„Auf dem Pfad des Glaubens“

Ein Gespräch mit dem Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege über die Motive seiner Arbeit
Foto: epd/ Thomas Lohnes
Foto: epd/ Thomas Lohnes
Der Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege ist Gynäkologe, Menschenrechtsaktivist, Gründer und leitender Chirurg des Panzi-Hospitals im kongolesischen Bukavu.

zeitzeichen: Herr Dr. Mukwege, wie halten Sie Ihre sehr harte Arbeit der Operation misshandelter Frauen psychisch aus?

DENIS MUKWEGE: Das ist psychisch sehr schwierig. Der größte psychische Schock, den ich bekommen habe, war der, als ich zum ersten Mal ein Baby von 18 Monaten operiert habe. Ich habe danach mehrere Tage nicht geschlafen. Es war traumatisierend. Aber es gibt zwei große Hilfen bei meiner Arbeit: Zum einen mein christlicher Glaube. Immer, wenn ich vor so einer Schwierigkeit stehe, habe ich das Gefühl, auf dem Pfad des Glaubens zu sein. Mit der Arbeit, die ich tue, gebe ich an andere auch den Glauben. Das Zweite, das mir hilft, ist der Mut der Frauen. Jedes Mal, wenn ich diese Frauen sehe, geben sie mir die Kraft, ihre Kinder, ihre Familie und ihre Gemeinschaft zu lieben. Da merke ich, wie klein ich bin und dass ich keine andere Wahl habe, als den Kampf in meiner Klinik weiter zu führen.

Müssen Sie sich bei Operationen ein wenig emotional distanzieren, damit Sie noch gut arbeiten können?

DENIS MUKWEGE: Am Anfang war das sehr schwierig. Ich war anfangs sehr bewegt durch meine Gefühle, weshalb es meine Fähigkeiten verringerte, die misshandelten Frauen zu operieren. Heute mache ich meine Arbeit weiter, aber die emotionalen Probleme der Frauen werden nun von Psychologinnen und Psychologen behandelt, die sich um die Frauen kümmern.

Haben Sie Zeiten der Stille oder Meditation, um wieder arbeiten zu können?

DENIS MUKWEGE: In der Klinik fangen wir als gesamtes Personal die Arbeit jeden Morgen mit einer Meditation oder einem Gebet an – und die Patientinnen sind dabei. Das ist eine Kraft, die uns hilft. Es ist eine Macht, durch die wir, wenn wir vor Schwierigkeiten stehen, mit Gott weiter machen können. Für mich selbst habe ich oft eine Zeit um fünf Uhr früh, in der ich mir Zeit nehme für eine Meditation. Das hilft mir sehr, sich in mich zu versenken, vielleicht auch den Kontakt zu Gott zu suchen, meine innere Kraft zu finden.

Der Glaube ist sehr wichtig für Sie. Aber kommt Ihnen trotzdem manchmal die Frage: Wie kann der Gott der Liebe so ein Leid, gerade bei Kindern, zulassen?

DENIS MUKWEGE: Ich glaube eines: Gott hat uns alle erschaffen als Kinder ohne einen Drang zum Bösen. Der Mensch ist grundsätzlich gut. Aber Gott hat uns auch die Freiheit der Wahl gegeben. Und wenn der Mensch eine schlechte Wahl trifft, war es nicht Gott, der diese falsche Wahl getroffen hat. Es ist die Wahl des Menschen.

Massenvergewaltigungen sind eine Kriegswaffe, wie Sie schon erläutert haben. Gibt es dahinter auch das Problem einer fehlenden Gleichberechtigung der Frau im Kongo?

DENIS MUKWEGE: Die Massenvergewaltigungen im Kongo werden als Kriegsmittel eingesetzt. Es geht vor allem um die Zerstörung des anderen. Man erreicht diese Zerstörung des anderen leichter, wenn man alle Symbole zerstört. Als der Krieg im Kongo begann, wurden Bischöfe und Priester getötet sowie die Nonnen in ihren Konventen vergewaltigt. Es war ein Weg, die christlichen Symbole zu zerstören. Eine Frau zu zerstören bedeutet auch, ein soziales Symbol zu zerstören. In einer patriarchalen Gesellschaft haben die Männer immer den Eindruck, sie seien die Beschützer, die Mächtigen – und die Frauen seien unter ihrem Schutz. Aber wenn die Frau vergewaltigt wird und der Mann nicht reagieren kann, fühlt sich der Mann völlig erniedrigt und unfähig, seine vorherige Stärke wieder zu erlangen. Es zerstört das Gleichgewicht in der Gesellschaft.

Was können die Kirchen hier in Europa für die Opfer der Kämpfe im Kongo tun?

DENIS MUKWEGE: Wir arbeiten unter anderem mit der Evangelischen Kirche von Westfalen und Brot für die Welt zusammen. Das sind Hilfen, die uns erlauben, Frauen zu helfen, die nicht mehr arbeiten können aufgrund der Traumata, die sie erlitten haben. Aber daneben können die Kirchen eine sehr wichtige, eine prophetische Rolle spielen vor allem dadurch, dass sie die Bevölkerung und den Staat informieren. Wenn die Kirchen nicht wirken als Licht der Welt und Salz der Erde, weiß ich nicht, wer es sonst tun wird.

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