kaninchen namens Richard III, einen lustigen tolpatschigen Begleiter. Richard III übernimmt auch die Kommunikation mit dem Publikum und animiert es zur Teilhabe an dem Geschehen.

Als schließlich der Prinz Gutefried Gartenfried zu Schneckentrost Schneewittchen von seinem scheinbar tödlichen Apfelbiss „Princess“ erweckt, beschließen die beiden zusammen mit dem Kaninchen einen Zirkus Wunderbar zu gründen. Happy End und tosender Beifall. Die Musik der Komponistin Elena Chats-Chernin vereint unterschiedliche Stilelemente – Zirkusmusik für das Kaninchen, lyrische Arien für Schneewittchen, musicalartige Tanznummern für den Prinzen; die Instrumentierung ist unkonventionell mit viel Schlagzeug, Akkordeon, Alt-Saxophon, Vibraphon. Die Inszenierung von Christian von der Götz arbeitet mit bunten Kostümen und kräftigen Farben.

Felix ist begeistert. Mit roten Wangen und erhitztem Kopf sprechen wir auf dem Nachhauseweg von der Kinderoper. Die böse Königin sei mit ihren Kostümen doch am schönsten gewesen, erklärt Felix überraschend. Ein halbes Jahr später sind wir in Ravels anspruchsvoller Kurzoper „Das Kind und der Zauberspuk“  L’enfant et les sortileges), zu Weihnachten im „Zauberer von Oz“. Demnächst gehen wir in „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“...

Die Komische Oper hat sich mit ihrem verdienstvollen Musiktheater für junge Leute auf eine erfolgreiche Suche nach kindgerechten Opern begeben und damit fast nebenbei ein neues Genre erschaffen. Es geht dabei nicht primär darum, sich das Publikum von morgen zu erziehen, sondern um ein besonderes Publikum im Hier und Jetzt. In dem breiten Spektrum von medialen Angeboten für die Kinder von heute geht es bei einer „Oper Jung“-Aufführung darum, den punktuellen Moment zu finden, der die Aufführung zu einem unverwechselbaren emotionalen Erlebnis macht. Wenn das gelingt, wollen die Kinder auch wieder hingehen. Und die Eltern und Großeltern wollen natürlich mit. Denn für sie ist eine Aufführung von „Peter Pan“, „Die rote Zora“, „Ali Baba und die 40 Räuber“, „Die Bremer Stadtmusikanten“ natürlich auch etwas lebensgeschichtlich Bedeutsames. Man erinnert sich an erste Lektüren in der eigenen Kindheit und Erlebnisse mit den Kindern. Mir geht es jedenfalls so.

Und schließlich: Neben den großen Häusern, die mit ihrem theatralischen Apparat wie in den Erwachsenenopern auch in den Kinderopern etwas Überwältigendes haben, sollte man die kleineren Häuser und Formate nicht vergessen, die für Kinder mehr Partizipationsmöglichkeiten bieten! 

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Foto: privat

Hans-Jürgen Benedict

Hans-Jürgen Benedict war bis 2006 Professor für diakonische Theologie an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie des Rauhen Hauses in Hamburg. Seit seiner Emeritierung ist er besonders aktiv im Bereich  der Literaturtheologie.


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