Yes! Yes! Yes! Alles Schmid!

Mut zum jungen Alterswerk
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Wir systematischen Theologen, die wir uns gerne als Theorieminister verstehen und dann prompt schlecht gelüftete Texte produzieren, haben während des gesamten Arbeitslebens Angst, beim Vokabeltest durchzufallen: Beim Vokabeltest zu Heidegger, Foucault, Levinas, Derrida, Luhmann (die Liste ließe sich beliebig verlängern), deshalb verschieben wir den großen Wurf auf 70plus und maskieren frühe Versuche als Handbücher. Auch im Alten Testament „ist die Theologie des Alten Testaments (…) traditionell ein Alterswerk“, so der süffisante Einstieg von Konrad Schmid, der, aufregend jung, mit schlanken 53 die Traute besitzt, gegen den Trend zu publizieren. Es ist ein großes Buch geworden, bücherschlau und lesekundig.

Ich will wenige Kernsätze zitieren. „Würde Luther an einer modernen theologischen Fakultät lehren, wäre er von seinem Profil her am ehesten der alttestamentlichen Wissenschaft zuzuweisen.“ Das ist feinstes Florett. Besser kann man nicht alle Versuche parieren, die das Alte Testament downgraden wollen auf die Stufe von apokryphen Texten.

Oder: Das Alte Testament ist „das Zeugnis einer literarischen Religion, die so nie gelebt worden ist, aber eine ungemein starke Wirkungsgeschichte aus sich herausgesetzt hat.“ Allenfalls lässt sich im Alten Testament von impliziter Theologie reden: „Das AT ist (…) auf weite Strecken hin als reflektierende Interpretation vorgegebener religiöser Texte anzusehen.“ Die Explikation der impliziten Theologie kann „auch funktional auf die Imagination der Leserschaft übertragen“ werden. Mit einem durch Gerhard von Rad in die alttestamentliche Wissenschaft eingeführten Begriff der Stereometrie charakterisiert Schmid die Inszenierungskunst biblischer Poeten: „Man kann dieses Evozieren von Sinndimensionen stereometrisches Lesen nennen: Interpretationen werden nicht textlich expliziert, sondern entstehen im Rezeptionsprozess der Leserschaft. In theologischer Hinsicht ist diese Eigenart biblischer Texte von entscheidender Bedeutung. Sie zeigen, dass bestimmte Sinnperspektiven eines Textes angemessen nur so dargestellt werden können, dass man über sie schweigt, gleichzeitig aber der Leseprozess dazu drängt, bestimmte Synthetisierungsleistungen selbst vorzunehmen, die aber nicht auf einen bestimmten textlich identifizierbaren Sinn hin vereindeutigbar sind.“ Die Beispiele darf man sich 50ff. erlesen, bitteschön.

Nur en passant eingespielt, aber großartig: „Von großer Bedeutung im Hinblick auf heutige ethische Fragen ist die Bibel (…) in Bezug auf das Verständnis der historischen Genese von Problemlagen.“ Präventivethische theologische Ethiken wenden präzise diese Einsicht an.

Überhaupt: Die auf knapp 200 Seiten ausgeführten Themen alttestamentlicher Theologie sind in ihrer Prägnanz einzigartig. Eine Lustlektüre ist die theologische Exegese zu Gen 1-9.

Bei mir hat das Buch eine unbremsbare Lektüre ausgelöst. Und, wie schön, man kann es käuflich erwerben: Konrad Schmid: Theologie des Alten Testaments, Tübingen 2019, 39€. Yes! Yes! Yes! Alles Schmid.

Ich weiß: Die Regale sind überfüllt, aber man könnte doch ein paar Bücher bei ReBuy oder Momox verkaufen, die man nicht mehr benötigt, ein paar Bücher von Luhmann zum Beispiel. Und man könnte auch die Traute von Schmid kopieren und einen Primärtext produzieren und nicht auf ein eigenes Alterswerk schielen. Oh yes, please.

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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