Tropfen auf den heißen Torf

Wie Freiwillige die riesigen Brände in Russland bekämpfen
Fotos: Fabian Weiss
Fotos: Fabian Weiss

Jedes Jahr wüten in Russland Wald- und Torfbrände auf mehreren Millionen Hektar. Der Staat tut kaum etwas dagegen und spielt die Ausmaße dieser ökologischen Katastrophe herunter. Doch einige Freiwillige stellen sich den Feuern entgegen. Und der Ignoranz, die sie entfacht.

Yura Kostenko, 22 Jahre alt, stämmige Statur und Baseballkappe auf dem Kopf, sitzt in einem Kleinbus auf dem Gepäck im Gang und rappt die laut aufgedrehten Songs aus den russischen Charts mit. Die Sitze hat er den anderen überlassen, Ehrensache. Drei Stunden nachdem er in einer orthodoxen Kirche noch rasch um Gottes Segen für den Einsatz gebeten hat, erreicht die Truppe ein Birkenwäldchen. Der Bus schaukelt über den Feldweg, dann wird er langsamer. Yura richtet sich auf, zeigt aus dem Fenster: „Dort, ein Torffeuer!“ Draußen zwischen den Stämmen zieht dichter Rauch über den Boden. Vor Sowjetzeiten waren hier, nahe Selenginsk in der sibirischen Region Transbaikalien, große Moorgebiete – bis die Menschen sie für Landwirtschaft und Torfabbau trockenlegten und den Feuern damit Nahrung gaben.

Ritual im Schulungscamp am Baikalsee.
Foto: Fabian Weiss
 

Yura und seine Mitstreiter steigen aus und stapfen in einen Gespensterwald. Oben wirken die Birken noch grün und lebendig, unten ist die weiße Rinde schon schwarz verkohlt. Einige Bäume sind umgekippt, die Wurzeln zu Stumpen verkohlt. „Ich könnte heulen, wenn ich das sehe“, sagt Yura. Der toxische Rauch beißt in Augen und Lunge. Er zündet sich erstmal eine Zigarette an. Die Freiwilligen in den oliv-orangen Uniformen schaffen benzinbetriebene Wasserpumpen aus dem Bus, rollen Feuerwehrschläuche aus und verteilen ein Dutzend Schaufeln. Sie treiben Thermometerstangen in den Boden und messen die Temperaturen, um die unterirdischen Ränder des bis zu fünfhundert Grad heißen Sumpfes zu finden. Dann beginnt der Kampf.
In Russland gehen jedes Jahr Millionen Hektar Wald und ausgetrocknete Moore in Flammen auf. Mit dem Klimawandel nehmen die Feuer zu – und Torfbrände sind dabei ein besonderes Problem. Sie können im Vergleich zu einem Waldbrand das Tausendfache an Rauch entwickeln, auch weil sie oft monatelang andauern, selbst bei starkem Regen. Die Torfschichten sind über Jahrmillionen aus abgestorbenen Pflanzen entstanden. Verbrennen sie, entweichen besonders große Mengen des Treibhausgases CO2. Zudem bleibt der Rauch nah am Boden und verbreitet sich hunderte Kilometer weit. Als 2010 die Moore um Moskau brannten, verschwand die Stadt wochenlang im Smog. Die Sterberate in der Hauptstadt verdoppelte sich schlagartig.

Im Schulungscamp am Baikalsee.
Foto: Fabian Weiss
 

Wenn nicht gerade die Hauptstadt betroffen ist, werden die Feuer von Behörden und Medien meist ignoriert oder heruntergespielt. Deshalb organisieren sich immer mehr Menschen aus der Bevölkerung und bilden eigene Löschtrupps. So wie Yuras Gruppe: Die Freiwilligen Feuerbekämpfer Transbaikal. Ihr Revier ist die Region östlich des Baikalsees. Eine Woche vor ihrem Einsatz am Torffeuer stehen die Vorboten einer neuen russischen Zivilgesellschaft am Sandstrand des Baikalsees und eröffnen ein Trainingscamp. Andrey Borodin, der schlaksige Gründer der Freiwilligen Feuerbekämpfer Transbaikal, tritt ans Wasser. Er demonstriert das Ritual seiner indigenen burjatischen Ahnen, das die Geister dieses Ortes gnädig stimmen soll: eine Tasse mit Milch, den Ringfinger der linken Hand hinein tunken, dann ein Tropfen in jede Himmelsrichtung. Den Rest – den ganzen! – in Richtung Sonne leeren, dabei nur positive Gedanken. Yura und die anderen tun es ihm gleich. Sie gehören zu der Generation, in die Andrey, 42 Jahre alt, seine Hoffnung setzt.

