Durchblick

Vom Glauben und Wissen

Der Philosoph Jürgen Habermas zeichnet in diesem umfangreichen Buch die Geschichte der Philosophie nicht einfach nach, sondern er denkt ihr nach aus der Perspektive des Beteiligten und möchte die Überlieferung für den Diskurs in der Gegenwart fruchtbar machen.

So will er auf den Weg der Philosophie zurückfinden, auf dem die Philosophen nicht allein den naturwissenschaftlich gesicherten Pfaden folgen oder es sich auf den Allgemeinplätzen der Lebensberatung bequem machen. Vielmehr will er auf dem risikoreichen, aber gleichwohl auch nicht aussichtslosen Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit unterwegs bleiben.

Damit gibt der inzwischen 90-jährige Habermas der Philosophie den Charakter eines geschichtlichen, auf ein Projekt hin angelegten Unternehmens zurück. Die hermeneutischen Leitlinien Glauben und Wissen erweisen im Gang dieser Darstellung gerade auf den Konfliktlinien zwischen sakraler Macht und politischer Gewalt ihre Plausibilität. Habermas greift zurück auf Karl Jaspers Annahme einer „Achsenzeit“, in der in den Jahrhunderten 800 bis 200 vor Christus in den Hochkulturen Chinas, Irans, Palästinas und Griechenlands unabhängig voneinander ein Rationalisierungsschub das Verstehen von Welt und Leben so systematisiert hat, dass an ein überlegenes Jenseits geglaubt und von einem abhängigen Diesseits gewusst werden konnte.

Auf dieser den eurasischen Großkulturen gemeinsamen geschichtlichen Spur schlägt Habermas dann den Weg in die ihm vertraute abendländische Philosophie ein und fragt nach der okzidentalen Entwicklung von Glauben und Wissen.

Mit seiner Darstellung gibt der Philosoph indes keinen fragwürdigen Überblick, sondern kreiert einen Durchblick durch zunehmend konkurrierende Bereiche von Glauben und Wissen. So befördert er beim Leser den Sinn für das ursprüngliche Miteinander und konsequente historische Auseinander von Philosophie und Theologie.

Mit der Reformation und Luthers Absage an die geschichtlich wachsende Konkurrenz zwischen Glauben und Wissen wie auch an den damit stets verbundenen Machtkampf zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt zog sich der Glaube ganz in die vom Weltwissen uneinholbare und intelligible Sphäre zurück. Von dort deutet der Glaubende fortan das Wissen von der Welt und erhofft das Heil nur noch von deren Überwindung. Mit der Reformation hat sich der Glaube vom Weltwissen gelöst und damit zugleich das Wissenwollen für die vernünftige Erschließung der Welt freigesetzt. Somit konnte die Reformation der Philosophie zu einer eigenständigen Wissenschaft verhelfen, zugleich leitete sie aber den akademischen Prozess ein, in dem die Theologie ihre privilegierte Stellung verloren geben musste. Schon die Philosophie Kants nahm sich die Freiheit, an die Stelle des aus der Immanenz befreiten gläubigen Menschen das transzendentale Subjekt zu „setzen“, das sich im kritischen Gebrauch der theoretischen und praktischen Vernunft die Welt erschließt.

Doch konnte sich diese isolierte Subjektphilosophie gegenüber ihrer faktischen Abhängigkeit von der Geschichte nicht behaupten. Der Philosoph Hegel holte deswegen mit dem Begriffspaar Subjektiver und Objektiver Geist den erkennenden und handelnden Menschen in dessen geschichtliche objektive Bedingtheit zurück.

Allerdings lag ihm daran, die Geschichte ganz im Sinne des preußischen Staates schon von einer behaupteten Vollendung her zu denken und der Subjektivität den Spielraum sehr einzuschränken.

Mit den lebenspraktischen und kulturellen Leistungen ihrer Vernunft in der Zeit der wirtschaftlichen Expansion wie des wissenschaftlichen und des technischen Fortschritts haben sich dann aber die zu Bürgern avancierten Individuen die subjektive Freiheit wieder zurückgeholt. Philosophen nach Hegel legten dafür das soziale Potenzial der Vernunft frei, indem sie deren ursprünglich sprachliche Verfassung methodisierten. So erschlossen sie die Befähigung des Menschen zur wechselseitigen Perspektivenübernahme und beförderten damit das Differenzbewusstsein.

Doch es bleibt bis heute und ist gerade heute die Frage, ob der als vernünftig erkannte Grundsatz der Gleichheit der Menschen wirklich als Rechtsgleichheit Verschiedener gilt und ob sich im Dialog zwischen Individuen und Gemeinschaften der zwanglose Zwang des besseren Arguments durchsetzt. Für das Verhältnis von Glauben und Wissen stellt sich die Frage, ob sich beide als subjektive Leistungen in ihrer grundsätzlichen Verschiedenheit auf ihren angestammten Feldern der gemeindlichen rituellen Vergewisserung und der gesellschaftlichen Interaktion wahrnehmen können. Diese Frage scheint so dringlich, weil die Geschichte immer wieder gezeigt hat, wie leicht das Wissen vom Glauben kolonisiert wird und umgekehrt. Glauben und Wissen können sich nicht gegenseitig überbieten oder gar ersetzen wollen Sie sollten aber kommunizieren in performativen Akten, die ihre Wahrheit nur durch sich selbst sagen können und stets der Übersetzung bedürfen.

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