Ausbilderin Ekatarina Grudina im Schulungscamp am Baikalsee.
Foto: Fabian Weiss
 

Es sind gut drei Dutzend Leute, Umweltschützer, Studierende und Freiwillige aus anderen Regionen, die meisten nicht einmal Mitte zwanzig. Sie alle hatten ihren eigenen, ganz persönlichen Weckruf, ein Ereignis, nach dem sie nicht mehr wegschauen wollten. „Ich habe vor zwei Jahren verstanden, dass wir uns nicht nur auf den Staat verlassen können“, sagt Andrey. Damals brannte in Russland eine Fläche von rund 85 000 Quadratkilometern ab, was in etwa dem Staatsgebiet Österreichs entspricht. In seiner Heimatstadt Ulan Ude, berühmt für die größte Leninbüste der Welt, wo der Rauch von Frühling bis Herbst zur Wettervorhersage gehört wie Sonne oder Regen, konnte er nicht mal mehr bis zur anderen Straßenseite sehen. Sechs Wochen Smog.Die Wald- und Torfbrände befördern die Versteppung der Taiga, bedrohen die Artenvielfalt der Tier- und Pflanzenwelt und belasten die Gewässer durch den Ascheregen. Ein vermeidbares Übel – denn für neun von zehn dieser Feuer sind Menschen verantwortlich. Sie setzen nach alter Sitte Grasland in Flammen, um den Boden fruchtbarer zu machen. Sie verbrennen ihren Müll, weil es keine geregelte Abfallversorgung gibt. Sie legen Feuer in Waldstücken, um einem größeren Brand vorzubeugen oder die verkohlten Bäume gegen eine niedrige Gebühr fällen zu dürfen. Sie verlieren oft die Kontrolle. Im Kampf gegen die Feuer ist Bildung deshalb wichtiger als Wasser.

Im Schulungscamp am Baikalsee.
Foto: Fabian Weiss
 

Andrey Borodin hat die feinen Glieder und die geschliffene Sprache eines Mannes, der es gewohnt ist, die Welt um sich herum durch das richtige Netzwerk zu verändern. Er war PR-Mann bei einer Telefonfirma, Chef des städtischen Tourismusbüros und hat in einem Hotel die ersten Raves organisiert, als im postsowjetischen Ulan Ude noch nicht viel los war. Heute ist er hauptberuflich mit der Entwicklung Burjatiens betraut, einer Republik der russischen Föderation. „Ich habe mich der Feuer angenommen, weil ich die einflussreichen Leute der Gegend gut kenne“, sagt er. Nach den zerstörerischen Bränden 2016 fand er schnell Gleichgesinnte. Sie gingen in Schulen, Dörfer und Universitäten, um mit den Menschen über das Feuer zu sprechen. Wie man es vermeidet. Wie man es löschen kann. Sie waren zu fünft – heute haben sie 150 Mitglieder. Und das soll erst der Anfang sein.

Im Schulungscamp am Baikalsee.
Foto: Fabian Weiss
 

Einer der Mitglieder ist Yura Kostenko, der Rapper mit der Baseballkappe. Er bewegt sich gelassen durch den Pinien-wald, in dem die Trainingsgruppe ihre Zelte aufgeschlagen hat. Neben Rapmusik liebt Yura den lieben Gott und seine Heimat – obwohl er findet, dass die russische Politik sich nicht um die einfachen Leute schert. Um Leute wie ihn. Sonst hätte er doch längst einen bezahlten Job bekommen und die Chance, das zu tun, was er unbedingt will: helfen, retten, löschen.

Waldschutz gelockert

An professionellen Feuerbekämpfern fehlt es den staatlichen Stellen ebenso wie an Ausrüstung und Benzin für die Einsätze. Vielleicht fehlt es auch an Motivation: Die Regierung Wladimir Putins hat den Schutz russischer Wälder zu wirtschaftlichen Zwecken gelockert und die Waldaufsicht auf die unvorbereiteten Regionalverwaltungen übertragen. In den ohnehin unterbesetzten Forstbehörden, die für die Brandbekämpfung in den Wäldern zuständig sind, wurden auf einen Schlag siebzigtausend Stellen gestrichen. Nur die Feuer wurden nicht weniger.

Torfbrand in Seleginsk (Russland).
Foto: Fabian Weiss
 

Sieben Tage lang lernen die Freiwilligen in dem Camp am See, wie sich Feuer ausbreiten, wie sie Geld für Löschaktionen über Fundraising-Plattformen im Internet sammeln können und wie sie am besten mit der Presse umgehen. Dafür sorgt auch Ekatarina Grudinina. Die 36-Jährige hat das Camp schon Tage vor der Eröffnung mit aufgebaut, und sie hat geholfen, es zu leiten. Mittlerweile koordiniert sie für Greenpeace die freiwillige Feuerbekämpfung in Transbaikalien – und arbeitet in Andrey Borodins Truppe. Am Abend des letzten Camp-Tages trommelt sie eine Gruppe zusammen, die mit ihr am nächsten Tag noch in Richtung ihrer Heimatstadt Selenginsk aufbrechen soll, um dort ein Torffeuer zu löschen. „Smoketown“, raunt Yura, der natürlich dabei ist, wie immer.

Löscheinsatz in Seleginsk mit Ausbilderin Ekatarina Grudina.
Foto: Fabian Weiss
 

Tags darauf biegt Ekatarina zehn Kilometer von Selenginsk entfernt mit ihrem Lada von der Landstraße in einen Waldweg ein. Der Bus mit der lauten Rapmusik, in dem Yura auf dem Gepäck sitzt, folgt ihr. Als sie den Rauch in dem Birkenwäldchen sieht, hält sie an und steigt aus. Sie sieht Yura und die anderen in den Wald stapfen, der Rauch beißt in der Lunge. Bis zu tausend Liter Wasser braucht es, um einen Quadratmeter Torffeuer zu löschen. Es hilft aber nicht, das Wasser einfach auf die Oberfläche zu spritzen. Du musst den Boden umrühren wie ein Frühstücksporridge, sagen sie, mindestens einen Meter tief, bis auch der letzte Klumpen in der Brühe verschwunden ist. Ekatarina hat auf der anderen Seite des Kanals längst weitere Brandherde entdeckt. Sie sind größer, und es sind viele. „Wir haben Leute, die sie löschen würden“, sagt sie. „Aber wir haben kein Geld mehr.“ Nach dem Feuerjahr 2016 bekamen die Freiwilligen 1,5 Millionen Rubel von der Regierung Burjatiens, umgerechnet etwa 19 000 Euro. Es wurde für Ausrüstung, Mietbusse, Benzin und Verpflegung ausgegeben.

Yura Kostenko, Mitglied der Freiwilligen Feuerbekämpfer Transbaikal.
Foto: Fabian Weiss
 

Das Verhältnis der Behörden zu den Freiwilligen ist gespalten. Wie politisch sind ihre Anliegen? Was ist die Agenda derer, die es wagen, den Staat zu kritisieren? Mit einem neuen Gesetz wollen sie die Gruppen dazu bringen, sich zu registrieren. Sie bekämen dann feste Gebiete zugewiesen, es winken Krankenversicherungen und finanzielle Unterstützung. Dafür müssten sie sich mit den Behörden abstimmen, Berichte schreiben, Rechenschaft ablegen. Die Freiwilligen sind skeptisch: Sind wir dann nur noch kostengünstige Handlanger eines Staates, der es versäumt hat, genügend professionelles Personal auszubilden? Die Freiwilligen Feuerbekämpfer treiben ihre Spaten und Schaufeln in den Boden. Das Wasser aus einem nahegelegenen Kanal schießt aus den Schläuchen, mit einem lauten Zischen steigen Dampfschwaden auf. Bald stehen sie bis zu den Schienbeinen im Matsch. Nach fünf Stunden haben zwei Dutzend Menschen mit all ihrer Kraft etwa vierzig Quadratmeter gelöscht.

Andrey Borodin, Gründer der Freiwilligen Feuerbekämpfer Transbaikal
Foto: Fabian Weiss

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